# taz.de -- Ausstellung von Otobong Nkanga: Es ist nie vorbei | |
> Fürsorge und Drama, Schönheit und Ausbeutung: Darum geht es der | |
> Nigerianerin Otobong Nkanga. Erlebbare Kunst im Berliner Gropius Bau. | |
Bild: Otobong Nkanga vor ihrer Arbeit „Double Plot“ in der Berliner Ausstel… | |
Rotglühende Sonnen, gasförmige Planeten, Welten in der Entstehung und im | |
Untergang, daran denke ich beim Blick auf die rötlichen Scheiben, die über | |
den dunklen Grund von „Double Plot“ treiben. „Double Plot“ ist ein gro�… | |
Wandteppich, in den von der nigerianischen Künstlerin Otobong Nkanga viele | |
Bildmotive eingewebt wurden: Man sieht eine kopflose Figur neben einem | |
Baum, gestickte Linien ziehen sich über den Grund, die eine Landschaft | |
meinen könnten oder die Bahnen von Himmelskörpern, Arme bilden die Speichen | |
eines Rades. | |
Die leuchtenden Scheiben sind Fotografien und wie man im Begleittext | |
nachlesen kann, zeigen sie keineswegs Planeten, sondern Tränengaswolken bei | |
der Bekämpfung von Aufständen, zum Beispiel [1][am Tahrir-Platz in Kairo]. | |
Und doch sind sie angeordnet wie Planeten im Sonnensystem. „Double Pot“ | |
erzählt eben nicht nur eine Geschichte. Verschiedene Erzählstränge kreuzen | |
sich, poetische Kosmologien und politische Geschichte. | |
„Double Plot“ ist Teil einer großen Einzelausstellung von Otobong Nkanga im | |
Martin-Gropius-Bau in Berlin, es ist ihre erste in Deutschland. Otobong | |
Nkanga hat sie geplant, [2][als sie letztes Jahr Artist in Residence im | |
Gropius Bau war], umgesetzt und aufgebaut wurde die Schau in der Zeit der | |
Corona-Epidemie. | |
Ob das inhaltlich eine Rolle gespielt habe, wurde die Künstlerin bei der | |
Pressekonferenz gefragt. Sie habe schon die Ebola-Epidemie in Angola erlebt | |
und überlebt vor einigen Jahren; sie sei dieses in Jahr in Bangladesch | |
gewesen, wo man nicht mehr atmen konnte, so schlecht sei die Luft gewesen, | |
antwortet sie. Das alles habe ihr Denken verändert. Es gebe ja viele Orte | |
auf der Welt, „da ist es nie vorbei“, wie wir jetzt hier in Europa beim | |
Coronavirus hoffen können. Die Einschränkung des täglichen Lebens durch | |
eine bedrohliche Krankheit oder große Umweltschäden sei vielmehr vielerorts | |
Kontinuität. | |
Auf diese Erfahrung verweist schon der Titel der Ausstellung, „There’s no | |
such thing as solid ground“. Unsicherer Grund, das wird zur physischen | |
Erfahrung, wenn man über die großen, runden Kiesel aus Marmor in der | |
Installation „Taste of a stone“ läuft. Aus der hellen Fläche ragen einzel… | |
runde Granitblöcke auf und laden zum Sitzen ein. Teils entdeckt man kleine | |
Pflanzen zwischen den Steinen, teils auch Abbildungen von Ranken. „Taste of | |
a stone“ ist eine Einladung an einen ruhigen und meditativen Ort, der aber | |
auch Behutsamkeit bei jedem Schritt verlangt. | |
## Ausbeutung der Erde | |
Im Raum daneben wird die Skulptur „Solid Maneuvres“ von schmalen | |
Metallstützen getragen, die ihr etwas Fragiles geben. Die | |
übereinandergeschichteten kurvigen Platten erinnern an Landschaften, man | |
könnte an Inseln mit terrassiertem Gelände denken. Das mineralisch | |
glänzende Material verleiht ihnen eine eigene Kostbarkeit. | |
Aber wieder gibt es einen konkreten Bezugspunkt für die Arbeit, der ein | |
