# taz.de -- Neue Abschiebehaftanstalt der Nordländer: „Wohnen minus Freiheit… | |
> Eine Abschiebehaft für drei Länder: Heute sollen die ersten Menschen in | |
> Glückstadt einquartiert werden. | |
Bild: Sieht aus wie Knast, soll aber keiner sein: Mitarbeiter in der neuen Absc… | |
GLÜCKSTADT taz | Lange stritten die Parteien um die Details, die Bauphase | |
verzögerte sich – aber nun eröffnet die gemeinsame [1][Abschiebehaftanstalt | |
für Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern]. In einer | |
ehemaligen Marinekaserne in Glückstadt sollen bis zu 60 Menschen auf die | |
unfreiwillige Rückreise in ihre Herkunftsländer warten. | |
Die ersten zwölf, so die Planung, sollen am heutigen Montag dort | |
untergebracht werden. Der Aufenthalt solle möglichst angenehm verlaufen, | |
sagen die Verantwortlichen. Das will die [2][„Besuchsgruppe | |
Abschiebehaft“], die sich vor Ort gegründet hat, genau im Auge behalten. | |
Sechs Meter hoch ist die weiße Betonmauer, fünf Meter hoch der | |
Stacheldrahtzaun davor. Breite Straßen durchkreuzen die spärlich begrünten | |
Flächen zwischen den Backsteingebäuden, vor deren Fenstern Gitter hängen. | |
„Ja, das wirkt schon martialisch“, sagt Wolfgang Kossert, Sprecher des | |
[3][Schleswig-Holsteinischen Landesamtes für Zuwanderung und Flüchtlinge], | |
das den Betrieb organisiert. „Aber wir mussten die historischen | |
Gegebenheiten einbeziehen – und wir möchten, dass sich die Menschen | |
innerhalb ihrer Bereiche frei bewegen können.“ | |
## „Allerletztes Mittel“ | |
Sieht aus wie Knast, ist aber keiner: Diesen Spagat muss eine Abschiebehaft | |
hinkriegen. Denn die Menschen, die durch die gesicherte Schleuse auf das | |
Gelände gefahren werden, haben keine Straftaten begangen. Der Staat | |
vermutet nur, dass sie sich einer Abschiebung entziehen könnten und nimmt | |
sie vorsorglich in Verwahrung. | |
„Das muss das allerletzte Mittel sein“, betont Kossert. Trotz Zaun und | |
Stacheldraht solle der Aufenthalt für die Untergebrachten so erträglich | |
wie möglich sein: „Die Menschen sind am Ende eines langen Weges angekommen, | |
Pläne sind gescheitert. Da wollen wir ihnen das Leben nicht noch zusätzlich | |
schwer machen.“ | |
In den renovierten Gebäuden der ehemaligen Kaserne riecht es nach Holz und | |
Farbe. Weiße Wände, hellgraue Türen, die Böden in den Hafträumen sind | |
dunkelblau. Darauf stehen Bett, Schrank, Tisch und Stuhl. Zu jeder Zelle | |
gehört eine Toilette. In jeder Etage, in der bis zu 14 Menschen | |
untergebracht werden können, gibt es je einen Gebets-, Freizeit- und | |
Fitnessraum, eine Küche mit Edelstahlschränken und einen Computerraum – | |
eigene Smartphones sind verboten, reine Telefon-Handys werden verteilt. | |
Die Wohnräume sind nicht verschlossen, und aus jedem Wohntrakt führt eine | |
Treppe – stark mit Stacheldraht gesichert – zu einem Hof mit Sportgeräten. | |
Für kleine Besorgungen gibt es einen Kiosk. Medizinisches Personal ist rund | |
um die Uhr da. Eine Psychologin bietet Beratungen an. [4][Als unabhängige | |
Beratungsstelle] hat die Diakonie feste Büros auf dem Gelände. | |
## Kickern mit dem Personal | |
„Die Unterschiede zu einer regulären Haft sind groß“, sagt Jonas Heidt. D… | |
Baden-Württemberger wird sich in Glückstadt um die Freizeitgestaltung der | |
Häftlinge und Angebote zur Tagesstruktur kümmern. „Wir gehen immer wieder | |
auf die Leute zu, kümmern uns.“ | |
Tischkickerturniere zwischen Personal und Häftlingen seien im Strafvollzug | |
unvorstellbar, in der Abschiebehaft aber gewünscht. Das Ziel heißt „Wohnen | |
