| # taz.de -- Bauernaufstände in Oberschwaben: Eine Geschichte der Sieger | |
| > Das katholische Oberschwaben war vor 500 Jahren ein Zentrum der | |
| > Bauernaufstände. Eine Reise ins prachtvolle Herz der Finsternis. | |
| Bild: Bewaffnete Bauern ziehen in den Kampf: Holzschnitt aus der Zeit des Bauer… | |
| Oberschwaben taz | Oben auf dem Turm der Waldburg wird der Besucher nach | |
| engem Aufstieg über steile Treppen mit einem weiten Rundblick belohnt: im | |
| Hintergrund die Bergkette der Alpen, der Bodensee und davor die Hügel der | |
| nacheiszeitlichen Endmoränenlandschaft. Der Ort Waldburg mit seinen circa | |
| 3.000 Einwohnern liegt im schönen Oberschwaben und hat ein Hotelrestaurant, | |
| die „Krone“, eine gut besuchte Metzgerei und vom Zahnarzt bis zur | |
| Physiotherapiepraxis eigentlich auch sonst alles für den täglichen Bedarf. | |
| Im Speisesaal der Krone über der rustikalen Eckbank, gleich neben dem | |
| weißen Kachelofen, erzählt ein Wandbild vom Aushandeln des Weingartner | |
| Vertrags im April 1525 zwischen den aufständischen Bauern und dem Truchsess | |
| von Waldburg, der dazu diente, die Bauern hinzuhalten. | |
| Die Burg derer von Waldburg-Wolfegg – schon von Weitem sichtbar – ist eine | |
| Bilderbuchburg, gut erhalten und voller Geschichten von Kaisern, Fürsten | |
| und Rittern. Sie ist ein beliebtes Ausflugsziel mit Restaurant und | |
| mittelalterlichen Events, wo Ritter und Burgfräulein in voller Ausrüstung | |
| Party feiern. | |
| Dieses Jahr gibt es ein besonderes Event auf der Burg: 500 Jahre | |
| Bauernkrieg und die Rolle des Truchsessen Georg von Waldburg in diesem | |
| Krieg. Bekannt wurde er unter dem Namen „Bauernjörg“, er war wegen seines | |
| grausamen und erbarmungslosen Durchgreifens gegen die aufständischen Bauern | |
| gefürchtet. | |
| ## Ausgebeutet durch Adel und Klerus | |
| Im Jahr 1525 zogen in Oberschwaben Bauernhaufen durch das Land, schwach | |
| organisierte militärische Truppen, die nicht nur aus Bauern, sondern auch | |
| aus Handwerkern bestanden. Etwa 95 Prozent der Bevölkerung gehörten zu | |
| diesem Stand. Ausgebeutet von Klerus und Adel forderten sie Gerechtigkeit | |
| und rächten sich zum Teil auf brutale Weise an ihren Gutsherren, plünderten | |
| Klöster, Schlösser und Kirchen. | |
| Vor allem in Süddeutschland lebte ein Großteil der Bauern am | |
| Existenzminimum, die Hälfte von ihnen in Leibeigenschaft. Und die | |
| katholische Kirche rechtfertigte das System und verdiente mit: Sie | |
| bereicherte sich über die Abgaben der Leibeigenen hinaus noch mittels des | |
| Ablasshandels, mit dem sie unter anderem prächtige Kirchen finanzierte. | |
| Christoph Wegele ist der Verwalter auf der Waldburg und führt durch deren | |
| gut erhaltene Räume. In seiner mittelalterlichen Tracht und der | |
| offensichtlichen Begeisterung für sein Thema „derer von Waldburg und der | |
| Bauernkrieg“ wirkt er wie ein letzter Gefolgsmann des Bauernjörg. Er hat | |
| auch einen Roman dazu verfasst: „Die Rache des Henkers. Ein Tagebuch aus | |
| dem Bauernkrieg.“ | |
| Vor dem Porträt des Bauernjörg, ein Bild aus der Familienchronik, die Georg | |
| von Waldburg selbst in Auftrag gab, betont Wegele: „Sein oberstes Ziel war | |
| die Ehre seiner Familie zu mehren.“ Es scheint gelungen: Bis heute besitzen | |
| die von Waldburg-Wolfegg viel Wald und Immobilien. Wegele beschreibt den | |
| Truchsess „als mutigen, klugen Strategen“, der mit dem Vertrag von | |
