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# taz.de -- Zunahme von Messerangriffen: Keine Messer für Männer
> Im Bund wird über ein schärferes Waffengesetz diskutiert und Berlin prüft
> die Einrichtung von Messerverbotszonen. Helfen allein wird beides nicht.
Bild: Überwiegend schon verboten: Springmesser
Berlin taz | Neukölln, Wedding, Gesundbrunnen, Mitte: Nach vier schweren
Angriffen mit Messern am Wochenende – am Richardplatz gar mit tödlichem
Ausgang – ist die Debatte um Gewalt mit Stichwaffen in Berlin in vollem
Gange. Diskutiert wird auch über einen Vorstoß von Innenministerin Nancy
Faeser (SPD), die [1][strengere Regeln für den Besitz und das Mitführen von
Messern in der Öffentlichkeit] angekündigt hat.
Seit mehreren Jahren steigt die erfasste Zahl der Straftaten mit Messern in
Berlin deutlich an. Wurden 2013 rund 2.500 Taten gezählt, waren es 2023
knapp 3.500 Fälle – ein Zuwachs von fast 40 Prozent. Gegenüber 2022 gab es
einen leichten Anstieg von 165 Fällen, also 5 Prozent. Bei einem großen
Teil der Fälle handelt es sich um Bedrohungen – etwa bei Raubtaten. Bei
einem kleinen Anteil kommt es allerdings zu schweren und tödlichen
Körperverletzungen.
Erst kürzlich schlug die Charité Alarm: Laut Ulrich Stöckle, Direktor des
dortigen Centrums für Muskuloskeletale Chirurgie, musste das Krankenhaus im
ersten Halbjahr 2024 bereits so viele Stichverletzungen versorgen wie sonst
in einem ganzen Jahr. Derweil nahm die bundesweite Debatte nach der
tödlichen Messerattacke auf einen Polizisten in Mannheim Ende Mai Fahrt
auf.
Unter diesem Eindruck hatten die Länder, darunter Berlin, im Juni das
Bundesinnenministerium per Bundesratsinitiative ermahnt, mit der seit
Anfang 2023 angekündigten Novelle des Waffenrechts vorangekommen.
## Waffengesetz soll verschärft werden
Nun kündigte Faeser gegenüber der Bild am Sonntag an, im neuen Waffenrecht
„den Umgang mit Messern im öffentlichen Raum weiter einzuschränken“.
Demnach sollen nur noch Messer mit einer Klingenlänge von bis zu 6
Zentimetern, statt bislang 12, erlaubt sein. Für „gefährliche Springmesser�…
wolle sie ein „generelles Umgangsverbot“ schaffen. Diese Messer, bei denen
die Klinge auf Knopfdruck aus dem Griff schnellt, sind – bis auf wenige
Ausnahmen – bereits verboten. Diese Ausnahmen will Faeser nun streichen.
Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) sagte der taz: Angesichts der
Zunahme von Angriffen mit Messern „findet das Anliegen meine
Unterstützung“.
Kriminologe Dirk Baier vom Institut für Delinquenz und Kriminalprävention
an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften hält zwar die
Vereinheitlichung des Waffengesetzes für „prinzipiell sinnvoll“, sagt der
taz aber: „Allerdings ist eine solche Verschärfung kein Instrument, um
Messergewalt vorzubeugen. Schon bislang seien Messerangriffe „mit bereits
jetzt verbotenen Messern verübt“ worden.
Faeser will dem Problem auch mit Waffenverbotszonen begegnen, zumindest
fordert sie die Länder auf, solche einzurichten. In Berlin gibt es diese
Zonen bislang nicht dauerhaft und nur selten temporär. So galten Verbote
während der Fußball-EM an Treffpunkten der Fans und rings ums
Olympiastadion. Zudem [2][verbot die Bundespolizei schon mehrfach das
Mitführen von Messern an Bahnhöfen] für ein Wochenende lang, zuletzt im
März.
