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# taz.de -- Eine eher unnütze Brücke: Neißewelle im Niemandsland
> Seit 10 Jahren verbindet eine Brücke das deutsche Coschen und polnische
> Żytowań. Die großen Erwartungen erfüllte sie nicht, trotzdem wurde jetzt
> gefeiert.
Bild: Grund zum Feiern: zehn Jahre Neißewelle
Coschen taz | „Neißewelle“ – zumindest der Name klingt verheißungsvoll.…
passt auch zur geschwungenen Konstruktion der 14 Meter breiten und 101
Meter langen Brücke über die Lausitzer Neiße. Seit November 2014 verbindet
die [1][Neißewelle] das brandenburgische Örtchen Coschen mit dem polnischen
Dörfchen Żytowań. Am 16. Mai wurde das zehnjährige Bestehen nachgefeiert –
direkt über dem Fluss.
Was aber gibt es zu feiern an einer Brücke, die im [2][Landkreis
Oder-Spree] mit seiner 40 Kilometer langen Grenze zu Polen nur dritte Wahl
war?
Gegen den Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Oderbrücke nördlich bei
Eisenhüttenstadt hatte sich zuvor Widerstand in Polen geregt. Keine
wirkliche Anbindung, kein Nutzen, hieß es. Gegen einen Brückenneubau noch
weiter nördlich bei Aurith gab es auf deutscher Seite Proteste. Statt
großer Lösungen wurde dann im November 2014 die kleine Neißewelle eröffnet.
Seitdem scheiden sich an ihr die Geister. „In den neunziger Jahren war es
mein Traum, dass es wieder mehr Brücken über Oder und Neiße gibt“, sagte
der ehemalige polnische Abgeordnete Czesław Fiedorowicz, Vorsitzender des
Vereins Euroregion „Spree, Neiße, Bober“, im Anschluss an die
Feierlichkeiten. Zuvor hatten der [3][Chor Adoramus aus Słubice] und das
[4][Theater 89] der Brücke ein Ständchen gesungen. Schülerinnen und
Schüler pflanzten auf deutscher und polnischer Seite einen Baum.
„Die Brücke ist einfach Realität“, fand Manfred Zalenga, der als ehemalig…
Landrat für den Brückenbau verantwortlich war und von Fiedorowicz bei der
Diskussion als „mutiger Deutscher“ bezeichnet wurde. Andere lobten die
Brücke, weil dort nach Wiedereinführung der Grenzkontrollen 2023 auf
deutscher Seite bislang kaum kontrolliert wurde.
## Über eine Million mal geklickt
Es gab und gibt aber auch kritische Stimmen. Bereits vor der Eröffnung
hatte die NDR-Satiresendung „extra 3“ der Brücke einen Beitrag gewidmet,
der über eine Million Mal geklickt wurde: „Der reale Irrsinn. Die Brücke
ins Nichts.“ In der Anmoderation hieß es: „Coschen, pulsierende Metropole
in Brandenburg. Direkt an der Neiße und der Grenze zu Polen. Auf der
anderen Seite liegt Żytowań, das Miami des Ostens und heimliche Hauptstadt
Polens. Genau die richtige Stelle, um hier eine zweispurige Brücke für 5
Millionen Euro zu bauen.“
Auch der ehemalige Landrat Zalenga kam in der Satiresendung zu Wort. Warum
braucht der Landkreis diese Brücke, Herr Zalenga? Die Antwort des
SPD-Landrats: „Um schneller zu unseren Nachbarn zu kommen. Um die
touristische Infrastruktur beiderseits der Oder zu vernetzen.“
Allerdings stammte die einzige Kosten-Nutzen-Rechnung, wie der Landrat
einräumte, aus dem Jahr 1991. Mit umgerechnet drei Millionen Euro Baukosten
und 1.000 Autos am Tag hatte man damals gerechnet. Drei Jahre nach der
Eröffnung wurden nur ein Fünftel davon gezählt.
An die Prognosen wollte Zalenga bei der Feierlichkeit nicht so gerne
erinnert werden. Auch nicht an die Hoffnungen, die mit dem Brückenbau
verbunden gewesen waren. „Endlich kommt der europäische Aufschwung zu uns“,
hatte sich der Bürgermeister von Żytowań, Kazimierz Nowicki, gefreut. In
einem Fernsehinterview stand er damals auf einem freien Feld und schaute um
sich. „Da vorne wird es einen Erlebnisbauernhof für Touristen geben. Von
einem privaten Investor“, sagte Nowicki. „Und dazu ein großes
Einkaufszentrum. Auch privat.“
Nicht minder hoch waren die Erwartungen auf deutscher Seite. „Wir sind kein
Sackgassen-Dorf mehr“, fand der Coschener Ortsvorsteher Edmund Henze,
wissend, dass es auch Kritik an der Brücke gegeben hatte.
## Eine Tanke mit Namen „Power“
Außer einer Tankstelle auf polnischer Seite ist von den großen Hoffnungen
zehn Jahre später nicht viel zu sehen – auch wenn die Tanke sich den Namen
„Power“ gegeben hat. Bleiben Tankstelle und Brücke Orte im
deutsch-polnischen Niemandsland? Auch Ortsvorsteher Henze zog bei der
Zehnjahresfeier eine positive Bilanz. „Die anfängliche Skepsis der
Coschener“ habe sich gelegt.
Das mag auch damit zu tun haben, dass inzwischen mehr Fahrradtouristen auf
der Neißewelle unterwegs sind. Gleich hinter Żytowań befindet sich der
[5][Boreksee, ein attraktiver Badesee].
Und die Grenzkontrollen? „Ich hoffe, dass es auch wieder eine Zeit gibt, in
der keine Kontrollen nötig sind“, sagte Landrat Zalengas Nachnachfolger
[6][Frank Steffen (SPD)] nach dem Chorständchen aus Słubice. Seine Kollegin
[7][Anna Januszkiewicz aus dem Kreis Krosno/Crossen] betonte, wie wichtig
es sei, vor dem Hintergrund deutschfeindlicher Töne rechter Parteien ein
Stück grenzüberschreitenden Alltag zu leben. Zuvor hatten sich beide
Landräte mit einer Umarmung begrüßt.
Kaum waren die Reden zu Ende, winkte die Bundespolizei einen Transporter an
den Straßenrand. Auch das ist inzwischen gelebter Alltag.
28 May 2025
## LINKS
[1] https://tourismus.neuzelle.de/seite/423138/nei%C3%9Fewelle.html
[2] https://www.landkreis-oder-spree.de/
[3] https://adoramus.eu/
[4] https://www.theater89.de/
[5] https://ziemialubuska.pl/pl/co-zwiedzac/przyroda-lasy/jeziora/jezioro-borek
[6] https://www.spd-oder-spree.de/landrat-frank-steffen/
[7] https://powiatkrosnienski.pl/starosta-krosnienska-anna-januszkiewicz/
## AUTOREN
Uwe Rada
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