# taz.de -- Warnung vor „bestimmten Quartieren“: Eine alarmistische Debatte… | |
> Berlins Polizeipräsidentin rät Juden und Homosexuellen zu Vorsicht in | |
> Teilen der Stadt. Das Geraune dient letztlich der Entlastung der | |
> Mehrheitsgesellschaft. | |
Bild: Mit Kippa, sagt die Polizeipräsidentin, sollte man sich nicht überall z… | |
[1][Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik] hat mit einem Interview in | |
der Berliner Zeitung für eine Welle der Berichterstattung gesorgt, die bis | |
nach New York, London und Jerusalem schwappte. Sie sprach von Bereichen in | |
der Stadt, „da würde ich Menschen, die Kippa tragen oder offen schwul oder | |
lesbisch sind, raten, aufmerksamer zu sein“. Sie fügte hinzu: „Leider gibt | |
es bestimmte Quartiere, in denen mehrheitlich arabischstämmige Menschen | |
wohnen, die auch Sympathien für Terrorgruppen hegen.“ Dort artikuliere sich | |
„offene Judenfeindlichkeit“. | |
„No-go-Areas“ für Juden und Schwule – mitten in Deutschland!? Der | |
gekünstelte Aufschrei im konservativen und rechten Lager lag auf der Hand, | |
Slowik erntete Lob: „Mutig“ sei sie, so das am häufigsten verwendete | |
Attribut. Der alles kommentierende Jens Spahn (CDU) zog die Verbindung von | |
„Hass und Gewalt gegen Juden, Schwule, Lesben und Frauen“ zu „einer | |
arabisch-islamisch geprägten Machokultur“. | |
Um aus der per se schon rassistischen, weil verallgemeinernden Zuschreibung | |
auch noch eine [2][Kulturdebatte] zu machen, ergänzte er: „Ich habe diese | |
blinde linke Toleranz, die jeden diffamiert, der es ausspricht, so satt.“ | |
Müßig zu sagen, dass Kritik an Slowik kaum stattgefunden hatte. | |
Auch wenn es Slowik nicht aussprach, die Assoziation mit Neukölln war | |
naheliegend: Kein anderer Bezirk Berlins wird so sehr mit einer | |
arabischstämmigen Minderheit verknüpft, er fungiert für die Gegner:innen | |
einer multiethnischen Gesellschaft als Chiffre für gescheiterte | |
Integration, der Verachtung „deutscher Werte“ und für Antisemitismus. Die | |
deutsche Rechte versucht damit, Probleme wie Juden- und LGBTQ-Feindlichkeit | |
zu externalisieren. | |
## Nicht Neukölln ist der Hotspot | |
Dabei zeigt ein Blick auf die Berlin-Karte antisemitischer Vorfälle im Jahr | |
2023, nicht Neukölln ist der Hotspot, sondern Mitte und | |
Friedrichshain-Kreuzberg. Bei LGBTQ-feindlichen Vorkommnissen sind die | |
Statistiken [3][uneindeutig]: das schwule Antigewaltprojekt Maneo verortet | |
die meisten Fälle in Schöneberg und Mitte. Eine herausgehobene Stellung | |
Neuköllns ist nicht zu belegen. Auch in Mitte oder Tiergarten, die Slowik | |
kaum im Sinn gehabt haben dürfte, gilt im Übrigen: Die Möglichkeit, seine | |
Identität in Berlin auszuleben, ist größer, als die Gefahr, dafür | |
angegriffen zu werden – die Debatte über „No-go-Areas“ ist alarmistisch. | |
Richtig ist, dass die Israelfeindlichkeit bei Menschen mit arabischen, | |
teils palästinensischen Wurzeln mitunter eine besonders emotionale ist und | |
in [4][offenen Antisemitismus übergehen kann]. Dass ein Bekenntnis zu | |
Israel in Neukölln auf mehr direkte Ablehnung stößt als in Grunewald, ist | |
der Kern der Slowik’schen Warnung. Gleichzeitig verstärkt sie aber | |
Vorurteile und erleichtert es, den Antisemitismus urdeutscher Prägung | |
weniger in den Blick zu nehmen. | |
Die im selben Atemzug ausgesprochene Warnung für „Schwule und Lesben“ ist | |
noch fragiler. Davon abgesehen, dass sich ein bedeutender Teil der queeren | |
Szene der Palästinasolidarität angeschlossen hat, ist gerade Neukölln | |
durchaus ein Ort queeren Lebens. Toxische Männlichkeit kann hier zu | |
Intoleranz und Angriffen führen, die Täter sind dann womöglich arabischer | |
Abstammung. Aber toxische Männlichkeit ist auch der Grund für Angriffe auf | |
Schwule und Lesben in Marzahn, dann eben mit deutschen Tätern, meist nicht | |
nur mit Macho-, sondern auch Nazihintergrund. | |
Slowiks Geraune ist nicht nur unpräzise, sondern hilft der notwendigen | |
Debatte, wie Antisemitismus und Homophobie bekämpft werden können, kein | |
bisschen. Im Gegenteil: Die Problemübertragung auf eine Gruppe dient vor | |
allem der Entlastung der Mehrheitsgesellschaft. | |
22 Nov 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Israelfeindlichkeit-in-Berlin/!5966053 | |
[2] /Kulturkampf-als-rechtes-Framing/!5941908 | |
[3] /Queerfeindliche-Angriffe-in-Berlin/!5988883 | |
[4] /Antisemitismus-in-Berlin-Neukoelln/!5982079 | |
## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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