| # taz.de -- Ausstellung zeigt „Überleben im Müll“: Eine eigene Landschaft | |
| > Dem einen sein Abfall, dem andern sein Lebensunterhalt: Eine Ausstellung | |
| > im Willy-Brandt-Haus zeigt die Ausmaße unserer Wegwerfgesellschaft. | |
| Bild: Aus Helmut Schwarzbachs auf den Philippinen entstandener Serie „Die Kin… | |
| Ein Junge lernt schwimmen. Er lebt bei seiner Großmutter am Containerhafen | |
| von Manila. „Happyland“ heißt die Siedlung aus improvisierten Bauten aus | |
| Restholz und Wellblech. Vielleicht schwimmt er auch zu seinem Vergnügen. | |
| Vor allem aber, um Müll aus dem Wasser zu fischen. Leere Plastikflaschen – | |
| die sind noch etwas wert, die kann er verkaufen bei einem Müllrecycler. Und | |
| mit dem Geld Großmutter und Cousine helfen. | |
| Hartmut Schwarzbach ist Fotojournalist und beschäftigt sich seit bald 20 | |
| Jahren mit der Lebenssituation von Kindern in Asien und Afrika. Er erzählt | |
| die Geschichte der Kinder, die in Manila im Müll fischen, in kurzen Texten | |
| und Fotografien, die jetzt im Willy-Brandt-Haus ausgestellt sind. Eines der | |
| Mädchen, die er dort 2018 traf, starb ein paar Monate später an einer | |
| Lebensmittelvergiftung. Die Kindersterblichkeit ist hoch, Schwarzbach | |
| betitelte seine Serie „Die Kinder, der Müll und der Tod“. | |
| Eigentlich ist Kinderarbeit auch auf den Philippinen verboten. Aber die Not | |
| ist so groß, dass man es geschehen lässt. Nach Indonesien, Malaysia und auf | |
| die Philippinen gehen viele Frachter mit internationalem Plastikmüll, oft | |
| illegal exportiert. | |
| Inzwischen versuchen die Länder sich gegen [1][den Missbrauch als | |
| „Müllhalde der Welt“ zu wehren,] schicken Schiffe zurück. Aber noch landet | |
| vieles im Hafenbecken, was eigentlich der Recyclingindustrie zugeführt | |
| werden sollte. Und die das Material dann oft nur erreicht, über | |
| Kleinstunternehmen, die den Kindern ihre Beute abkaufen. | |
| ## Harte Arbeit und ein bisschen Stolz | |
| Auf einem von Schwarzbachs Bildern beugt sich ein Mädchen im Vordergrund | |
| weit vor, um im Wasser etwas zu greifen. Hinter ihr sind Jungs im Wasser, | |
| und weitere warten an Geländern und Treppen – das erinnert dann fast an | |
| Jugendliche im Freibad. | |
| Vielleicht sind dies auch Geschichten von Kinderbanden, die sich helfen und | |
| streiten, viel zu früh ihr Leben allein meistern müssen und doch in der | |
| harten Arbeit auch ein bisschen Stolz und ein bisschen Spiel entdecken. | |
| Vielleicht wünscht man sich aber auch bloß, dass das Paddeln in der | |
| Kühlschranktür auch Spaß macht. | |
| Für Gisela Kayser, künstlerische Leiterin der Galerie, die der | |
| Freundeskreis des Willy-Brandt-Hauses betreibt, war die Ausstellung zum | |
| Müll lange ein Anliegen. Neben Schwarzbach stellt sie eine weitere | |
| Fotoreportage von Christoph Püschner aus, der vom Alltag einer | |
| Waste-Picker-Familie in Indien erzählt und ebenso wie Schwarzbach für | |
| Zeitschriften und Hilfsorganisationen arbeitet. Als Dritter ist der | |
| Künstler Dodi Reifenberg dabei, den ähnliche Motive beschäftigen, der sie | |
| aber in einem anderen Medium umsetzt. | |
| Er nutzt nämlich den Plastikmüll direkt, Tüten vor allem, sortiert sie nach | |
| Farben und setzt aus ihnen in kleine Schnipsel geschnitten große Collagen | |
| zusammen, auf denen dann wieder Jugendliche in einem Boot durch ein Meer | |
| von Müll treiben, aber auch auf einer großen Welle im Wasser surfen. | |
| ## Die Ästhetik des Mülls | |
| Alles ist in Fetzen in diesen Bildern und fügt sich doch zu einem Ganzen | |
| zusammen, einer Welt, die bis zum Horizont aus nichts anderem mehr besteht. | |
| Manchmal lässt sich noch auf einem Schnipsel lesen, wofür die Tüte warb: | |
| „Glück“. So verbindet die drei nicht nur das Thema, sondern auch die | |
| Ästhetik des Mülls. | |
| Ob auf dem Meer treibend oder den Halden in Indien, er bildet riesige | |
| Flächen, eine eigene Landschaft, kleinteilig gemustert. Ein gigantischer | |
| Patchwork-Teppich, aus dem immer irgendwo ein Fleckchen Rot oder Blau | |
| hervorleuchtet. Selbst in den Unterkünften auf Pfählen im Wasser im Hafen | |
| von Manila oder in Zelten am Rande der Millionenstadt Guntur setzt sich | |
| fort, dass alles zusammengesetzt ist aus Unterschiedlichem. | |
| Ist es zynisch, im Anblick von sozialer Not und Umweltsünden, die der | |
| Kapitalismus und der westliche Lebensstil in weit entfernte Länder | |
| hineinspült, ästhetische Momente zu beobachten? Wie die farbenfroh | |
| gemusterten Säcke, hergestellt aus aussortierten Saris, in die die Waste | |
| Picker den Müll sortieren? | |
| Nein, darin zeigt sich, dass der Blick der Fotografen und unserer eben auch | |
| mehr sucht und mehr sehen kann als nur das „Überleben“. Die Ästhetik hilft | |
| gegen die Reduktion. Wenn Christoph Püschner den Alltag einer Familie von | |
| Waste Pickern detailreich zeigt, geht es dabei eben auch um die Beziehung | |
| der Eltern zu den Kindern, um ihre Fürsorge, an so einem schrecklichen Ort. | |
| Sie gehören zur Klasse der Unberührbaren, abgeschoben an den Rand, und doch | |
| sieht man vor allem auch das Bemühen um Strukturen der Normalität. Und auch | |
| etwas von dem Wissen und der Technik, die es braucht, um dem Müll das | |
| Verwertbare zu entreißen. | |
| 21 Jul 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
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