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# taz.de -- 500 Jahre Bauernkrieg: Die Freiheit im Stadtmarketing
> An Aufstand denken in Memmingen derzeit so gut wie alle. Das ist Folge
> eines historischen Treffens im Jahre 1525, bei dem es um die Freiheit
> ging.
Bild: Die Forderung nach Freiheitsrechten, niedergeschrieben vor 500 Jahren in …
Memmingen taz | Wie tickt denn diese Stadt heute, die sich früher eher als
Transitstation in Szene setzte auf dem Weg in die Berge, nämlich als „Tor
ins Allgäu“?
Eine erste Vorstellung davon ist beim Schlendern durch die weitläufige
Altstadt zu erhaschen, die den Krieg weitgehend heil überstanden hat. Ins
Auge stechen nicht nur imposante Gebäude mit patrizischem oder
Reicher-Bürger-Hintergrund, sondern beispielsweise auch eine Verkörperung
des Fleißes in orangefarbener Arbeitsmontur. Kniend ist der Mann damit
beschäftigt, mit einem Kratzer Gras zwischen den Pflasterfugen zu
entfernen. Ein Flaneur bekommt damit ein Auge für einen besonderen
Wesenszug der Stadt. Straßen, Plätze, Gassen, über allen liegen hier
Pflastersteine. So unterschiedlich die Steingrößen und Fugenbilder dabei
sind, so chancenlos sind doch die Gräser, die Teil des Musters werden
wollen.
## Alles im Zeichen der zwölf Artikel
Memmingen, 46.000 Einwohner, hat sich ordentlich herausgeputzt, zumal es
sich heuer das Festgewand eines besonderen Jubiläums angelegt hat. [1][500
Jahre ist es her, dass sich Vertreter der aufständischen Bauern] im Gebäude
seiner Kramerzunft berieten und – erstmals in der Geschichte – Forderungen
nach grundlegenden Freiheits- und Menschenrechten formulierten,
zusammengefasst [2][in zwölf Artikeln]. DEN Zwölf Artikeln. Als Wortmarke
finden sie 500 Jahre nach dem Bauernkrieg mittlerweile auch auf Tassen
Verbreitung wie auf Taschen. Es gibt einen „Zwölf-Artikel“-Gin und im Café
Moritz einen „500 Jahre, Zwölf Artikel, 1525 Special Drink“, wie eine Tafel
außen annonciert. Das klingt dann schon beinahe wie „Mein Haus, meine
Yacht, mein Pferd“. Und es sind tatsächlich sogar drei Drinks damit
gemeint.
Genauso häufig stößt man auf den Namenszusatz, den die Stadt sich 2020 auf
Beschluss seines Stadtrats zulegte. Seither buhlt Memmingen als „[3][Stadt
der Freiheitsrechte]“ um überörtliche Aufmerksamkeit.
Memmingen wäre aber auch doof, würde es sein schwergewichtiges
Alleinstellungsmerkmal nicht fürs Stadtmarketing nutzen. Die Plakatierung
solch fortschrittlicher Gedanken verpasst einem beim Stadtbummel auf jeden
Fall einen ganz anderen Spin, als wandelte man bloß durch eine jener
„Goethe-hat-hier-übernachtet“-Städte.
Aber ist das auch zur Stadtidentität geworden oder lediglich eine
Oberfläche der touristischen Ansicht der Stadt bildend? Das ist hier die
Gretchenfrage.
Das durchaus in die Tiefe gehende Programm zum Jubiläum lässt auf
Wahrhaftigkeit in der Positionierung schließen. Mit einem „[4][Memminger
Manifest]“ hat sich die Stadt verpflichtet, für die Freiheitsrechte
einzutreten. Mit einem alle drei Jahre verliehenen Freiheitspreis stellt
sie sich streitbaren Persönlichkeiten. Zuletzt an den Journalisten Heribert
Prantl verliehen, geht er dieses Jahr im Oktober an die Freiburger
Trainerlegende Christian Streich. Chapeau, der Mann ließ nie den leisesten
Zweifel, dass die Brandmauer für einen kleinen Vorteil wackeln könnte.
Mit zur Habenseite zählt auf jeden Fall die gut in Szene gesetzte
Ausstellung über das „[5][Projekt Freiheit]“ im örtlichen Bonhoeffer-Haus,
eingerichtet vom Haus der Bayerischen Geschichte und beim Abzielen auf alle
Sinne auf Zack. Geschnitzte Chorgestühlsfiguren erwachen darin zum Leben,
eigens kreierte „Düfte der Freiheit“ steigen einem in fruchtigen Noten in
die Nase.
## Authentischer Ort, stark lädiert
Enttäuschend hingegen Teil zwei der Ausstellung am zwar authentischen, aber
stark lädierten Ort der zwölf Artikel. Das Haus der Kramerzunft entpuppt
sich als weitgehend kaputt saniertes Baudenkmal. Ein Plastikhandlauf und
Treppenstufen in zeittypischem Sechziger-Jahre-„Schwartenmagen“-Design
führen in den denkwürdigen Versammlungssaal, von dessen originaler Substanz
einzig die gotische Decke übriggeblieben ist. Aus der Not eine Tugend
machend, gibt man ihr eine Sprache und lässt sie von sich und ihren
Erlebnissen erzählen.
Eingespannt in den Jubiläumsreigen ist ebenfalls die Mewo-Kunsthalle beim
Bahnhof, deren Angebote immer für Entdeckungen gut sind. Auch Kinder können
dort stundenlang in kreative Welten ein- und abtauchen und in „Geschichten,
die inspirieren“ schmökern. Sie erzählen von HeldInnen der Geschichte, von
den Geschwistern Scholl über Nelson Mandela bis hin zu der Kapitänin und
Aktivistin Carola Rackete.
PS: Die AfD holte bei der jüngsten Bundestagswahl in Memmingen 22,9
Prozent. Mehr als sonst in Bayern, da lag die Partei bei 19 Prozent.
Andererseits gibt es hier, in Bayern nicht gerade üblich, eine lange
Tradition von SPD-Oberbürgermeistern. Und die genannten Ausstellungsorte
nehmen das Freiheitsversprechen gleich ganz wörtlich: „Eintritt frei.“
9 Jun 2025
## LINKS
[1] /Der-Bauernkrieg-und-die-Gegenwart/!6081579
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Zw%C3%B6lf_Artikel
[3] https://www.stadt-der-freiheitsrechte.de/
[4] https://www.memmingen.de/fileadmin/Allgemeine_Dateiverwaltung/News_Presseme…
[5] https://www.hdbg.de/ausstellungen/projekt-freiheit-bauernkrieg-1525.html
## AUTOREN
Thomas Vogel
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