minus Freiheit“ – dieses Motto nennt auch Dirk Gärtner, Direktor des | |
Landesamtes für Zuwanderung und Flüchtlinge. | |
Frank Gockel kann darüber nur den Kopf schütteln: „Ich kenne | |
Abschiebehaftanstalten in der ganzen Republik, alle sehen einem Gefängnis | |
ähnlicher als einem Freizeitpark“, sagt der Detmolder, der sich im | |
[5][Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren“] seit Jahrzehnten … | |
Betroffene kümmert. In Glückstadt berät er Freiwillige, die sich zu einer | |
Besuchsgruppe zusammengeschlossen haben und helfen wollen, obwohl sie | |
Abschiebehaft generell ablehnen. | |
Ein halbes Dutzend seien sie bereits, Neue seien willkommen, sagt Doris | |
Berger, eine der Initiatorinnen. Die Stadt habe ihr Engagement bislang gut | |
aufgenommen, berichtet Mitstreiter Fredrik Nedelmann. So findet ein | |
Workshop mit dem ehrenamtlichen Experten Gockel in der städtischen | |
Volkshochschule statt. Erste Kontakte gibt es auch zum Landesamt für | |
Zuwanderung und Flüchtlinge – auch das gab sich grundsätzlich offen für das | |
Anliegen, sich um Häftlinge zu kümmern. | |
## Fünf-Punkt-Fixierung erlaubt | |
Im historischen Torhaus der Ex-Kaserne stehen Räume für Treffen mit den | |
Einsitzenden zur Verfügung, sogar ein Richterzimmer ist eingerichtet, für | |
Verfahren in letzter Minute. Gesehen haben die Mitglieder der Gruppe diese | |
Räume noch nicht. Sie durften bisher nicht aufs Gelände. | |
Dass es in Glückstadt gänzlich anders wird als in anderen | |
Abschiebehaftanstalten, bezweifelt Frank Gockel: „Auch hier ist eine | |
Fünf-Punkt-Fixierung erlaubt, für die es in der Psychiatrie eine | |
richterliche Genehmigung braucht. Für den Umgang mit psychisch Kranken, von | |
denen es in Abschiebehaft überdurchschnittlich viele gibt, hat das Land | |
keinen Plan.“ | |
Nach seiner Erfahrung sitzt fast die Hälfte der Untergebrachten zu Unrecht | |
in Haft. „Gut für die Ehrenamtlichen, weil sie mit einem Antrag oder | |
Widerspruch viel erreichen können – aber ein Skandal für das System, das | |
juristische Laien auf dieses Unrecht hinweisen müssen“, sagt Gockel. | |
Schleswig-Holstein hatte seine frühere Abschiebehaft [6][2017 geschlossen]. | |
Seither werden Häftlinge in andere Länder geschickt. Die Jamaika-Regierung | |
und das Landesamt wollen mit der nun gemeinsamen Einrichtung das Verfahren | |
wieder selbst regeln. Zu den größten Streitpunkten gehört, dass die | |
Unterbringung von Kindern zwar nicht gewollt und unwahrscheinlich, aber | |
grundsätzlich nicht ausgeschlossen ist. Überwiegend werden wohl Männer | |
untergebracht sein, aber eine Frauenabteilung ist vorgesehen. | |
Die Besuchsgruppe knüpft derweil Kontakte zu Unterstützungskreisen in | |
Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern, um sich um Häftlinge aus diesen Ländern | |
gut kümmern zu können. Dabei sei der juristische Beistand gar nicht das | |
Wichtigste, sagt Gockel: „Uns melden die Häftlinge immer zurück: | |
Hauptsache, jemand ist da.“ | |
16 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Initiative-von-Schleswig-Holstein/!5769970 | |
[2] http://glueckstadtohneabschiebehaft.blogsport.eu/2021/07/08/30-07-01-08-sch… | |
[3] https://www.schleswig-holstein.de/DE/Landesregierung/LAZUF/UeberUns/ueberUn… | |
[4] https://www.diakonie-sh.de/unsere-themen/flucht-und-migration | |
[5] http://www.gegenabschiebehaft.de/hfmia/index.php?id=92 | |
[6] /!5472744/ | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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