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# taz.de -- Malerin und Musikerin Norma Tanega: Aus dem Leben einer Bohemienne
> Norma Tanega ist die große Unbekannte des US-Folk. Ein Album mit ihren
> schönsten Songs und ein Buch bieten nun Gelegenheit zur
> (Wieder-)Entdeckung.
Bild: Norma Tanega auf dem Cover von „I’m the Sky. Studio and Demo Recordin…
Der britische Kulturkritiker Jon Savage behauptet, es sei das Jahr 1966
gewesen, in dem die Sixties explodierten. Es war in jener Zeit tatsächlich
viel los beidseits des Atlantiks. John Lennon verkündete, die Beatles seien
„populärer als Jesus“. Die Mods hatten England und London mit ihrem
affirmativen Lebensstil fest im Griff.
Und in den USA, in Andy Warhols New Yorker „Factory“ sang Lou Reed von der
Venus im Pelz. Nebenan in New York, in der Lower East Side Manhattans,
hatte eine junge Musikerin zeitgleich andere Themen. Ihre Katze zum
Beispiel, die sie wie einen Hund Gassi führte.
Der psychedelische Folksong „Walkin’ My Cat Named Dog“ von Norma Tanega
klang selbst für Sixites-Verhältnisse ziemlich spinnert und surreal. Dabei
musste man nach dem verborgenen Sinn nicht lange suchen. Tanega, geboren
1939 im kalifornischen Vallejo, besaß eine Katze namens Dog. Mit der sie im
Greenwich Village herumspazierte.
## Großer Erfolg in den US-Charts
„Walkin’ My Cat Named Dog“ war ein großer Erfolg in den Charts von
Nordamerika. Mit dem gleichnamigen Album tourte Tanega durch die USA,
spielte mit Bob Dylan, komponierte Songs für Dusty Springfield. Heute teilt
sie das Schicksal vieler Zeitgenossinnen: Sie wurde vergessen.
Ähnlich erging es der früh verstorbenen Musikerin Judee Sill und der
Schwarzen Blues- und Folkpionierin Elizabeth Cotten. Oder der deutschen
Sibylle Baier, deren Debütaufnahmen wurden erst veröffentlicht, als ihr
Sohn sie 30 Jahre später auf dem Dachboden fand. Sie alle waren virtuose
Folksängerinnen, deren Werk nicht über den zwanzigsten
Neil-Young-Jubiläumsschuber unsichtbar bleiben sollte.
Vor zweieinhalb Jahren starb Norma Tanega. Doch nun erscheint mit der
Compilation „I’m the Sky: Studio and Demo Recordings, 1964–1971“ eine A…
spätes Best-of der schönen dunklen Folkstimme, die kaum jemand heute kennt.
Der parallel in den USA veröffentlichte Bild- und Essayband „Try to Tell a
Fish About Water“ (Thames & Hudson, New York 2022) widmet sich vor allem
Tanegas Werk als Malerin.
## Malerin und Musikerin
Obwohl sie Multiinstrumentalistin war, die von Gitarre bis karibischer
Steel Pan so ziemlich alles spielen konnte, war die Bildende Kunst für sie
das zentrale Thema: „Ich bin Malerin – keine Popsängerin“, so wird sie in
einem Zeitungsausriss in dem Erinnerungsband zitiert.
Ergänzend zu den vielen Fotos, Gemälden und Comics aus Tanegas Nachlass
kommen in einer Art „oral history“ ihres Lebens Wegbegleiter der Künstlerin
zu Wort: Freunde, Kollaborationspartnerinnen und auch ihre ehemalige
Partnerin Corinna Müller, die Tanega in ihren letzten Lebensjahren
kennenlernte.
Die Künstlerin Diane Divelbess beschreibt Tanega, Tochter einer
Panamaerin und eines US-Navy-Musikers von den Philippinen, in ihrer
Einleitung als aufrichtig, loyal und „eigensinnig ehrlich“. Dazu sei sie
eine großzügige Gastgeberin und geborene Entertainerin, die oft grummelig
guckte, aber bei Bedarf sofort ihr Dreitausend-Watt-Lächeln anknipsen
konnte.
Nach ihrem ersten Hit 1966 ging Tanega nach England, wo sie Dusty
Springfield traf. Die beiden wurden ein Paar, und Tanega blieb. Ihr zweites
und letztes Soloalbum „I Don’t Think It Will Hurt If You Smile“, das sie
1971 in London aufnahm, wurde – trotz wundervoller Songs – kein Erfolg.
