# taz.de -- Anwalt für Menschenrechte: Kämpfer für Geflüchtete | |
> Rechtsanwalt Peter Fahlbusch setzt sich für Menschen ein, die in der | |
> Abschiebungshaft unter die Räder des Staates geraten. | |
Bild: Demo von Pro Asyl: Die Organisation zeichnete Peter Fahlbusch mit dem Men… | |
OSNABRÜCK taz | In Glückstadt ist nicht nur das Glück zuhause. Kürzlich ist | |
in der beschaulichen schleswig-holsteinischen Kleinstadt eine [1][neue | |
Abschiebungshaftanstalt in Betrieb gegangen]. Ihr Fassungsvermögen von bis | |
zu 60 Plätzen teilen sich Schleswig-Holstein, Hamburg und | |
Mecklenburg-Vorpommern. | |
Die umgebaute Ex-Marinekaserne sieht aus wie für Schwerverbrecher: | |
Metallzäune und Fenstergitter, Stacheldrahtrollen und Kameras, eine sechs | |
Meter hohe Mauer. Dabei kann der Staat denen, die hier einsitzen, nur eins | |
vorwerfen: in Deutschland bleiben zu wollen. | |
Für Peter Fahlbusch, Rechtsanwalt aus Hannover, seit 20 Jahren auf | |
Abschiebungshaft-Fälle spezialisiert, zeigt sich an Anstalten wie dieser, | |
„dass wir uns von der Willkommenskultur verabschieden“. Die Haftkapazitäten | |
steigen, Tausende Menschen pro Jahr werden hier zwischengeparkt, bevor es | |
zurück über die Grenze geht. Immer mehr Abschiebungen werden von Haft | |
begleitet. | |
Bundesweit tätig, mit bis heute fast 2.200 Abschiebungs-mandanten, ist | |
Fahlbusch weitestgehend Einzelkämpfer, und das sieht er mit Sorge: „Außer | |
mir macht das leider fast niemand.“ Pro Woche kommt ein Verfahren hinzu, | |
manchmal mehrere, 100 sind derzeit offen. Nebenbei gibt er Fortbildungen, | |
Dutzende pro Jahr, für Beratungsstellen, Anwaltsvereinigungen, für Refugee | |
Law Clinics. | |
## Erbittert, empört, erschüttert | |
Aus Glückstadt hat Fahlbusch noch keinen Hilferuf erhalten. „Es muss sich | |
ja immer erst rumsprechen, dass es Möglichkeiten gibt, sich zu wehren“, | |
sagt er. Das Motto der Anstalt, „Wohnen minus Freiheit“, weckt bei ihm | |
Ekel: „Das ist purer Zynismus!“ | |
Für Fahlbusch ist die derzeitige Handhabung der Abschiebungshaft eine | |
„Schande“, ein Skandal. „Was hier an rechtswidriger Haft produziert wird, | |
ist systemisch.“ Erbitterung ist ihm anzumerken, Empörung, Erschütterung. | |
Seine Fallstatistik zeigt: „Die Hälfte meiner Mandanten [2][saß jedenfalls | |
teilweise zu Unrecht in Haft.]“ | |
Und dann erzählt er. Dass Menschen in Haft genommen werden, die gar nicht | |
ausreisepflichtig sind. Oder bei denen keine Fluchtgefahr besteht. Oder | |
die so krank sind, so alt, dass sie nicht reisefähig sind. Dass Menschen in | |
der Haft oft „einfach vergessen“ werden. Verschleppte Verfahren seien keine | |
Seltenheit. | |
Fahlbuschs Kritikliste ist lang: Unvollständig ausgehändigte, nicht richtig | |
übersetzte Unterlagen, Selbstverletzungen und Suizide. Mitinhaftierte | |
Kinder, die an der Verzweiflung der Eltern verzweifeln. Kinder, die von | |
ihren Müttern getrennt werden und in Jugendeinrichtungen landen. Fahlbusch | |
sieht, wie sich Menschen verändern, wenn sie sich hilflos fühlen, | |
alleingelassen: „Ihre Gesichter werden grau, sie verfallen in Apathie.“ | |
## Kronjuwelen der Verfassung | |
Es gibt Inhaftierungen, die Monate dauern. Vier Wochen sind der | |
Durchschnitt, sagt Fahlbusch, der sich als „Verfassungsschützer“ versteht: | |
„Schließlich geht es hier um die Kronjuwelen unserer Verfassung, um Fragen | |
