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# taz.de -- 70 Jahre Leo Baeck Institut: Wenn Historiker selbst Geschichte werd…
> Vor 70 Jahren gründeten Holocaustüberlebende das Leo Baeck Institut zur
> Erforschung des deutsch-jüdischen Lebens. Es ist eine Schatzkammer des
> Wissens.
Bild: Das Leo Baeck Institut ist eine Dokumentations- und Forschungsstätte fü…
Jubiläen laden zu langatmigen Rückschauen ein. Als aber in der vergangenen
Woche im Jüdischen Museum zu Berlin der Festakt zum 70. Geburtstag des
[1][Leo Baeck Instituts] (LBI) begangen wurde, wich der Wiener Publizist
Doron Rabinovici von dieser Tradition ab. „Juden stehen hier wieder im
Fadenkreuz, sobald im Nahen Osten geschossen wird“, sagte er zu Beginn. Der
Polizeischutz am Libeskind-Bau gab ihm recht.
Unvorstellbar wäre es vor 70 Jahren gewesen, dass Freunde und Förderer des
LBI ausgerechnet in Berlin einen solchen Akt begehen, der Stadt, aus der
heraus die Nazis die Vernichtung der europäischen Juden organisierten. Es
gab nach 1945 noch wenige Juden in Deutschland. Doch man war sich in der
jüdischen Welt weitgehend einig, dass diese Menschen im Land der Täter
keine Zukunft haben würden. Liquidationsgemeinden, mit diesem hässlichen
Wort wurden die winzig kleinen Vereinigungen belegt, die nach 1945
entstanden waren. Liquidation, das klang nach Auflösung und einem Abschied
für immer, und so war es auch gemeint. Die Juden in Deutschland sollten
ihre Koffer packen.
Mit den Deutschen selbst wollten viele Jüdinnen und Juden schon gar nichts
zu tun haben. „Für alle Länder gültig außer für Deutschland“, stellte …
Stempel in israelischen Reisepässen ab 1950 klar.
## Benannt nach dem berühmten Rabbiner
„Für uns Juden in Deutschland ist eine Geschichtsepoche zu Ende gegangen“,
sagte der Rabbiner Leo Baeck nach seiner Befreiung aus dem Ghetto
Theresienstadt 1945. Aber, so dachten sich einige jüdische Wissenschaftler,
die den Holocaust überlebt hatten, musste diese Geschichte nicht gerade
deshalb erforscht werden? Bräuchte es dazu nicht eine Institution?
So war das vermeintliche Ende des deutschen Judentums zugleich die
Geburtsstunde des Leo Baeck Instituts, benannt nach dem berühmten Rabbiner.
1955 entstanden so drei voneinander unabhängige Institutionen in den
Zentren der jüdischen Emigration: in Jerusalem, New York und London.
Das Gebäude des Leo Baeck Instituts in der Jerusalemer Bustenaistraße 33
versteckt sich hinter altem Baumbestand. Die Gegend im Westen der Stadt war
einst ein bevorzugter Wohnort der Jeckes, wie die deutschen Juden genannt
wurden. Schmale Straßen, viel Grün und die deutsch sprechende
Nachbarschaft boten Erinnerungen an die alte Heimat.
Irene Aue-Ben-David ist keine Jecke, wie sie betont. Die heutige Direktorin
des LBI lebt seit 20 Jahren in Jerusalem. Sie sagt: „Zu Beginn stand das
Institut noch unter dem Schock des Endes der deutsch-jüdischen Geschichte
durch den Nationalsozialismus. Am Anfang war es eine
Erinnerungsgemeinschaft. Sie entwickelte sich erst später zu einem
Forschungsinstitut.“
Hans Tramer hieß der Mann, der vor 70 Jahren die Geschäfte in der
Bustenaistraße leitete. Es war gewiss kein Zufall, dass der erste
LBI-Direktor ebenso wie seine Kollegen Robert Weltsch in London und Max
Kreutzberger in New York aus der Reihe der deutschen Zionisten stammte, die
sich ins damalige Palästina retteten. Der 1905 geborene Tramer war in
seiner Jugend über den Wanderbund „Blau-Weiß“ zum Zionismus gekommen. Die
eigentliche Leidenschaft des Rabbiners war die Literatur, und besonders
Franz Kafka. Im Archiv in der Bustenaistraße finden sich die Kladden
Tramers, voll gefüllt mit Notizen über den Prager Schriftsteller.
