# taz.de -- Ausstellung im Gropius Bau in Berlin: Eine Pfütze im Museum | |
> Die Ausstellung „Down to Earth“ im Berliner Gropius Bau beschäftigt sich | |
> mit Umweltfragen – und versucht, wenig ökologischen Schaden anzurichten. | |
Bild: Ebenfalls in der Ausstellung: Simryn Gill, „Four Atlases of the world a… | |
Die Ausstellung „Down to Earth“ im [1][Gropius Bau] ist „unplugged“. Die | |
Lichter bleiben ausgeschaltet, es gibt keine Videos, keine | |
Flachbildschirme, keine eingeflogenen Künstler. Dafür einen ganzen Raum | |
voller Erdreich sowie Bienenstöcke, Hochbeete und ein Repair-Café. Denn es | |
geht um das Klima, die Umwelt, ihre Zerstörung und um unsere Rolle dabei. | |
Den „Carbon-Footprint“ der Ausstellung so niedrig wie möglich zu halten, | |
passt zum Thema. Stolz wird dem Besucher in der Broschüre zur Ausstellung | |
vorgerechnet, wie viel Energie man gespart hat, seit im Gropius Bau | |
LED-Lichter eingesetzt worden sind und dass 3,5 Prozent der verbrauchten | |
Energie von einer Photovoltaikanlage auf dem Dach kommt. | |
Aber man braucht auch nicht unbedingt Elektrizität, um künstlerisch | |
schlüssige Arbeiten zu produzieren. Es reicht, in einem der hohen, weiß | |
gestrichenen Säle einen Monat lang keine Spinnweben zu beseitigen, die | |
gerade jetzt am Ende des Sommers besonders ausdauernd gesponnen werden. Die | |
Arbeit von Tomás Saraceno besteht lediglich aus einem kurzen, an die Wand | |
geklebten Schreiben von einem gewissen „Spider“. Dem ist zu entnehmen, dass | |
die Spinnweben, die sich in den nächsten Wochen unter der Decke bilden | |
sollen, eine Leihgabe der internationalen Gemeinschaft der Spinnen ist – | |
verbunden mit dem freundlichen Hinweis, dass Spinnen bereits seit 380 | |
Millionen Jahren auf der Erde leben, während der Mensch erst seit 200.000 | |
Jahren existiert. | |
Auch die Arbeit „Neuköllner Pfütze“ von Kirsten Pieroth reduziert die | |
künstlerische Formgebung auf ein Minimum. Die Künstlerin hat eine Lache in | |
dem Stadtteil abgepumpt und sie in einem der Ausstellungsräume auf den | |
Boden gekippt, wo sie nun mit ein paar Krümeln Scholle und einigen sanft in | |
Regenbogenfarben irisierenden Benzinfleckchen Berliner Stadtnatur ins | |
Museum bringt. | |
Etwas Ähnliches hatten wohl auch Helen Mayer Harrison und Newton Harrison | |
im Sinn, als sie 1988 den Vorschlag mit dem Titel „Trummerflora“ | |
ausarbeiteten, das Gelände des ehemaligen Gestapo-Hauptquartiers an der | |
Wilhelmstraße gleich neben dem Gropius Bau verwildern und zuwuchern zu | |
lassen. Ein Blick aus dem Fenster des Ausstellungsraums zeigt, wie es | |
stattdessen gekommen ist: Der Pavillon der Topographie des Terrors steht | |
auf einem Schotterfeld, um das praktisch keine Flora verblieben ist. | |
Blumenerde für zu Hause | |
Auch Agnes Denes war 1982 eine Pionierin der ökologisch orientierten Kunst, | |
als sie in Manhattan ein Weizenfeld anlegte, wie in der Ausstellung | |
dokumentiert wird. Die Harrisons und sie stehen stellvertretend für eine | |
ganze Armee an Künstlern wie Joseph Beuys, Klaus Rinke, Peter Fend oder | |
Mierle Laderman Ukeles, die schon in den 70er und 80er Jahren die Fragen | |
aufgriffen, mit denen sich „Down to Earth“ beschäftigt. Deprimierenderweise | |
zeigen einige der heutigen Arbeiten, die in der Ausstellung zu sehen sind, | |
dass sich Künstler nach wie vor an denselben Themen abarbeiten, wenn etwa | |
Asad Raza industriell verseuchte Erde so aufarbeitet, dass man sie für den | |
heimischen Blumentopf mit nach Hause nehmen kann. | |
Die Ausstellung gehört zu den Veranstaltungen zum Phänomen der Immersion, | |
die Thomas Obereder zum Leitmotiv seiner Intendanz bei den Berliner | |
Festspielen gemacht hat. Darum gibt es neben den Exponaten ein dichtes | |
Programm mit täglichen Performances, Vorträgen und Konzerten. Wer alles | |
mitbekommen will, muss im Grunde in den Gropius Bau einziehen. | |
Wegen dieses immensen Aufwands läuft die Ausstellung wohl auch nur einen | |
Monat. Sie ist anregend, ohne anstrengend oder didaktisch zu werden. Es | |
gibt künstlerische Hot Takes wie die beiden zersägten Sportwagen von Yngve | |
Holen – ein gleichzeitig faszinierender und erschreckender Anblick. Und es | |
gibt sinnliche und gleichzeitig komplexe intellektuelle Debatten | |
aufgreifende Werke wie die Geruchsarbeit von [2][Sissel Tolaas], die | |
maritime Aromen im Ausstellungsraum verbreitet. | |
Ganz ohne Strom geht es letztlich aber doch nicht. Die Eintrittskarten | |
kommen aus dem Computerdrucker. Und die Smartphones, mit denen am Eingang | |
abgescannt wird, müssen auch produziert und aufgeladen worden sein. Die | |
gute Absicht der Ausstellung ist klar, sie zeigt tolle Arbeiten und sie | |
vermeidet den resignativen Unterton, der viele der Ausstellungen | |
kennzeichnet, die uns das Konzept des Anthropozäns näherbringen wollen, | |
aber letztlich davon handeln, dass man da sowieso nichts mehr machen kann. | |
Bedrückenderweise macht sie gleichzeitig aber auch klar, dass es bei dem | |
Lebensstil, den wir uns angewöhnt haben, schlicht kein ökologisch korrektes | |
Leben im falschen gibt. | |
2 Sep 2020 | |
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## AUTOREN | |
Tilman Baumgärtel | |
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