| # taz.de -- Neues Album von Florence + the Machine: Angst, Wut und Tanz | |
| > Sängerin Florence Welch entzückt aufs Neue mit Stücken, die Wohlfühlpop | |
| > konsequent links liegen lassen – und schlägt Haken zwischen Dance und | |
| > Folk. | |
| Bild: Florence Welch während eines Konzerts in Bologna 2019 | |
| Blasser Teint aus Porzellan, die kupferroten Haare fließen aus einem | |
| violetten Cape mit Kapuze heraus: Wie eine Marienfigur thront Popstar | |
| Florence Welch zu Beginn des Videos „King“ ihrer Band Florence + the | |
| Machine auf einem Sockel. Doch der schöne Schein trügt. Die 35-jährige | |
| Britin ist keine liebreizende Madonna, sondern eine ziemlich fiese Hexe. | |
| Ohne mit der Wimper zu zucken bricht sie einem verzweifelten Jüngling das | |
| Genick, dazu singt sie: „Ich bin keine Mutter, ich bin keine Braut, ich bin | |
| König.“ Mit diesem Satz will die Britin althergebrachten Rollenklischees | |
| trotzen. Bloß kann sich eine Frau eben nicht so leicht mit einem Mann auf | |
| eine Stufe stellen – jedenfalls nicht, wenn sie sich Kinder und Karriere | |
| wünscht. | |
| Dieses Dilemmas ist sich die Sängerin inzwischen bewusst geworden. Als | |
| Künstlerin, erklärt sie, habe sie sich eigentlich nie viele Gedanken um ihr | |
| Geschlecht gemacht: „Ich war so gut wie die Männer.“ Mit Mitte 30 sieht sie | |
| die Dinge allerdings ein bisschen differenzierter: „Wenn ich als Musikerin | |
| eine Familie gründen will, dürfte sich das für mich nicht so leicht | |
| realisieren lassen wie für meine Kollegen.“ | |
| Auf das Ergründen von Gefühlslagen versteht sich Florence Welch schon | |
| lange. Gleich auf ihrem Debütalbum „Lungs“, das nach Veröffentlichung an | |
| die Spitze der Charts stieg, beschäftigte sich die Künstlerin hauptsächlich | |
| mit Empfindungen. Und auch auf ihrem inzwischen fünften Album, „Dance | |
| Fever“, umkreist Florence Welch in ihren Songs ganz konsequent das, was ihr | |
| gerade auf der Seele brennt. | |
| ## Tanzverzicht während des Lockdowns | |
| „My Love“ etwa handelt davon, was die Londonerin während der | |
| Lockdown-Monate am meisten vermisst hat: Durchfeierte Nächte in Clubs, vor | |
| allem aber ihre eigenen Auftritte. „Ich weiß nicht, wohin mit meiner | |
| Liebe“, klagt sie in diesem Songtext. | |
| Umso überraschter ist man, wenn sie dann im Video bis zum Zusammenbruch | |
| tanzt – befeuert durch Dave Bayleys Beats. Der Glass-Animals-Sänger sprang | |
| kurzfristig [1][als Produzent für Jack Antonoff ein.] Mit ihm hatte | |
| Florence Welch Anfang 2020 noch die Basic Tracks ihres geplanten Albums in | |
| New York eingespielt. Bis sie wegen der Pandemie vorzeitig nach | |
| Großbritannien zurückkehren musste. | |
| Geschadet hat dieser Produzentenwechsel ihrer Musik gewiss nicht. Geschickt | |
| schlägt sie immer wieder Haken, zwischen Dancefloor und Folk. Sie bedient | |
| sich gerne bei [2][Lucinda Williams] und Emmylou Harris. Deren Stücke aus | |
| den siebziger Jahren sind Ausgangspunkt von „Girls against God“. | |
| Da stützt in erster Linie eine akustische Gitarre Welchs glasklaren Gesang. | |
| Im Kontrast dazu oszilliert „Choreomania“ zwischen Pathos und pulsierender | |
| Elektronik. Inhaltlich lehnt sich dieser Song an die sogenannte Tanzwut | |
| an. Sie verleitete die Menschen im späten Mittelalter dazu, sich im | |
| Kollektiv bis zur körperlichen Erschöpfung, teilweise sogar bis hin zum | |
| Tod, dem Tanz hinzugeben. | |
| ## Reminiszenz an den Godfather of Punk | |
| Bei „Restraint“ hat man ein Déjà-vu und glaubt tatsächlich, eine weiblic… | |
| Version von [3][Iggy Pop] recht kreatürlich barmen zu hören. Florence Welch | |
| beherrscht es meisterhaft, ihr Idol stimmlich zu imitieren. Staubtrockene | |
| Drums eröffnen dagegen „King“, das sich zu einem spröden Popsong entfalte… | |
| Selbst das Streicherarrangement am Schluss verzichtet auf die | |
| Weichspülfunktion. | |
| „Free“ orientiert sich an LoFi-Elektronik und im Text nimmt Florence Welch | |
| das Thema Angststörung genauer unter die Lupe. Im Videoclip verkörpert der | |
| Schauspieler Bill Nighy diese psychische Erkrankung, der im November 2021 | |
| in Kiew gedreht wurde, wirklich famos. Die Krankheit hat auch Welch | |
| scheinbar fest im Griff. Nur wenn die Sängerin tanzt, kann sie ihrer Angst | |
| irgendwie entkommen. Zumindest für einen kurzen Moment. | |
| Gerade so ein Song passt perfekt in die düstere Gegenwart. Florence + the | |
| Machine entzückt aufs Neue mit Stücken, die Wohlfühlpop konsequent links | |
| liegen lassen. Nach dem Motto: Auch wenn alles vergeht, die Musik bleibt. | |
| 21 Jun 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Dagmar Leischow | |
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