anderes Szenario entwickelt. Gemeint ist das Profil einer Landschaft, die | |
nach dem Abbau von Rohstoffen ausgebeutet und verwundet zurückgelassen | |
wurde. Die in der Skulptur verwendeten Materialien, wie Blech, Kupfer, | |
Stahl, stammen aus solchen Abbaugebieten. Wieder kommen das Schöne und das | |
Schreckliche zusammen. | |
„Es ist viel einfacher, etwas wegzunehmen, als etwas zurückzugeben“, sagt | |
Otobong Nkanga, die das Thema der Ausbeutung, der Erde und der Menschen, in | |
ihren Arbeiten immer wieder berührt. Das geschieht in Skulpturen, in | |
Performances, in Gedichten, in Installationen. Care/Sorge und | |
repair/Reparatur, diese beiden Themen im Werk von Otobong Nkanga, [3][hebt | |
Stephanie Rosenthal, die Direktorin des Gropius Baus], hervor. Das | |
Interesse am Umgang mit den Ressourcen der Erde und den Ressourcen des | |
Menschen verbindet viele der Künstler, die Rosenthal als Artist in | |
Residence in das Haus eingeladen hat. | |
Otobong Nkanga nutzt unterschiedliche Ausdrucksmedien. Die ältesten | |
Arbeiten in der Ausstellung sind kleinere Zeichnungen, teils vom Ende der | |
1990er Jahre. Es sind manchmal surreale Kompositionen, in denen sich | |
menschliche Körperteile mit Maschinen oder Pflanzen verschränken. Dabei | |
entsteht auch ein eigener Witz. So entpuppen sich die Haarschnecken, die | |
aus einem Hinterkopf wachsen, bei genauerem Hinsehen als erotische Skizzen. | |
„Hidden pleasures“ heißt das Blatt. | |
## Rund um den Globus | |
Die Künstlerin, die heute in Belgien lebt, ist 1974 in Nigeria geboren, hat | |
dort und in Paris Kunst studiert. Sie erzählt bei dem Pressetermin auch von | |
der Bedeutung ihrer Eltern für ihre Arbeit. Sie verweist auf das | |
Storytelling als afrikanische Tradition, die ihr von Mutter und Vater | |
mitgegeben wurde. Und ihre Mutter habe gesungen bei der Arbeit, die Zeit | |
verfliege dann schneller. | |
Otobong Nkangas Stimme kommt in der Soundinstallation „Wetin you go do? Oya | |
na“ zum Einsatz, in einem dunklen Raum. Eigentlich meint man, „ihre | |
Stimmen“ (Plural!) sagen zu müssen, denn sie moduliert sie vielfältig, | |
orchestriert damit viele Sprechenden. Die Texte stammen aus | |
Social-Media-Beiträgen, die Botschaften sind rund um den Erdball geflogen, | |
drei Tage lang nahm die Künstlerin sie in einem Berliner Studio auf, | |
tauchte in die Gefühle, flüstert, singt, wird wütend, nutzt verschiedene | |
Akzente. | |
Die zwanzigminütige Komposition ist eine Kakophonie von Sätzen, die schnell | |
das Kopfkino anwerfen. „I chose to be what I be. I can be what I want“, | |
hört man in einer Sequenz, die Stimme steigert sich aufgeregt, ist heiser | |
am Ende, beschimpft das Gegenüber. Gesänge besänftigen die hitzige | |
Stimmung, dann scheint die Erde selbst zu reden, „I have been here for | |
centuries“, „You need me. I don’t need you“. Man taucht über die kurze | |
Strecke in ein neues Drama ein. | |
So tritt neben das Interesse an dem Mitteilungsbedürfnis der Menschen und | |
der Empathie für ihre Anliegen eine große Lust an der dramatischen Form. | |
Otobong Nkanga kann eben auch die Drama-Queen geben, nicht nur die | |
fürsorgende Künstlerin. | |
18 Jul 2020 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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