# taz.de -- Der Bauernkrieg und die Gegenwart: Die erste mediale Revolution | |
> Bis heute reichen die Wirkungen des Bauernkriegs von 1525. Die Aufstände | |
> waren ein epochaler Vorschein der Demokratie. | |
Am 15. Mai 1525 vernichteten fürstliche Heere den von Thomas Müntzer | |
angeführten Bauernhaufen in Bad Frankenhausen. Während Müntzer, ein | |
begabter Redner, noch predigte, brach das kurfürstliche Söldnerheer den | |
vereinbarten Waffenstillstand. Am Abend waren sechs Söldner tot – und 6.000 | |
Bauern ermordet. Martin Luther, Begründer des deutschen Protestantismus, | |
hatte sich auf die Seite der Macht geschlagen und gefordert, [1][dass die | |
Fürsten die Aufständischen „zerschmeißen, würgen, stechen und wie einen | |
tollen Hund erschlagen“.] | |
Bad Frankenhausen gilt gemeinhin als Ende des Bauernaufstands. Aber drei | |
Tage nach dem Massaker in Thüringen eroberte ein großer Bauernhaufen | |
Freiburg. Die Bauernkriege waren dezentral, sie erstreckten sich über zwei | |
Jahre und reichten von Mitteldeutschland über den Bodensee bis Tirol. Die | |
Aufstände hatten keine Anführer – oder eben sehr viele. Sie brachen spontan | |
aus, sie organisierten sich selbstständig, ohne Oberkommando und | |
Zentralkomitee. 300.000 Bauern verließen ihre Höfe und bewaffneten sich. | |
Die Bauernkriege waren die größte Revolte in Europa vor 1789. Warum damals? | |
Warum Deutschland? Gibt es einen deutschen Sonderweg, der in 1525 eine | |
Wurzel hat? Wie schauen wir heute auf diese Revolte? | |
Zum Aufstand führten zwei parallele Umwälzungen: die Reformation und der | |
Buchdruck, jene Gutenberg-Revolution, die die Gesellschaft so tief | |
umpflügte, wie es die Digitalisierung im 21. Jahrhundert tut. Die | |
Publikation des von Luther übersetzen Neuen Testaments 1522 auf Deutsch war | |
der erste Bestseller der deutschen Geschichte. Die Luther-Bibel | |
kodifizierte die deutsche Sprache, definierte Deutschland als kulturellen | |
Raum, und demokratisierte ein Herrschaftsinstrument. Die Bauernbewegung, | |
samt ein paar Pfarrern, Handwerkern und Minenarbeitern, schuf 1525 etwas | |
unerhört Neues: eine politische Öffentlichkeit. In diesem für fast alle | |
(Männer) zugänglichen Raum war jener herrschaftsfreie Diskurs möglich, der | |
auch für moderne Demokratien fundamental ist. | |
Die zwölf Artikel der Bauernbewegung, die unter anderem die freie Wahl der | |
Pfarrer, die Abschaffung der Leibeigenschaft, Jagdrecht und niedrigere | |
Steuern forderten, wurden zum medialen Ereignis. 25.000 Exemplare wurden in | |
kürzester Zeit gedruckt und in Gasthäusern und auf Märkten vorgelesen. In | |
einer Gesellschaft mit 90 Prozent Analphabeten war das spektakulär. Wissen | |
wurde demokratisiert, die Zahl der Flugschriften wuchs rasant. | |
Der Bauernaufstand, so der Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann, war „das | |
erste medial angetriebene militärische und politische Großereignis der | |
europäischen Geschichte“. Gewissermaßen – der erste Medienkrieg. Die Rache | |
war extrem blutig. Erzherzog Ferdinand, Bruder des Kaisers, forderte, die | |
Aufständischen „zu erwürgen, zu erstechen, zu verbrennen“, ihre „Höfe … | |
Häuser zu verheeren und verderben“ und „ihre Weiber und Kinder zu | |
vertreiben“. Ungefähr 100.000 Bauern wurden getötet, weniger in Schlachten | |
als beim Abschlachten von Wehrlosen und Zivilisten. Nach der Niederlage | |
zogen Exekutionskommandos durch das Land. Wer rebelliert hatte, musste | |
extrem hohe Abgaben zahlen. Auch wenn diese Repressionen nicht die kalte | |
Systematik des organisierten Massenterrors stalinistischer oder | |
faschistischer Regime hatten – sie verströmten die gleiche, | |
angsteinflößende Botschaft. | |
Wie die Bauernbewegung den Wechsel von dem euphorischen Bewusstsein, Autor | |