| Weingarten ein Blutbad verhindert habe. Beide Heere standen sich an Ostern | |
| 1525 gegenüber, wobei das Heer der Fürsten, der Schwäbische Bund, in | |
| ungünstiger Stellung lag und zu diesem Zeitpunkt den Bauern noch an | |
| Truppenstärke deutlich unterlegen war. Das erkannte der Bauernjörg, | |
| Heerführer des Schwäbischen Bundes, und versuchte eine Eskalation zu | |
| vermeiden. | |
| Die Stadt Weingarten liegt 10 Kilometer von der Waldburg entfernt. Sie hat | |
| die größte Barockbasilika Deutschlands, ein Highlight der oberschwäbischen | |
| Barockstraße, und ein ehemaliges Kloster, in dem die Pädagogische | |
| Hochschule untergebracht ist. Bekannt ist Weingarten für den alljährlichen | |
| Blutritt, eine große religiöse Reiterprozession. Der Vertrag von Weingarten | |
| wurde am 17. April 1525 geschlossen. Vertragspartner waren Georg Truchsess | |
| von Waldburg-Zeil und die Hauptleute des Seehaufens, der aufständischen | |
| Bauern vom nördlichen Bodenseeufer. | |
| In einem fünf Meter großen Mosaikkreis im Pflaster auf dem Münsterplatz | |
| unterhalb der Basilika hat die Stadt zur Erinnerung an den Weingartner | |
| Vertrag vor 500 Jahren folgende Worte aus dem Vertrag einmeißeln lassen: | |
| „Damit Frieden und Ruhe dauerhaft bewahrt werden, sollen wir …“ In dem | |
| Mosaikkreis versammeln sich je nach Jahreszeit auch die anderen festlichen | |
| Symbole der Stadt: hier steht zur Faschingszeit der Narrenbaum, an | |
| Weihnachten der Lichterbaum. | |
| Martin Oswald, Kunstprofessor an der Pädagogischen Hochschule von | |
| Weingarten und Mitglied der Denkmaljury, kritisiert wie viele andere, etwa | |
| der Historiker Elmar Kuhn, diese Form des Erinnerns: „Der Weingartner | |
| Vertrag ist eigentlich nicht denkmalwürdig, da die Bauern davon nichts | |
| hatten. Die alten Machtverhältnisse blieben erhalten und wurden besiegelt.“ | |
| Der Schriftzug nehme die Perspektive der Herrschenden und Sieger ein. | |
| Die dramatischen Folgen des Bauernkriegs aus Sicht der bäuerlichen | |
| Bevölkerung erzählt das Bauernhaus-Museum im ländlichen Wolfegg, wieder 20 | |
| Kilometer entfernt. Schmale, kurvenreiche Straßen führen durch hügelige | |
| Landschaft dorthin. Auf saftigen Wiesen weiden braune Kühe. Allgäuidylle | |
| pur. | |
| Auf einem Areal von 10 Hektar zeigt das Museum in zahlreichen, | |
| originalgetreu eingerichteten historischen Bauernhäusern die ländliche | |
| Kulturgeschichte des Allgäus. Bis zum 11. November 2026 wird dort auch die | |
| Sonderausstellung „500 Jahren Bauernkrieg in Oberschwaben“ gezeigt. Auf | |
| Stelltafeln und anhand ausgewählter Exponate aus dieser Zeit werden die | |
| Hintergründe und Ereignisse erläutert, Fragen werden beantwortet. Welche | |
| Rolle etwa spielte die Reformation und das nahe Vorbild der Schweiz? | |
| ## Klima theologischer Erneuerung | |
| Denn die Bauernaufstände finden in einem Klima theologischer Erneuerung | |
| statt, alte Gewissheiten kommen ins Wanken. Die Theologen Martin Luther | |
| (der sich auf die Seite der Fürsten gegen die Bauern stellte), Thomas | |
| Müntzer (der sich in Thüringen an die Spitze des Aufstands setzte) und der | |
| Schweizer Ulrich Zwingli (der den Forderungen der Bauern Sympathie | |
| entgegenbrachte) hinterfragen die Auslegung des Wortes Gottes, sie | |
| kritisieren Kirche und Klerus. | |
| Auch in der benachbarten Schweiz fordern aufständische Bauern in den | |