„The folkies don’t like me and the rock’n’rollies don’t like me“, b…
sie mal ihr Dilemma. Nach der Trennung von Springfield kehrte Tanega nach
Kalifornien zurück und richtete sich in einem eher beschaulichen
Bohème-Leben ein. Sie betrieb eine Galerie in Claremont, gab Malerei- und
Musikunterricht, war eine Lokalberühmtheit.
## Queere Künstlerin
Hatte sie, eine queere Künstlerin of color, es einfach schwerer im
Folkgeschäft als die weiße Konkurrenz? Hasste sie den kommerziellen
Musikbetrieb – oder beides? Tanega selbst klang nicht bitter. Sie nahm bis
ins hohe Alter Musik in kleinen Projekten auf und kommentierte ihre Rolle
im Biz selten.
Allein im Song „If I Only Had a Name Like Norma Tanega“ denkt sie darüber
nach, wie schön es doch wäre, einen Namen wie ihren zu haben. Er könne
einen weit bringen, weil er so sanft und lyrisch klinge – wenn auch nicht
„kaukasisch“. Heute hört sich der Song wie ein dezent ironischer Kommentar
dazu an, dass die Retrowellen über ihr schmales, aber außergewöhnliche Werk
bislang hinwegrollten.
Dabei hätte ihr wunderlicher Folk mit Wall-of-Sound-Elementen und ihre
leisen, humorvollen Songtexte sie locker dafür qualifiziert, zur Heldin der
„New Weird America“-Bewegung der frühen Nullerjahre zu werden. Im Song
„Stranger“ klingt Tanegas vervielfachte Stimme sogar so geschlechtlich
ambivalent, als höre man eine frühe Aufnahme der US-Band Grizzly Bear
[1][oder der „Freak Folk“-Lichtgestalt Devendra Banhart].
## Coverversionen
Hier und da wurde Tanega auch gecovert, [2][von den Tagträumern Yo La
Tengo] oder der kalifornischen Garagepunk-Band Thee Oh Sees zum Beispiel.
Wie so oft in der Popgeschichte war es allerdings ein Film, der ein
größeres Publikum an ein vergessenes Genie erinnerte.
[3][Der neuseeländische Regisseur Taika Waititi] wählte für seine Komödie
„What We Do in the Shadows“ von 2014, einer Mockumentary über eine
Vampir-WG in Wellington, Tanegas Song „You’re Dead“ als Titellied. „Don…
sing if you want to live long / They have no use for your song / You’re
dead, you’re dead, you’re dead / You’re dead and outta this world“, sin…
sie nach einem Eröffnungsriff, das man nicht mehr vergisst. Noch so ein
Stück, das mit dem Wissen um ihren Underdog-Status düsterer klingt, als es
möglicherweise gemeint war.
Es ist erstaunlich, wie viel Wehmut, wie viel Wissen um Dunkelheit und
Einsamkeit in Tanegas großäugigen, manchmal fast schlafliedhaften Songs
haust. Liedern wie „Love Is Such a Happy Thing“ wohnt eine Magie inne, die
mit „unschuldig“ fast, aber nicht ganz exakt beschrieben wäre – weil ihre
Interpretin sehr hörbar zu viel vom Leben gesehen hat, um noch ungeschützt
kindlich sein zu können. Aus Tanegas freundlicher Musik spricht keine
Naivität, sondern die Sehnsucht nach einem unzynischen Leben.
## Das 3000-Watt-Lächeln
Norma Tanega, die Frau mit dem Dreitausend-Watt-Lächeln, von der Freunde
sagen, sie habe ihre Traurigkeitsphasen stets angekündigt, um sich dann ein
paar Tage mit einer Flasche Johnnie Walker zurückzuziehen. Im Alter von 80
Jahren starb sie am 29. Dezember 2019, wenige Monate nach ihrer letzten
Kunstausstellung.
Einige Jahre nach ihren Spaziergängen mit der Katze „Dog“, hatte sie dann
übrigens doch noch einen Hund. Zumindest schrieb sie über einen. „Maggie My
Dog“ handelt von einer Hündin, die tagsüber Vögel und nachts Phantome jagt.
Die springt und fliegt, aber niemals unbeschwert läuft, und ihre Halterin
sowohl nüchtern als auch betrunken liebt.
14 May 2022
## LINKS
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[3] /Rezension-zu-Nazi-Satire-Jojo-Rabbit/!5656019
## AUTOREN
Julia Lorenz
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