# taz.de -- Queerfeindliche Angriffe in Berlin: Wie bunt ist Neukölln wirklich? | |
> Das queere Café Das Hoven in Berlin-Neukölln wurde mehrfach angegriffen, | |
> ein Mitarbeiter zusammengeschlagen. Doch aufgeben will der Betreiber | |
> nicht. | |
Bild: Danjel Zarte, der Chef von „Das Hoven“ in Berlin-Neukölln | |
BERLIN taz | Das Motto von [1][Das Hoven] ist schon von Weitem zu sehen. | |
„Queer and Friends“ steht in großen Buchstaben über der Bar, sie leuchten | |
Tag und Nacht. Die große Fensterscheibe, die einen Blick auf das geräumige | |
Café in Berlin-Neukölln freigibt, ist an diesem verschneiten Januarmorgen | |
sauber. „Ausnahmsweise“, wie der Besitzer Danjel Zarte später erzählt. Die | |
Glasscheibe und die Fassade werden regelmäßig beschmiert. Schon oft musste | |
Zarte Eier, homofeindliche Beleidigungen wie „Schwuchtel“ oder „Fags“ o… | |
auch Fäkalien entfernen. | |
Seit neun Monaten hat Das Hoven in [2][Berlin-Neukölln] geöffnet, auf der | |
Karte stehen je nach Tageszeit Croque Monsieur, Tagliatelle mit Chorizo | |
oder Nussbraten mit Rotweinjus. Hier treffen Senior_innen beim Kaffee auf | |
junge Familien beim Brunch, feministische Buchclubs oder Menschen, die an | |
ihren Laptops arbeiten. Ein klassisch durchmischtes Publikum in Neukölln. | |
„Es war immer mein Traum, einen Laden zu führen, in dem es gutes Essen gibt | |
und alle Menschen sich wohlfühlen können. Ein Ort ohne Diskriminierung“, | |
sagt Zarte. | |
Doch nach einer Erfüllung seiner Träume hört es sich gerade nicht an. Wenn | |
man Zarte auf die Herausforderungen anspricht, weiß er für einen kurzen | |
Moment nicht, wo er anfangen soll. Er beginnt mit den gestiegenen Kosten | |
und erzählt von nervenaufreibenden bürokratischen Auseinandersetzungen mit | |
dem Finanz- und Ordnungsamt. Zarte kennt das Spiel, er arbeitet seit | |
zwanzig Jahren in der Gastrobranche, seit zwei Jahren betreibt er die | |
Darkroom-Bar Große Freiheit 114 in Friedrichshain, seit Kurzem auch die Bar | |
Kleine Freiheit direkt neben Das Hoven. Doch eine Situation, wie er sie | |
jetzt erlebe, sei für ihn neu. | |
## Beschmierte Scheibe, verwüstete Terrasse | |
Klar ist: Der Gastronomie in Deutschland geht es nicht gut. Steigende | |
Lebensmittelpreise und Energiekosten und die Erhöhung der Mehrwertsteuer | |
auf das Vor-Corona-Niveau von 19 Prozent macht Restaurantbesuche für viele | |
zu einem teuren Luxus. Auch Zarte musste die Preise erhöhen. | |
Doch neben den Problemen, mit denen die ganze Branche zu kämpfen hat, sieht | |
Das Hoven sich regelmäßig mit Angriffen konfrontiert. Die beschmierte | |
Scheibe und Fassade sind das eine, doch auch die Terrasse des Cafés wurde | |
schon verwüstet, die Türschlösser wurden zugeklebt oder zerschlagen. „Das | |
ist nicht nur nervig, sondern kostet auch jedes Mal eine ganze Stange | |
Geld“, sagt Zarte. Doch es bleibt nicht bei Vandalismus. Er selbst und | |
seine Angestellten seien auch schon bespuckt und körperlich angegriffen | |
worden. „Einer meiner Angestellten ist nach seiner Schicht vor der Tür | |
zusammengedroschen und als ‚Scheiß Schwuchtel‘ beschimpft worden“, sagt | |
Zarte. | |
Wenn Zarte von den Angriffen, dem Vandalismus und den Beschimpfungen | |
erzählt, wird er wütend ob der sinnlosen Gewalt, die ihm und seinem Café | |
entgegenschlägt. „Ich habe manchmal das Gefühl, ich hätte in den 90ern eine | |
Gaybar in der Eifel eröffnet und nicht ein queerfreundliches Café 2023 in | |
Neukölln“, sagt er. | |
## Immer mehr Gewalt | |
Das Hoven liegt in Kreuzkölln, dem nördlichen Teil von Neukölln. Im Kiez | |
gab es in den letzten 15 Jahren eine große Strukturveränderung: Immer mehr | |
junge Menschen wollen gerne hier leben. Viele Anwohner_innen, vor allem | |