Auf den Bahnhöfen Gesundbrunnen, Ostkreuz, Warschauer Straße und Südkreuz
wurden dabei bei 930 Personenkontrollen elf Messer sichergestellt. Spranger
verweist nun auf die Einigung des schwarz-roten Koalitionsvertrages und
kündigt an: „Die Einrichtung solcher Waffen- und Messerverbotszonen wird
derzeit gemeinsam mit der Polizei abgestimmt.“
Skeptisch sieht das die Berliner Gewerkschaft der Polizei, die schon
mehrfach mahnte, Messerverbote werde Täter nicht abhalten. Baier sagt dazu,
Verbotszonen könnten „kurzfristig hilfreich sein, die Situation zu
beruhigen“, weil sie zeigen, dass das Problem ernst genommen werde und
„polizeiliche Kontrollen – wenn sie denn erfolgen – eine gewisse
Abschreckung haben“. Langfristig jedoch seien „solch repressiven Maßnahmen
sicher keine Lösung.“
## AfD macht rassistische Stimmung
Um Lösungen geht es jenen, die die Debatte um Messerkriminalität besonders
intensiv führen, derweil nicht. Die AfD ergötzt sich an jedem Vorfall, in
Berlin meldet sich die Partei auch zu Wort, wenn es in Magdeburg oder
Ingolstadt zu Messerangriffen kommt. Und das nie ohne rassistische
Zuschreibung. Das Leitmotiv hat der Berliner Bundestagsabgeordnete
Gottfried Curio, innenpolitischer Sprecher der Fraktion, schon vor Jahren
gesetzt: „Masseneinwanderung ist Messereinwanderung.“
Entsprechende Anfragen sollen die These bestätigen und das Thema am Laufen
halten. In dieser Legislaturperiode des Abgeordnetenhauses hat die AfD
bereits 7 Anfragen zum Thema gestellt – von 8 insgesamt. Dabei geht es
immer um den „Täterhintergrund“.
Im vergangenen Jahr antwortete die Innenverwaltung auf eine Anfrage des
AfD-Abgeordneten Marc Vallendar: Demnach hatten 2022 von 2.428
Tatverdächtigen 1.194 die deutsche Staatsbürgerschaft. Auch beantwortet
wurde die Frage nach den häufigsten Vornamen der deutschen
Staatsangehörigen: Christian, Nico und Ali.
Bei einer neuerlichen Anfrage im Mai dieses Jahres erhielt Vallendar die
Antwort auf die Namensfrage nicht mehr. Mit Bezug auf ein Urteil aus
Niedersachsen, wo eine Antwort ebenfalls verweigert wurde, argumentierte
die Innenverwaltung mit dem „Schutz der Persönlichkeitsrechte“ der
Betroffenen, auch aber mit der Möglichkeit der „sozialen Stigmatisierung“.
Für Vallendar und die AfD ist das ein derartiger Skandal, dass sie Klage
gegen den Senat eingereicht haben.
Anders als dieser formulierte Polizeipräsidentin Barbara Slowik im Juni
„zugespitzt“, wie sie es selbst nannte: „Nach unseren Zahlen ist die Gewa…
in Berlin jung, männlich und hat einen nicht-deutschen Hintergrund. Das
gilt auch für Messergewalt.“ Immerhin suggerierte Slowik dabei nicht, dass
der Griff zum Messer als Tatwaffe ethnisch bedingt ist, so wie es die AfD
tut.
Baier spricht von drei Faktoren, die das Mitführen von Messern begünstigen:
Der Freundeskreis und die Persönlichkeit – also die eigene Neigung zu
Delinquenz – und Männlichkeit. Junge Männer, für die es wichtig ist,
„Dominanz und Stärke zu demonstrieren“, führten eher Messer mit sich. Wol…
man dem Problem beikommen, müsse man „an den Faktoren arbeiten, die
Menschen dazu motivieren, Messer mit sich zu führen“.
12 Aug 2024
## LINKS
[1] /Verschaerfung-des-Waffenrechts/!5904967
[2] /Waffenkontrollen-durch-Bundespolizei/!5947734
## AUTOREN
Hanno Fleckenstein
Erik Peter
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