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# taz.de -- Anschlag in Solingen: Ein Anschlag auf die Vielfalt
> Nach dem mutmaßlich islamistischen Anschlag in Solingen kämpft die Stadt
> mit den Folgen: Wachsende Unsicherheit und Instrumentalisierung von
> rechts.
Bild: Mit Blumen, Kerzen, Schildern drücken Menschen in Solingen ihre Trauer u…
Berlin/Solingen taz | Am Sonntagnachmittag ist der Tatort noch immer
abgesperrt. Am Boden vor dem Fronhof in Solingen liegen Blumen und Kerzen.
Auf einem Schild steht: „Warum?“ und „Du bist nicht allein.“ Von dem
[1][„Festival der Vielfalt“] und der ausgelassenen Stimmung, die hier
herrschte, ist nichts mehr zu spüren. Solingen steht nach dem Anschlag
unter Schock. Und während mehr Details über den Täter bekannt werden, sorgt
sich die Zivilgesellschaft auch, dass der Anschlag nun für Hetze
missbraucht wird.
Am Freitag waren Hunderte Menschen in der Innenstadt versammelt, um das
650-jährige Jubiläum ihrer Stadt zu feiern. [2][Während eines Bandauftritts
am Fronhof ging ein Mann] mit einem Messer auf die Feiernden los und stach
wahllos auf sie ein. Er tötete drei Menschen und verletzte acht weitere,
fünf davon schwer. Sofort nach der Tat ergriff er die Flucht und warf die
Tatwaffe in einen Mülleimer.
Suzan Köcher ist mit ihrer Band mitten in ihrem Auftritt, als sie bemerkt,
wie die Stimmung kippt. Der taz und anderen Medien hat sie ein Statement
geschickt: „Wir hatten gerade die letzte Note unseres vorletzten Songs
gespielt, da ist mir plötzlich aufgefallen, dass die Leute fluchtartig den
Platz verlassen.“
Als sie Menschen schreien hört, sucht sie sich Schutz. „Wir wussten nicht,
auf wen es der Angreifer abgesehen hat und ob es sich um ein Messer oder
eine Schusswaffe handelt, weshalb ich mich so flach hingelegt habe, wie es
geht. Von der Tat selbst habe ich nichts gesehen“, schreibt die Sängerin.
„Ich bin unglaublich traurig. Wir haben mit unserem Publikum getanzt und
uns treiben lassen. Sekunden später haben Menschen ihr Leben verloren und
hunderte weitere Leben haben sich schlagartig verändert.“
In der Nacht auf Sonntag konnte die Polizei [3][den mutmaßlichen
Messerangreifer] festnehmen: ein 26-jähriger Syrer, Issa al-H. Laut
Ermittlungsbehörden stellte er sich einer Polizeistreife und gestand die
Tat. Fast zeitgleich hatte die islamistische Terrorgruppe „Islamischer
Staat“ die Messertat für sich reklamiert. Inzwischen hat die
Bundesanwaltschaft die Ermittlungen übernommen. Gegen der Syrer wurde ein
Haftbefehl erlassen. Nach taz-Informationen hatten Sicherheitsbehörden
zunächst keine Erkenntnisse, ob und wie Issa al-H. in direktem Kontakt zum
IS stand. Die Terrorgruppe hatte erklärt, dass der Täter „ein Soldat des
Islamischen Staates“ sei. Er habe die Tat „als Rache für die Muslime in
Palästina und überall“ ausgeführt.
## Angst vor „englischen Verhältnissen“
Erst im Mai hatte ein Messerangriff [4][eines 25-jährigen Afghanen auf eine
Kundgebung des Anti-Islam-Aktivisten Michael Stürzenberger in Mannheim] für
Bestürzung gesorgt. Ein Polizist wurde dabei getötet. Vor gut einem Jahr
hatte [5][ein Islamist in Duisburg einen Mann mit einem Messer getötet] und
vier weitere verletzt. 2021 hatte ein 27-Jähriger [6][in einem ICE in
Bayern auf drei Menschen eingestochen], 2020 ein 20-Jähriger in Dresden
[7][einen Mann erstochen und seinen Partner verletzt]. Auch diese Taten
wurden als islamistisch eingestuft.
Laut Medienberichten soll Issa al-H. bei der Festnahme blutverschmierte
Kleidung getragen haben. Nach taz-Informationen fiel er bisher nicht
extremistisch auf. Der 26-jährige war Ende 2022 nach Deutschland gekommen
und hatte als Syrer zunächst einen subsidiären Schutzstatus erhalten. Im
vergangenen Jahr sollte er nach Bulgarien abgeschoben werden, wo er zuerst
in der EU eingereist sein soll. Am Abschiebetermin konnte er aber nicht
angetroffen werden. Zuerst hatte die Welt darüber berichtet. Das Fest in
Solingen war kurz nach der Tat abgebrochen worden, [8][in der Stadt
herrschte Entsetzen].
