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# taz.de -- Boom der Rüstungsindustrie: Berlin rüstet auf
> Die Rüstungsindustrie expandiert in Berlin. Start-ups arbeiten fürs
> Militär und bald gibt es auch eine Munitionsfabrik. Kritische Stimmen
> sind kaum zu hören.
Bild: Produkt mit nur einem einzigen Zweck: Palettenweise Artilleriemunition un…
Berlin taz | Mitten in Berlin, gleich neben dem Volkspark Humboldthain,
liegt ein abgeschottetes Werksgelände: Ein hoher Zaun mit Stacheldraht
umgibt das Areal, an vielen Stellen sind Videokameras montiert. Hier, in
den Fabrikhallen des Autozulieferers Pierburg, stellt die [1][Rüstungsfirma
Rheinmetall] künftig Munitionsbestandteile her.
Bereits seit Juli trägt der Standort einen neuen Namen, aus der Pierburg
GmbH – die auch schon zu Rheinmetall gehörte – wurde die Rheinmetall Waffen
Munitions GmbH. Nun wird schrittweise die Produktion umgestellt, die Firma
muss in den kommenden Monaten noch letzte Aufträge der Automobilbranche
erfüllen. Parallel werden jedoch bereits neue Maschinen installiert und die
Vorprodukte fürs Militär gefertigt.
Park, Spielplatz, [2][Freibad] – und gleich nebenan die Munitionsfabrik:
Am Pierburg-Gelände entlang Hussiten- und Scheringstraße in Gesundbrunnen
wird sichtbar, dass die „[3][Zeitenwende]“ schon längst Berlin erreicht
hat. Die Stadt wird kriegstüchtig. Und fast niemand [4][hat etwas dagegen].
Besonders deutlich zeigt sich das in Berlin im Technologiesektor. Viele
Firmen, die früher etwa zivile Anwendungen im Bereich künstliche
Intelligenz, Cybersicherheit, Drohnentechnologie oder etwa Robotik
entwickelt haben, schwenken derzeit auf den militärischen Sektor um. „Dual
Use“ heißt diese Doppelnutzung. Laut der Wirtschaftsförderungsagentur
Berlin Partner hat sich die Zahl der Dual-Use-Unternehmen in Berlin in den
vergangenen Monaten verdoppelt: von 50 auf 100.
## Goldgräberstimmung in Wirtschaft und Politik
Angesichts von Milliardeninvestitionen in die Aufrüstung herrscht in der
Branche Goldgräberstimmung. Und die Landespolitik freut sich. „Berlin hat
ein riesiges Potenzial“, sagte Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD)
in der vergangenen Woche auf einer Veranstaltung von Berlin Partner. Man
müsse offen sein: „Die Hauptstadt darf angesichts der Sicherheitslage nicht
so tun, als hätte man mit der Herausforderung nichts zu tun.“
Auch laut Stefan Franzke, Geschäftsführer von Berlin Partner, ergeben sich
durch den Dual-Use-Bereich „mittel- bis langfristig Wachstumsmöglichkeiten
für die Berliner Wirtschaft“. Dadurch sei möglich, „Sicherheit für
Unternehmen und die Bevölkerung zu schaffen“, sagte Franzke am Dienstag zur
taz.
Das sieht Damiano Valgolio anders. Der wirtschaftspolitische Sprecher der
Linken-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus kritisiert die Herstellung von
Rüstungsgütern als „süßes Gift“ für die Unternehmen. „Sie können f�…
paar Jahre lukrative Aufträge abgreifen“, sagte er am Dienstag zur taz.
Langfristig sichere das aber keine Arbeitsplätze.
Angesichts des Booms der Rüstungsbranche befürchtet Valgolio zudem eine
Rückabwicklung von klimafreundlicher Technologie zugunsten des Militärs.
„Die Umstellung auf Rüstungsproduktion macht unsere langfristigen
Bemühungen für eine Transformation hin zu einer zukunftsorientierten
Industrie kaputt“, sagte der Abgeordnete. Er lehne die Aufrüstung deshalb
nicht nur aus moralischen Gründen ab. „Ich halte das auch
industriepolitisch für den falschen Weg“, so Valgolio.
## Mit Dual Use hat die Fabrik nichts zu tun
Doch genau diesen Weg geht Rheinmetall in Gesundbrunnen. Auch mit Dual Use
hat die Fabrik nichts zu tun. Die hier gefertigten Geschosshülsen für
Artilleriemunition erfüllen nur einen einzigen Zweck: den Einsatz in der
konventionellen Kriegsführung.
Weichen muss dafür die Produktion von Lkw-Teilen. Dass das in Anbetracht
der Krise in der Automobilindustrie ein wenig zukunftsfähiges Geschäftsfeld
ist, war auch den Verantwortlichen in der Zivilsparte von Rheinmetall klar.
Deshalb sollte die Fabrik in die Wasserstofftechnologie einsteigen, wie
noch im Februar 2024 angekündigt worden war.
Doch im Rüstungssektor lockte offenbar der noch größere Profit, Rheinmetall
änderte seine Pläne ein weiteres Mal. Das Pierburg-Werk wird also weiterhin
zuliefern, nur eben nicht mehr für die Fahrzeugproduktion. Die künftigen
Vorprodukte aus Berlin können dann in der [5][neuen Munitionsfabrik von
Rheinmetall in der Lüneburger Heide] weiterverarbeitet werden, die diesen
Mittwoch unter anderem von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius,
Finanzminister Lars Klingbeil (beide SPD) sowie Nato-Generalsekretär Mark
Rutte eröffnet wird.
Durch den Schritt sollen alle rund 350 Beschäftigten in dem Berliner Werk
bleiben können, Entlassungen soll es keine geben. Für den Betriebsrat ist
das nach Jahren der Unsicherheit [6][ein Grund zur Euphorie]: „Die
Umstellung unseres Werks auf die Produktion von Rüstungsgütern ist ein in
die Zukunft gerichtetes positives Zeichen“, verkündete
Betriebsratsvorsitzender Bernd Benninghaus im Juni. „Die Transformation
läuft bei uns anders als gedacht, ist aber alternativlos.“
Offenbar sehen das nicht alle in der Belegschaft so. Es gebe „Einzelfälle
von Kollegen“, die ein Problem damit hätten, in der Rüstungsindustrie zu
arbeiten, räumte Benninghaus ein. Auch der Linken-Abgeordnete Damiano
Valgolio, der Mitglied der IG Metall ist, sprach am Dienstag von
Widerständen unter den Beschäftigten und innerhalb der Gewerkschaft. „Die
Kollegen wissen, dass die Umstellung nur eine sehr kurzfristige Sicherung
ist.“
Dennoch könne er die Erleichterung beim Betriebsrat verstehen, betonte
Valgolio: „Für jeden Kollegen steht an erster Stelle, Arbeit zu erhalten.“
Die Entscheidung über die strategische Ausrichtung der Produktion sei eine
Frage der Industriepolitik und Wirtschaftsförderung und müsse auf höherer
Ebene entschieden werden.
26 Aug 2025
## LINKS
[1] /Rheinmetall/!t5019279
[2] /Berlin-geht-baden/!t6104181
[3] /Zeitenwende-in-Europa/!6074278
[4] /Waffenproduktion-in-Berlin/!6084311
[5] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/lueneburg_heide_unterelbe/neue…
[6] /Gewerkschaften-und-Ruestungsindustrie/!6045570
## AUTOREN
Hanno Fleckenstein
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