sozial prekäre, werden verdrängt. Zu der Strukturveränderung gehört auch, | |
dass immer mehr queere Bars, Clubs und Einrichtungen eröffnet haben. Unter | |
anderem ist der größte queere Club der Stadt, das SchwuZ, 2013 von | |
Kreuzberg nach Neukölln gezogen. | |
Neukölln wird bunter, heißt es deswegen immer wieder. Aber Neukölln wird | |
auch immer mehr [3][zu einem Ort von queerfeindlicher Gewalt.] Denn das, | |
was Zarte und sein Café erleben, ist kein Einzelfall. Generell nimmt trans- | |
und homofeindliche Gewalt in Berlin stetig zu. Laut dem Jahresbericht | |
Politische Kriminalität der Polizei hat sich die Zahl an Taten, die der | |
„Hasskriminalität gegen die sexuelle Orientierung und/oder gegen das | |
Geschlecht/die sexuelle Identität beziehungsweise die geschlechtsbezogene | |
Diversität“ zugeordnet werden, von 2013 bis 2022 mehr als vervierfacht. | |
Neukölln sticht unter der Berliner Bezirken besonders durch die Schwere der | |
erfassten Delikte auf. Das geht auch aus dem [4][Camino-Bericht] hervor, | |
einem zweijährlichen LSBTI-Monitoring im Auftrag des Lands Berlins. Darin | |
heißt es, dass Neukölln vor allem durch den hohen Anteil an gefährlicher | |
Körperverletzung auffalle. | |
Doch warum? Generell steigt das Gewaltniveau in Berlin derzeit, stehen | |
queere Rechte im Zentrum gesellschaftlicher Konflikte. Viele fühlen sich | |
von allem, was klassische Männer- und Frauenbilder infrage stellt, bedroht. | |
In Neukölln hat der Anstieg auch etwas mit der Strukturveränderung zu tun. | |
Albrecht Lüter, Leiter der Berliner Arbeitsstelle Gewaltprävention, die bei | |
Camino im Auftrag der Landeskommission Berlin gegen Gewalt eingerichtet | |
wurde, sagt: „Es gibt Fortschritte, wenn es um queere Rechte und | |
Selbstbestimmung geht.“ Die Anzeigenbereitschaft der Betroffenen wachse. | |
Doch die allein reiche nicht, um den Anstieg der Zahlen zu erklären, denn | |
auch die gewachsene Sichtbarkeit von queeren Lebensweisen und Einrichtungen | |
führe zu mehr Gewalt, sagt Lüter. | |
Zwei Fälle queerfeindlicher Gewalt haben im vergangenen Jahr besonders viel | |
Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Im August gab es einen Brandanschlag auf | |
das RuT, die Räumlichkeiten einer Initiative lesbischer Frauen im | |
Schillerkiez. Das Schaufenster wurde zerstört, ein Bibelzitat draufgeklebt | |
und eine brennende Flüssigkeit in den Laden geworfen. Ein 63-jähriger Mann | |
wurde festgenommen und hat die Tat gestanden. | |
## Polizei hat zu wenig Kapazitäten | |
Einen Monat zuvor wurde ein lesbisches Pärchen in der Reichenberger Straße, | |
schon in Kreuzberg, aber knapp 700 Meter von Das Hoven entfernt, von einer | |
vierköpfigen Männergruppe beleidigt, geschlagen und getreten. Die beiden | |
Frauen kamen verletzt ins Krankenhaus, beistehende Passant_innen sollen | |
nicht eingegriffen haben. Als Reaktion auf die beiden queerfeindlichen | |
Taten gab es im August eine Demo mit mehreren Hunderten Teilnehmer_innen | |
durch Neukölln. | |
Täter_innen, die Das Hoven angreifen, wurden bislang nicht gefasst. Das | |
liegt auch daran, dass der verprügelte Mitarbeiter keine Anzeige erstatten | |
wollte. Bei zwei Einbrüchen, die Zarte zur Anzeige brachte, konnten bislang | |
keine Täter_innen ermittelt werden. Die Polizei bestätigt das der taz. | |
Menschen, die den Laden aufreißen und „Schwuchtel“ rufen oder die auf | |
Mitarbeiter_innen spucken, beschreibt Zarte als eine Gruppe junger Männer. | |
Das deckt sich mit dem Wissen, das es über die Täterschaft bei | |
Queerfeindlichkeit gibt: Die Tatverdächtigen sind in der Regel jung, so gut | |
wie immer männlich und viele sind der Polizei bereits durch Gewalttaten | |