[9][Daniela Tobias] von der Bürgerinitiative „Solingen ist Bunt statt
Braun“ beobachtet, wie Menschen das Motto der Jubiläumsfeier nun zum Anlass
nehmen, um den Anschlag politisch zu instrumentalisieren. „Schon wenige
Minuten nach dem Anschlag kamen die ersten E-Mails bei uns an. Auf
Begriffen wie Vielfalt oder Klingenstadt wurde sofort rumgeritten“, sagte
Tobias der taz.
Für Sonntagabend (nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe) hat die Junge
Alternative, die Jugendorganisation der AfD, unter dem Motto „Remigration
rettet Leben“ eine Kundgebung auf dem Kirchplatz angemeldet. Dieser liegt
unmittelbar in der Nähe des Tatorts und auch der Flüchtlingsunterkunft, in
der der Täter lebte.
## In der Zange
Eine antifaschistische Kundgebung ist deshalb zeitgleich zwischen der
Flüchtlingsunterkunft und der rechten Demonstration geplant. „Wir wollen
uns schützend vor die Unterkunft stellen“, sagt Daniela Tobias. die die
Kundgebung mitorganisiert. Die Zivilgesellschaft in Solingen sei stark,
sagt sie. Aber man habe auch die Bilder vom Brandanschlag 1993 im Kopf, bei
dem fünf Menschen von Rechtsextremen ermordet wurden. „Wir haben Angst vor
englischen Verhältnissen“, sagt Tobias mit Blick auf die rechtsextremen
Ausschreitungen in Großbritannien vor wenigen Wochen. Das Motto der
antifaschistischen Demonstration trage deshalb den Namen: „Pogrome
verhindern, bevor sie entstehen“.
Auch in den kommenden Tagen dürfte die Stimmung in Solingen angespannt
bleiben. Für Montag hat der „Solinger Widerstand“ – ein Sammelbecken für
Impfgegner und Rechtsextreme – mit Plakaten in der Stadt zu einer
Demonstration aufgerufen.
In der Stadt herrscht ein Gefühl der Unsicherheit. „Dieser Mensch, der das
getan hat, hat sich gegen Vielfalt gerichtet“, sagt Tobias. „Jetzt werden
wir von zwei Seiten in die Zange genommen.“
Es ist diese Unsicherheit, die auch den Pfarrer Thomas Förster von der
evangelischen Kirche bewegt. „Viele Menschen können noch gar nicht wirklich
sortieren, was passiert ist“, sagte er der taz. Die Kirche hat nach dem
Anschlag eine Notfallseelsorge für die Betroffenen des Anschlags
eingerichtet.
## Durch den Nebeneingang in die Kirche
Am Sonntagmorgen fand in der Stadtkirche ein Trauergottesdienst statt, sie
grenzt direkt an den Tatort. Wegen der Absperrungen mussten die Trauernden
die Kirche durch einen Nebeneingang betreten. Die Kirche war voll, einige
Dutzend der etwa 700 Trauernden mussten stehen. Am Samstagabend kamen
bereits 1.500 Menschen zu einer Gedenkveranstaltung auf dem Neumarkt
zusammen.
Förster sagt, es sei „bitter, dass Menschen diese schreckliche Tat nun
instrumentalisieren, um gegen Vielfalt zu sprechen“. Er hofft auf den
Zusammenhalt seiner Mitbürger. „Ich wünsche mir, dass wir das als Stadt
gemeinsam durchstehen“, sagt der Pfarrer.
Einen Bericht über die rechten Demonstrationen und Gegendemonstrationen am
Sonntagabend finden Sie [10][hier].
24 Aug 2024
## LINKS
[1] https://solingen650.de/festival-der-vielfalt/
[2] /Drei-Tote-bei-Angriff-in-Solingen/!6032044
[3] /Anschlag-in-Solingen/!6032053
[4] /Messerattacke-in-Mannheim/!6014193
[5] /Islamistische-Attacke-in-Duisburg/!5960389
[6] /Urteil-nach-Messerangriff-im-ICE/!5904525
[7] /Islamist-fuer-Mord-in-Dresden-verurteilt/!5769647
[8] /Anschlag-in-Solingen/!6032053
[9] /Brandanschlag-in-Solingen/!6000641
[10] /Kundgebungen-in-Solingen/!6032150
## AUTOREN
Kersten Augustin
Yağmur Ekim Çay
Konrad Litschko
Svenja Schlicht
## TAGS
Solingen
Anschlag
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Schwerpunkt Rassismus
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