| # taz.de -- Französisch-kubanisches Musikduo Ibeyi: Schwesternschaft zelebrier… | |
| > Das Zwillingsduo Ibeyi verbindet auf „Spell 31“ Sounds aus Frankreich, | |
| > Kuba, London und Paris – und ist auf spiritueller Suche. | |
| Bild: Sie sind Ibeyi: Naomi Díaz (l.) und Zwillingsschwester Lisa-Kaindé | |
| Wir haben uns für Dinge entschuldigt, für die wir uns nicht hätten | |
| entschuldigen müssen“, erzählt Lisa-Kaindé Díaz im Interview, während ih… | |
| Zwillingsschwester Naomi zustimmend nickt: „Wir klingen anders als alle | |
| anderen, uns ist bewusst, dass das unsere wichtigste Charaktereigenschaft | |
| ist. Trotzdem haben wir uns dafür entschuldigt, dass wir so sind, wie wir | |
| sind.“ | |
| Damit sei jetzt Schluss: Die Díaz-Zwillinge, deren gemeinsames Projekt | |
| Ibeyi heißt, entschuldigen sich nicht mehr. Nicht für ihren Sound, nicht | |
| für ihre Herkunft, nicht für ihre Spiritualität. Schon der Name Ibeyi ist | |
| gewissermaßen spirituell: er geht zurück auf den Yoruba-Begriff für die | |
| besondere Verbindung von Zwillingen. | |
| Yoruba, das ist eine ursprünglich aus Nigeria stammende Sprache, die aber | |
| auch unter Anhänger*innen der afrokaribischen Religion Santería | |
| verbreitet ist – einer Religion, der auch die Familie der beiden anhängt. | |
| Angefangen hat das mit der Musik vor rund zehn Jahren. Die in Paris | |
| aufgewachsenen Schwestern waren damals noch Teenager, gerade 18 geworden, | |
| als sie einen Vertrag beim Londoner Indielabel XL Recordings | |
| unterschrieben. | |
| Das musikalische Talent lag in der Familie: Ihr Vater war der durch seine | |
| Kollaborationen etwa mit Buena Vista Social Club bekannte kubanische | |
| Percussionist Miguel „Angá“ Díaz, ihre Mutter die | |
| französisch-venezolanische Sängerin Maya Dagnino. Nach dem viel zu frühen | |
| Tod von Díaz 2006 mit 45 Jahren erlernte die damals 11-jährige Naomi sein | |
| Instrument, die Cajón, und beide Schwestern begannen Volkslieder auf Yoruba | |
| zu singen. | |
| Unter dem Einfluss der Mutter entwickelten die Schwestern ihr musikalisches | |
| Talent weiter, mischten Yoruba-Folk mit kontemporärem Jazz, Soul, HipHop | |
| und Downtempo Electronica und schufen so auf ihrem selbst betitelten | |
| Debütalbum 2015 einen Sound, der die Diversität der Gegenwart ebenso | |
| spiegelte, wie dass er zutiefst persönliche familiäre Traumata, Verlust und | |
| Gemeinschaft verhandelte. | |
| Ihre Kunst war nicht ohne ihre multikulturelle Biografie zu denken und fiel | |
| doch selbstbewusst nicht in die Falle des „Weltmusik“-Kitsches, sondern | |
| knüpfte an zeitgeistige Strömungen des Pop an. [1][Damit waren die | |
| Schwestern 2015 noch Vorkämpfer*innen einer vielstimmigeren Popkultur]: | |
| „Wir haben lauter verschiedene Genres miteinander vermischt, und unser | |
| Sound ist sehr eigen“, erinnert sich Lisa-Kaindé, „so viele Leute haben uns | |
| geschrieben, dass wir sie inspiriert hätten – das ist so wunderbar.“ | |
| Sieben Jahre später erscheint nun „Spell 31“, das dritte Album der | |
| Schwestern. „Das Album handelt von Heilung und vom Feiern“, erklärt | |
| Lisa-Kaindé, „die letzten Jahre waren für uns alle schwierig.“ Eine | |
| Heilung, die nicht ohne Spiritualität auskommt: Wie mystische Beschwörungen | |
| klingen die übereinandergelegten chorhaften Stimmen der Schwestern, die | |
| sich gegenseitig ansingen – und immer wieder auch Gäste wie die Sängerin | |
| Jorja Smith oder die Rapper Pa Salieu und Berwyn dabeihaben, der sie auf | |
| einem Cover des Black-Flag-Klassikers „Rise Above“ begleitet. | |
| „Es kam alles sehr natürlich“, sagt Naomi Díaz zu den Kollaborationen. Mit | |
| Jorja Smith seien sie schon lange befreundet, die Zusammenarbeit mit Pa | |
| Salieu entstand aus einer zufälligen Begegnung beim Kaffeeholen. „Es ist | |
| nicht einfach für andere, unsere Welt zu betreten, ohne von uns | |
| verschlungen zu werden“, ergänzt die Schwester, „es muss jemand sein, der | |
| flexibel genug ist, sich darauf einzulassen, aber gleichzeitig stark genug, | |
| um bei sich bleiben zu können.“ | |
| Diese eigene Welt, die sie mit ihrer von der Mystik der Yoruba-Kultur | |
| geprägten Philosophie schaffen, ist nirgendwo eindrucksvoller aufgeführt | |
| als auf dem zentralen Stück „Sister 2 Sister“, das, wie zum Beweis, ganz | |
| ohne Kollaborationsgast auskommt: eine Hymne, die Schwesternschaft | |
| zelebriert und so profane Aktivitäten wie das Mitsingen zu Vorbild Shakira | |
| ebenso aufzählt wie die Reinigung ihrer Seelen im Fluss. „Es war uns immer | |
| wichtig, etwas Hymnisches in unseren Songs zu haben. Wenn wir Musik | |
| schreiben, stellen wir uns schon im Hinterkopf vor, wie das Publikum mit | |
| uns mitsingt“, erzählt Lisa-Kaindé und lacht. „Kunst ist eine der letzten | |
| Verbindungen zwischen uns allen.“ | |
| Ihre Augen leuchten auf: „Bei Auftritten fällt uns auf, wie divers unser | |
| Publikum ist – insbesondere an Orten, die normalerweise ziemlich segregiert | |
| sind. Ich weiß nicht, ob diese Menschen sich außerhalb dieses Konzerts | |
| jemals begegnen würden.“ | |
| Der strukturelle Rassismus der Gesellschaft ist Ibeyi nie verborgen | |
| geblieben: Auf ihrem zweiten Album thematisierten die Schwestern etwa ihre | |
| eigenen Erfahrungen mit rassistischen Polizeieinsätzen. „Spell 31“ dagegen | |
| verspricht Revolution durch Transzendenz. Die Magie, von der die Schwestern | |
| singen, ist eine, die die Herausforderungen der Welt aufnimmt und | |
| überwindet. | |
| Vielleicht sind Ibeyi genau deswegen die perfekte Band für diese von | |
| Grabenkämpfen geprägte Zeit: Sie fassen Identitätspolitik in einen Sound, | |
| der auch ganz ohne intellektuellen Überbau zu verstehen ist, ihre Musik ist | |
| nicht ohne ihre Biografie zu denken und ihre Biografie spiegelt die | |
| Realität der von Migrationsbewegungen geprägten Gegenwart. | |
| Frankreich und Kuba, Venezuela und Yoruba, London, Paris und die ganze Welt | |
| verschmelzen zu einem spirituellem Ganzen. Entschuldigen muss man sich | |
| dafür ganz sicher nicht. | |
| 15 May 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Aida Baghernejad | |
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