| Kantonen Zürich, Bern, Basel, Solothurn, Schaffhausen, St. Gallen und | |
| Thurgau zwischen 1523 und 1526 die Aufhebung der Leibeigenschaft, die | |
| Minderung von Abgaben und politische Mitbestimmung. Zwinglis Lehren wollen | |
| nicht nur die Reformation der Kirche. Sie verfügen auch über | |
| gesellschaftspolitischen Sprengsatz: Er erhebt das Wort gegen die | |
| zunehmende Belastung der Bauern durch Zins und Zehnt und verlangt die | |
| Abschaffung der Leibeigenschaft. | |
| Eine Stelltafel im Bauernmuseum zeigt die Zwölf Artikel, welche die | |
| süddeutschen Bauern [1][1525 in Memmingen] gegenüber den Fürstentümern des | |
| Schwäbischen Bunds erhoben. Sie sind das politische Manifest der | |
| Bauernaufstände. Sie sind auch eine der ersten schriftlichen Forderungen | |
| nach Menschen- und Freiheitsrechten in Europa. Die Bauern verlangten darin | |
| die Aufhebung der Leibeigenschaft, die Abschaffung von Frondiensten und | |
| Abgaben, die Rückkehr zu alten Freiheiten und Rechten (Jagd, Fischfang und | |
| Holzschlag) sowie die freie Wahl des Pfarrers. | |
| Die damaligen Forderungen seien nicht weniger als erste Schritte hin zu | |
| einer freien Gesellschaft gewesen – „zu unserem modernen Verständnis von | |
| Menschenrechten, Demokratie und Wohlstand“, sagte Ministerpäsident Winfried | |
| Kretschmann (Grüne) im April bei der Eröffnung der Landesausstellung | |
| „[2][Uffrur! Utopie und Widerstand im Bauernkrieg 1524/25]“ im Kloster Bad | |
| Schussenried. | |
| Dass man die zentrale Landesausstellung zum 500-jährigen Jubiläum der | |
| Bauernkriege im Südwesten ins abgelegene Bäderstädtchen zwischen Ulm und | |
| Ravensburg, knapp 30 Kilometer nördlich von Weingarten, gelegt hat, hat | |
| auch historische Gründe. Es ist die Gegend, in der sich viele mit den | |
| Ereignissen von damals identifizieren. Der Ministerpräsident kommt aus der | |
| Region und hatte sich eine Ausstellung zum Jubiläum gewünscht. Und die | |
| Geschichte der Bauernkriege wurde eben nicht in den Machtzentren, sondern | |
| in Orten wie Bad Schussenried, Baltringen oder Weingarten geschrieben. | |
| Bauernhaufen hatten auch das Kloster in Schussenried, in dem jetzt die | |
| Landesausstellung zu sehen ist, geplündert. | |
| Bei der Landesausstellung lassen sich bis 5. Oktober 2025 [3][einige | |
| Protagonisten der Bauernkriege treffen]: Mit Künstlicher Intelligenz | |
| animierte historische Figuren, die als Avatare immer wieder in den | |
| Ausstellungsräumen auftauchen und ihre Version der Geschichte erzählen. Der | |
| Bauernjörg, Götz von Berlichingen, die Bäuerin Margarete Renner oder der | |
| Kürschnergeselle Sebastian Lotzer. Der war Schreiber des Baltringer Haufens | |
| und soll maßgeblich für die Zwölf Artikel der Bauern verantwortlich sein. | |
| Die Direktorin des Landesmuseums Württemberg, Christina Haak, führt mit | |
| durch die Ausstellung. „Es scheint mir wichtig, dass die Ausstellung | |
| verdeutlicht, dass es kein ungebildeter Haufen war, der sich wehrte, | |
| sondern die Bauern haben sich Rechtsgelehrte geholt. Geschichte ist | |
| vielschichtig und spannend“, sagt Haak. Erstaunt ist sie über den | |
| Widerhall, den die Ausstellung in der Region hat. „Wir hatten überhaupt | |
| kein Problem, Leute zum Mitmachen zu finden. Es gibt hier ein kulturelles | |
| Bewusstsein über die Bauernkriege.“ Wahrscheinlich hat das historische | |
