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# taz.de -- Abschiebung einer kranken Frau gestoppt: Anschlussbehandlung muss s…
> Das Verwaltungsgericht Braunschweig untersagt die Abschiebung einer
> schwer kranken Frau nach Russland. Lernen die Behörden etwas daraus?
Bild: Der Abschiebeknast der JVA Hannover: Auf die dortigen Ärzte wollte der L…
Göttingen taz | Die Frau lebt seit 20 Jahren in Deutschland und ist schwer
erkrankt, der medizinische Dienst der JVA Hannover hält sie für nicht
reisefähig. Trotzdem will der Landkreis Peine sie nach Russland abschieben.
Niedersachsens Flüchtlingsrat machte den Fall am Donnerstag öffentlich und
übte heftige Kritik an der Behörde. Auch das Innenministerium in Hannover
beharre auf der Abschiebung, mehrere Eingaben des Flüchtlingsrates seien
zurückgewiesen worden. Erst „in letzter Minute“, so Muzaffer Öztürkyilmaz
vom Flüchtlingsrat, habe das Verwaltungsgericht Braunschweig die
Abschiebung gestoppt. Der Landkreis Peine erklärte hingegen auf Anfrage,
alles richtig gemacht zu haben.
Dem Flüchtlingsrat zufolge leidet die Frau schon seit Jahren an
unterschiedlichen körperlichen und psychischen Erkrankungen, sie habe sich
deshalb immer wieder in ambulante und stationäre Behandlung begeben müssen.
Der Landkreis Peine spricht von Drogenabhängigkeit und
Substitutionsbehandlung. Auf Antrag des Kreises, der dann einen
entsprechenden Beschluss des Amtsgerichts Hannover erwirkte, wurde die Frau
am 21. September im zentralen niedersächsischen Abschiebungsknast
Hannover-Langenhagen inhaftiert.
Nach Ansicht des medizinischen Dienstes der Justizvollzugsanstalt darf die
Betroffene gegenwärtig nicht abgeschoben werden, sie sei aufgrund ihrer
Erkrankungen mindestens bis zum 10. Oktober nicht reisefähig, ihre zwingend
erforderliche Anschlussbehandlung sei in Russland nicht gesichert.
Der Landkreis bestand jedoch auf der Abschiebung. Die Behörde wie auch das
vom Flüchtlingsrat eingeschaltete [1][Innenministerium] haben Öztürkyilmaz
zufolge den Inhalt der Atteste ignoriert. Sie hätten vielmehr „rein
formaljuristisch“ argumentiert, dass die ärztlichen Bescheinigungen der JVA
nicht den gesetzlichen Anforderungen genügten, weshalb die Reiseunfähigkeit
nicht belegt sei. Zudem sei das Land Niedersachsen nicht dafür
verantwortlich, eine Anschlussbehandlung zu organisieren.
Dem widersprach jetzt klar das Verwaltungsgericht Braunschweig, mit
Beschluss vom Dienstag setzte es die Abschiebung zunächst bis zum 10.
November aus. „Die mit dem Vollzug der Abschiebung betrauten deutschen
Behörden haben in jedem Stadium der Durchführung der Abschiebung etwaige
Gesundheitsgefahren zu beachten und gegebenenfalls die nötigen Vorkehrungen
zu treffen, damit eine Abschiebung verantwortet werden kann“, heißt es in
dem Urteil.
Und weiter: „Kann den Gesundheitsgefahren nicht durch entsprechende
Vorkehrungen bei der Gestaltung des Vollstreckungsverfahrens wirksam
begegnet werden, muss – jedenfalls vorübergehend – eine Vollstreckung
unterbleiben.“ Die Frau wurde denn auch unmittelbar nach dem
Gerichtsbeschluss aus der Haft entlassen.
Der Sprecher des Landkreises Peine, Fabian Laaß, sagte, ein Antrag der Frau
auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis sei rechtskräftig abgelehnt und
sie mit Fristsetzung aufgefordert worden, Deutschland freiwillig zu
verlassen. Weil sie dem nicht nachkam, sei die Abschiebung für den 28.
September terminiert worden.
Mit Blick auf die Erkrankung der Frau erklärte Laaß, die Frau habe fast ein
Jahr lang die Gelegenheit gehabt, ihren Gesundheitszustand durch
entsprechende geeignete Atteste zu untermauern. Eine eventuelle
Reiseunfähigkeit habe sie durch fachärztliche Atteste unverzüglich belegen
müssen – das sei aber nicht erfolgt.
## Der Landkreis findet, alles sei korrekt gelaufen
Bei der Aufnahme in der JVA Hannover-Langenhagen habe der Arzt den –
schlechten – Gesundheitszustand der Frau auf die laufende
Substitutionsbehandlung zurückgeführt. Dies sei jedoch „allerhöchstens ein
zielstaatsbezogenes Problem“, meint Laaß. Der Landkreis habe gegen den
medizinischen Bescheid Widerspruch eingelegt. Das Innenministerium habe die
Auffassung des Landkreises geteilt, „die Abschiebung lief weiter“.
Am Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig übte Laaß Kritik, weil „die
Substitution keinen Grund für eine Reiseunfähigkeit darstellt“. Aus Sicht
des Landkreises jedenfalls sei in diesem Fall „alles korrekt abgelaufen“.
Die Frau werde aufgrund des Richterspruchs nun mindestens bis zum 10.
November geduldet.
Nach Ansicht des [2][Flüchtlingsrates] muss sich nun die Landesregierung
„fragen lassen, ob die vom ärztlichen Dienst der Justizvollzugsanstalt
erstellten Atteste überhaupt noch einen Wert haben, wenn sich Behörden und
Ministerien nicht daran gebunden fühlen“. Die Entscheidung des
Verwaltungsgerichts sei eine „schallende Ohrfeige für den Landkreis und das
Innenministerium, die beiden für die Zukunft eine Lehre sein sollte“. Eine
Sprecherin des Ministeriums in Hannover sagte der taz, vor einer
inhaltlichen Stellungnahme müsse zunächst das Gerichtsurteil ausgewertet
werden.
1 Oct 2021
## LINKS
[1] /Sammelabschiebung-nach-Pakistan/!5772947
[2] https://www.nds-fluerat.org/
## AUTOREN
Reimar Paul
## TAGS
Niedersachsen
Abschiebung
Asylpolitik
Abschiebehaft
Schwerpunkt Flucht
Abschiebung
Flüchtlinge
Roma
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