oder politische Delikte aufgefallen. Das geht aus den Daten von Camino und | |
der polizeilichen Kriminalstatistik hervor. | |
Eine Mitarbeiterin, die seit Eröffnung für den Laden arbeitet und in diesem | |
Text anonym bleiben möchte, erzählt der taz, wie groß die Angst unter den | |
Kolleg_innen sei: „Manche wollen nicht mehr in den Keller gehen, haben | |
Angst, die Spätschicht zu übernehmen, oder wollen nicht allein arbeiten. | |
Die Ängste sind irrational, aber vielleicht auch verständlich, wenn man | |
schon mal beschimpft, bespuckt oder mit einer Plastikknarre bedroht wurde.“ | |
Auch sie selbst hat verschiedene Angriffe mitbekommen. „Es fühlt sich | |
einfach demütigend an, wenn man Eierreste vom Fenster wegputzen muss. Ich | |
hätte wirklich nicht erwartet, dass das Alltag ist in einem Berliner Café“, | |
sagt sie. | |
Hilfe von der Polizei gebe es bislang wenig. Zarte erzählt, er habe bei der | |
Polizei um mehr Präsenz und regelmäßige Streifen gebeten. Die Polizei | |
lehnte das mit der Begründung fehlender Kapazitäten ab. Gegenüber der taz | |
wollte die Polizei die Anfrage und ihre Antwort weder bestätigen noch | |
dementieren und verwies darauf, sich grundsätzlich nicht zu Schutzmaßnahmen | |
zu äußern. | |
## Queerbeauftragter für Neukölln | |
Das Problem der Queerfeindlichkeit ist dem Land Berlin und den Bezirken | |
laut Lüters Einschätzung durchaus bewusst. Es gibt zahlreiche Initiativen, | |
Angebote für Präventionsarbeit mit gewaltbereiten Jungs und Konzepte, um | |
gegen die Gewalt vorzugehen. Die Berliner Landesstelle für Gleichbehandlung | |
und gegen Diskriminierung fördert Maßnahmen und koordinierte diese | |
Prozesse. Berlin ist auch das erste Bundesland mit Monitoringberichten zu | |
trans- und homophober Gewalt und es gibt auf kommunaler Ebene verschiedene | |
Konzepte, um ein friedliches Zusammenleben in der Stadt möglich zu machen. | |
„Im Regenbogenkiez in Schöneberg, wo sichtbares queeres Leben schon seit | |
Jahrzehnten einfach dazugehört, gibt es verschiedene niedrigschwellige | |
Schutzmaßnahmen und Konzepte, wie den Nachtbürgermeister oder Initiativen | |
von Clubs vor Ort“, sagt Lüter und fügt noch hinzu: „Das ist in Neukölln | |
noch nicht etabliert. Das queere Leben ist da – aber die dazugehörigen | |
Schutzmaßnahmen sind gerade erst im Entstehen.“ | |
Dazu gehört auch, dass Neukölln nun die Stelle des Queerbeauftragten | |
einführen möchte. Der Bezirk bestätigt der taz auf Anfrage, dass das noch | |
in diesem Jahr passieren soll. Probleme löst man laut Lüter im besten Fall | |
präventiv und direkt vor Ort: Maßnahmen für ganz Berlin seien sinnvoll, | |
doch um in einem Kiez ein friedliches Zusammenleben zu garantieren, müsse | |
man die Straßenzüge, die Menschen und ihre Probleme kennen. Helfen können | |
dabei lokale Netzwerke und runde Tische, bei denen Polizei, | |
Sozialarbeiter_innen und Initiativen zusammenkommen. | |
Maßnahmen, die hoffentlich langfristig Wirkung zeigen. Für Das Hoven muss | |
es allerdings schnell gehen. „Ich sehe es eigentlich nicht ein, mich von | |
hier vertreiben zu lassen“, sagt Zarte. Und fährt fort: „Ich gebe mir noch | |
ein halbes Jahr, bis dahin muss das Café laufen.“ Auf seinem Weg dahin | |
wünscht er sich auch Unterstützung von der Stadt. „Wenn Berlin eine Stadt | |
mit gastronomischer Vielfalt sein will, dann muss sie auch etwas dafür | |
tun.“ | |
12 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.dashoven.de/ | |
[2] /Kulturkampf-in-Neukoelln/!5985925 | |
[3] /Archiv-Suche/!5860548&s/ | |
[4] /Gewalt-gegen-LGBTIQ-Community/!5738694 | |
## AUTOREN | |
Carolina Schwarz | |
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