| Ereignis, das so blutig endete, Spuren in der kollektiven Psyche | |
| hinterlassen. | |
| In Baltringen, gleich in der Nähe von Schussenried, gibt es schon seit 1997 | |
| den Verein „Baltringer Haufen – Freunde der Heimatgeschichte“. Im | |
| Untergeschoss des Baltringer Rathauses sind seit 1984 zwei Räume der | |
| „Erinnerungsstätte Baltringer Haufen – Bauernkrieg in Oberschwaben“ | |
| gewidmet. Dort betont man die Bedeutung der Bauernkriege als Vorreiter | |
| eines republikanischen Staates. Seit diesem März steht im Zentrum | |
| Baltringens eine vier Meter hohe Statue, auf der zahlreiche Figuren aus den | |
| Aufständen abgebildet sind. Der Titel: „Oberschwaben erhebt sich – | |
| Erinnerung an das Streben nach Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit | |
| 1525.“ | |
| Der Aufstand der Bauern – nicht nur in Oberschwaben – wurde vernichtend | |
| geschlagen. Sie waren am Ende militärisch unterlegen. Das Beistandsbündnis | |
| des Baltringer-, Allgäuer- und Bodenseehaufens hatte im Moment des | |
| Erscheinens der Truppen des Schwäbischen Bundes nicht funktioniert. | |
| Besonders hart wurden die Baltringer Bauern bestraft. Zwar wurde das Dorf | |
| nicht, wie befohlen, niedergebrannt, doch mussten sie das Doppelte an | |
| Strafgeld zahlen. Sebastian Lotzer, ihr Schreiber, konnte sich durch die | |
| Flucht in die Schweiz retten. | |
| Am 12. Mai 1525 wurden die aufständischen Bauern auch bei Böblingen nahe | |
| Stuttgart innerhalb weniger Stunden geschlagen, am 15. Mai folgte die | |
| Niederlage im thüringischen Frankenhausen, bei der der Prediger und | |
| Anführer Thomas Müntzer gefangengenommen wurde. Die fränkischen Bauern, die | |
| sich zum Hellen Lichten Haufen vereinigt hatten, wurden am 4. Juni bei | |
| Würzburg niedergemetzelt. | |
| Die Bilanz des Krieges war schrecklich: 75.000 bis 100.000 Menschen starben | |
| auf Seiten der Bauern für die Idee von Gerechtigkeit. | |
| Ortswechsel. Steinhausen ist ein Ortsteil von Bad Schussenried. Seine | |
| Dorfkirche ist ein Meisterwerk barocker Baukunst. Das Barock war | |
| Inszenierung, Täuschung, Illusion. Alle Wände, aber vor allem die | |
| Kirchendecke sind mit Heiligen, Engeln, Kirchenfürsten und Märtyrern | |
| bevölkert. Überbordend, überladen, himmelblau, rosarot bunt, dem Himmel | |
| ganz nah. | |
| Das Barock war die Zeit der Gegenreformation, einer Bewegung in der | |
| katholischen Kirche, die vor allem vom Jesuitenorden getragen wurde. Mit | |
| allen Mitteln versuchte die Kirche damals, sich neu aufzustellen und die | |
| durch die Reformation verloren gegangenen Gebiete und Städte | |
| zurückzuerobern. So gut wie alles war auf das Jenseits ausgerichtet, um die | |
| Kämpfe im Diesseits gar nicht erst zu entfachen. | |
| Nach der Niederschlagung der Bauernaufstände konnte die katholische Kirche | |
| auch in Oberschwaben ihre Herrschaft konsolidieren und die Ausbeutung der | |
| Bauern fortsetzen. Von der dadurch möglichen Prachtentfaltung zeugt die | |
| Oberschwäbische Barockstraße, zu der neben der Dorfkirche in Steinhausen | |
| zahlreiche weitere Kirchen und Klöster gehören. Auch einige Schlösser sind | |
| darunter – erbaut von den Nachfahren jener Adeligen, die Bauernaufstände | |
| niedergeschlagen haben. | |
| Zu sehen ist am Ende immer nur die Geschichte der Sieger. | |
| 2 Jul 2025 | |
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| Edith Kresta | |
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