der eigenen Geschichte werden zu können, zu Terror und blutigem Untergang | |
erlebte, wissen wir nicht. Die bäuerliche Kultur war weitgehend schriftlos. | |
Gerichtsdokumente Ende des 16. Jahrhunderts zeigen aber, [2][dass der | |
Bauernkrieg auch Generationen später in der oralen Überlieferung ein Davor | |
und ein Danach markierte.] Die blutige Lektion, so kann man vermuten, | |
hinterließ eine albtraumhafte Erinnerung an die gnadenlose Wucht, mit der | |
das Aufbegehren niedergewalzt worden war. Die Bauernkriege begannen als | |
Aufstand des „gemeinen Mannes“ in Deutschland – und endeten in seiner | |
Verwandlung in einen stummen, verängstigten Untertan. | |
Es dauert mehr als 300 Jahre, bis sich 1848 in Deutschland eine Bewegung | |
mit einem verwandten Impuls formierte. Der Bauernkrieg verformte auch den | |
gerade begründeten Protestantismus. Er wandelte sich von einer | |
herrschaftskritischen Religion zu einer obrigkeitsnahen Kirche. Luthers | |
Hetze gegen die Bauern war der Keim der Fusion von feudaler Herrschaft und | |
Protestantismus. Das Ergebnis war ein autoritärer Staat, den der | |
Protestantismus „mit einer gewissen Halbgöttlichkeit“ umrankte, so der | |
Theologe Ernst Troeltsch. Heiliger Staat, fromme Untertanen. | |
Die deutsche Linke hat den blutigen Untergang 1525 und Luthers Verrat als | |
Urkatastrophe und Beginn einer speziell deutschen Misere gedeutet. In | |
England 1688 und in Frankreich 1789 siegten antifeudale Revolutionen. Im | |
föderal zersplitterten Deutschland hingegen scheiterten Revolutionäre | |
regelmäßig, weil sich Moderate aus Angst vor der Unterschicht mit | |
reaktionären Mächten verbündeten. Das mag den Reformator Martin Luther mit | |
dem SPD-Politiker Gustav Noske verbinden, der nach der Novemberrevolution | |
1918 mit Rechtsradikalen paktierte. | |
Dieses Muster wiederholte sich – im auf halber Strecke liegen gebliebenen | |
demokratischen Aufstand 1848. Ebenso im 20. Jahrhundert, wenn man 1933 als | |
konterrevolutionäre Antwort auf 1918 versteht. Der Dramatiker Heiner | |
Müller, Experte für deutsches Unglück, glaubte, der in Blut ertränkte | |
Aufstand 1525 habe den deutschen Nationalcharakter zermahlen. | |
## Deutsche Autoritätshörigkeit | |
[3][Diese linke Misere- oder Sonderwegthese war eine Art Meistererzählung.] | |
Sie erklärte die deutsche Neigung zu Autoritätshörigkeit und dem Anzetteln | |
von Weltkriegen aus einem Mangel an erfolgreichen Revolutionen. Diese These | |
ist ziemlich rückstandsfrei in Vergessenheit geraten. Das hat zwei Gründe. | |
Sonderwegthesen setzen die Existenz einer Norm bürgerlicher Nationalstaaten | |
voraus, auf deren Folie Deutschland als Abweichung erscheint. Das ist zu | |
Recht als schablonenhaft kritisiert worden. Dass es mit der Demokratie in | |
den Modellstaaten Frankreich, Großbritannien und USA auch nicht zum Besten | |
steht, macht Sonderwegthesen derzeit nicht unbedingt plausibler. Vor allem | |
aber ist die Sonderwegthese von einer anderen, optimistischen | |
Meistererzählung verdrängt worden. | |
Der sozialdemokratische Historiker Heinrich August Winkler hat maßgeblich | |
die These entwickelt, dass Deutschland nach 500 Jahren und vielen | |
Verirrungen im Westen angekommen ist. Die Bundesrepublik ist ein | |
demokratischer Verfassungsstaat geworden, verbündet mit USA, Frankreich, | |
England, den Geburtsländern westlicher Werte. | |
In dieser Erzählung erscheint die Bundesrepublik als das moralisch | |
gebotene, politisch logische Ergebnis eines schmerzlichen Lernprozesses. | |
Seit der Wiedervereinigung ist die Bundesrepublik in ihrem Selbstbild | |
endgültig zur normalen Nation geworden, glücklich angekommen und fest | |
vertäut im angelsächsischen Westen. Alles fügte sich zu einer rundum | |