## Israelis trieben die Gründung des Instituts voran
Es waren Israelis gewesen, die Mitte der 1950er Jahre die Diskussion über
die Gründung vorantrieben, darunter Prominente wie Martin Buber oder
Gershom Scholem – und fast ausschließlich Männer. Die LBI-Direktoren
repräsentierten den liberalen Geist in Israels Anfangsjahren. Sie geizten
nicht mit Kritik gegenüber nationalistischen Tendenzen.
„Das Land kann nur gedeihen, wenn zwischen den beiden Völkern ein
Verhältnis gegenseitigen Vertrauens besteht. Ein solches Verhältnis kann
aber nur entstehen, wenn diejenigen, die neu hinzukommen, mit dem ehrlichen
und aufrichtigen Willen kommen, mit dem anderen Volk zusammenzuleben auf
der Basis gegenseitigen Respektes“, schrieb der 1891 in Prag geborene
Journalist Robert Weltsch. Die größte Distanz zum jüdischen Staat hielt
wohl der ursprünglich in der Sozialfürsorge engagierte Kreutzberger, dem
angekreidet wurde, vor Beginn des israelischen Unabhängigkeitskriegs 1948
in die USA abgereist zu sein.
Ursprünglich war vorgesehen, dass das Jerusalemer Institut eine
Leitfunktion erhalten sollte. Daraus ist nichts geworden, doch entwickelten
die drei Institute ein bemerkenswertes Eigenleben. Größtes Renommee genießt
heute zweifellos die New Yorker Einrichtung mit ihrem auf Kreutzbergers
Initiative zurückgehenden Archiv, gefüllt mit Tausenden Schenkungen
jüdisch-amerikanischer Familien ursprünglich deutscher Herkunft – für
Forscher eine Schatzkammer zur deutsch-jüdischen Geschichte. London glänzt
durch sein [2][Jahrbuch mit wissenschaftlichen Aufsätzen] und Jerusalem
durch Übersetzungen und Veröffentlichungen im Hebräischen.
Aue-Ben-David sagt: „Die deutsch-jüdische Geschichte ist in Israel Teil der
jüdischen Geschichte. In Deutschland sieht man diese Geschichte immer durch
die Perspektive der Schoah. Es ist wichtig, dort auch andere Perspektiven
zuzulassen.“ Die Direktorin aus der Bustenaistraße konnte beim Festakt in
Berlin nicht dabei sein – [3][der Krieg] verhinderte ihre Anreise.
Dass dieser Festakt in Berlin stattfand, gibt Zeugnis ab von der
gewandelten Rolle Deutschlands. Einst ein Zentrum jüdischen Lebens, dann
herabgesunken zu einem Paria unter den Städten, beherbergt Berlin heute
eine Außenstelle des New Yorker Instituts. Auch in Berlin sammelt man
Archivalien und damit Geschichte. Und längst kooperiert das LBI mit
Forschungseinrichtungen in der Bundesrepublik.
## Die Lebenswege exilierter Jüdinnen und Juden
Dazu zählt etwa das Online-Portal „Geschichte[n] der deutsch-jüdischen
Diaspora“ des Moses-Mendelssohn-Instituts in Potsdam, das den Lebenswegen
[4][exilierter Jüdinnen und Juden] nachgeht. Ebenso unterstützt das LBI
Jerusalem ein Austauschprojekt, bei dem junge jüdische, christliche und
muslimische Handwerker aus Deutschland und Israel im jeweils anderen Land
arbeiten und leben werden.
Dieses Projekt liegt auf Eis. Das Massaker der Hamas, der Krieg in Gaza,
der Konflikt mit dem Iran – es gab schon bessere Zeiten für Kooperationen.
Auf dem Berliner Festakt erinnerte [5][Doron Rabinovici] daran, dass Juden
wieder von der Vernichtung bedroht sind, dass mit Hass und Hetze wieder
Wahlen gewonnen werden. Aber er sprach auch über das liberale Erbe des
deutschen Judentums. „Wer gegen Studien zur Vielfalt eintritt, tritt die
Tradition des Leo Baeck Instituts mit Füßen“, sagte er.
24 Jun 2025
## LINKS
[1] https://www.lbi.org/de/
[2] /Juedischer-Almanach-zum-7-Oktober/!6040975
[3] /Schwerpunkt-Nahost-Konflikt/!t5007999
[4] https://diaspora.juedische-geschichte-online.net/
[5] /Theaterstueck-ueber-7-Oktober-in-Israel/!6009991
## AUTOREN
Klaus Hillenbrand
## TAGS
Judentum
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Antisemitismus
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