der globalen Gerechtigkeit und Bewegungsfreiheit.“ | |
Ginge es nach Fahlbusch, hätte jeder Inhaftierte zumindest das Recht auf | |
einen kostenfreien Rechtsbeistand vom ersten Tag an. Aber sie sind | |
unerwünscht. Sie sollen weg. „Und das möglichst abschreckend“, sagt der | |
Anwalt. „Als ob sich Flüchtlinge dadurch von ihrer Flucht abbringen | |
lassen.“ | |
Seinen ersten Abschiebungsfall hatte Fahlbusch 2001, per Zufall. „Ich hatte | |
damals keine blasse Ahnung, aber wir haben das Verfahren gewonnen.“ Das | |
zweite kam, das dritte. „Dann hat das Fahrt aufgenommen.“ | |
Manche Fälle verfolgen ihn bis heute: „Das Schlimmste ist, wenn ein Mandant | |
sich umbringt. Da war dieser ältere Herr, der hat es nicht ausgehalten. Am | |
Ende hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass er ohne Rechtsgrundlage | |
eingesperrt war.“ | |
## An Spielgeräten aufgehängt | |
Auch traumatisierte Kinder lassen ihm keine Ruhe. „Es gibt Fälle, wo Kinder | |
miterlebt haben, wie sich Mithäftlinge versucht haben, im Gefängnishof | |
aufzuhängen, an ihren Spielgeräten.“ Fahlbusch atmet durch. Er ist ein | |
großer Mann, er strahlt Kraft aus. Aber man merkt, wie ihn das alles | |
bewegt. | |
Fahlbusch frustriert, [3][dass sich seit 20 Jahren nichts ändert]. „Wir | |
müssen endlich herausfinden, warum das System so miserabel läuft“, sagt er. | |
„Und bis dahin brauchen wir ein Moratorium, eine Aussetzung der | |
Abschiebungshaft.“ | |
Fälle wie seine bringen keine Reichtümer. Viele Flüchtlinge können sich | |
keinen Anwalt leisten, und nicht immer greifen Rechtshilfefonds. Fahlbusch | |
nimmt das in Kauf. Anerkennung bekommt er in anderer Form: Die Stiftung Pro | |
Asyl hat ihn im Herbst 2019 mit ihrem Menschenrechtspreis ausgezeichnet. | |
Filiz Polat, migrationspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der | |
Grünen, sprach in ihrer Laudatio von „einem der größten Justizskandale in | |
unserem Rechtsstaat“, den Fahlbusch „als massenhaften Rechtsbruch so | |
systematisch offengelegt und dokumentiert hat“. | |
Von einem Justizskandal will die Bundesregierung natürlich nichts wissen. | |
Anfang August 2021 antwortet sie auf eine Große Anfrage der Linken zur | |
Praxis der Abschiebungshaft seit 2018, es handle sich bei Fahlbuschs | |
Statistik „um eine Einzelwahrnehmung“; die Bundesregierung bewerte sie | |
nicht. Offizielle Zahlen zur Rechtswidrigkeit der Haft werden angeblich | |
nicht flächendeckend erhoben. | |
„Abschiebungshaft ist eine Haft ohne Verbrechen und stellt einen massiven | |
Eingriff in das verfassungsrechtlich garantierte Freiheitsrecht dar“, sagt | |
Polat. „Entsprechend waren in Deutschland tausende Menschen rechtswidrig in | |
Haft.“ Dennoch hätten SPD und Union das System der Abschiebehaft | |
ausgeweitet. „Das ist meines Erachtens einer der größten Skandale und eine | |
erschreckende Bilanz für unseren Rechtsstaat“, kritisiert die Abgeordnete. | |
Die Inhaftierungen gehen derweil weiter. „Dass so etwas in einem | |
Rechtsstaat möglich ist“, sagt Fahlbusch, „erschüttert mich in meinen | |
Grundfesten.“ | |
8 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Neue-Abschiebehaftanstalt-der-Nordlaender/!5790701 | |
[2] /Initiative-von-Schleswig-Holstein/!5769970 | |
[3] /Abschiebungen-nach-Sri-Lanka/!5803212 | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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