stimmigen Erzählung. Wahrscheinlich kann man Winkler als Pendant zum | |
amerikanischen Sozialwissenschaftler Francis Fukuyama verstehen. Der hatte | |
in „Das Ende der Geschichte“ 1992 den Sieg des Westens und der global | |
alternativlos gewordenen liberalen Demokratien gefeiert. Diese Prognose ist | |
nicht gut gealtert. Es kann sein, dass auch die Meistererzählung der | |
glücklichen Ankunft Deutschlands im Westen gerade rapide vergilbt. | |
Der Boden, auf dem die bundesdeutsche Demokratie 2025 steht, ist porös. Das | |
Bündnis mit dem großen Bruder USA löst sich. Die Rolle des demokratischen | |
Musterschülers ist ausgespielt. Der Westen, der fast teleologisch überhöhte | |
Fluchtpunkt deutscher Geschichte, war vielleicht ein Trugbild. Alles | |
beginnt zu rutschen. Damit ändert sich auch die Perspektive auf 1525. Wir | |
erzählen nicht mehr aus sicherer Position und vom guten Ende her. Das ist | |
ein Grund, ein paar selbstkritische Fragen zu stellen. Warum, zum Beispiel, | |
hat sich die demokratische Mitte so wenig für die Revolte interessiert? Die | |
Nazis verzerrten 1525 zu einem völkischen Kampf des deutschen Bauerntums. | |
Die historische Arbeiterbewegung sah im Bauernkrieg Vorbilder. | |
## Die DDR besetzte historisches Erbe | |
Daran anknüpfend dogmatisierte die SED Thomas Müntzer zu einem Ahnen von | |
Karl Liebknecht. In der DDR „erfüllen sich die Sehnsüchte der Akteure des | |
deutschen Bauernkrieges“, hieß es in dem 1987 erschienenen „Der deutsche | |
Bauernkrieg“. Diese Indienstnahme zeigte, wie krampfhaft die DDR | |
historisches Erbe besetzen musste, um die eigene Legitimität zu stützen. In | |
der Bundesrepublik interessierte man für 1525 eher routiniert. Man wollte | |
das Feld ungern der DDR-Forschung überlassen. | |
Die demokratische Mitte hatte und hat ein weitgehend indifferentes | |
Verhältnis zu 1525. Die bürgerlichen Revolutionäre von 1848 wurde | |
mittlerweile in den Kanon aufgenommen. In ihren Zielen, Verfassungsstaat | |
und Wahlrecht, konnte man sich recht einfach spiegeln. 1525 aber ist für | |
bundesdeutsche Mitte-Demokraten ein verwirrendes Ereignis. Luther, als | |
zentraler Akteur der Reformation eigentlich Heldenfigur, tritt in der Rolle | |
des Schurken auf. Müntzer ist als Identifikationsfigur zu radikal, | |
esoterisch, streitlustig, zudem mit der DDR verknüpft. | |
Die Bundespräsidenten Gustav Heinemann, Johannes Rau und zuletzt | |
Frank-Walter Steinmeier haben versucht, mit zugewandten Reden, diese Lücke | |
zu füllen. [4][Sie haben – als sozialdemokratische Protestanten mit dem | |
nötigen Sensorium ausgestattet – 1525 als „Teil deutscher | |
Freiheitsgeschichte“ und die zwölf Artikel als Vorschein der universellen | |
Menschenrechte sichtbar gemacht.] Das war nötig und löblich, aber von | |
begrenzter Reichweite. Das Interesse ist übersichtlich. Es ist vielleicht | |
kein Zufall, dass die kreativste Deutung des Bauernkrieges 2025 von keinem | |
deutschen Professor stammt, sondern von Lyndal Roper, einer australischen | |
Historikerin, die in Oxford lehrt. Es hagelte in der deutschen Geschichte | |
nicht gerade Ereignisse, die einem republikanischen Selbstverständnis als | |
ferner Spiegel dienen können. Darin haben die Vertreter der | |
Sonderweg-Erzählung recht. Es ist Zeit, die radikaldemokratischen Momente | |
in der deutschen Geschichte mehr zu schätzen. Es gibt nicht so viele davon. | |
5 May 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Wider_die_Mordischen_und_Reubischen_Rotten_de… | |
[2] https://d-nb.info/1269120212/34 | |
[3] https://www.nz.histinst.rwth-aachen.de/cms/HISTINST-NZ/Forschung/Publikatio… | |
[4] https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier… | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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