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# taz.de -- Bremer Stadtwaldsee: Im Reich des P-Werts
> Blaualgen bedrohen Badeseen, auch wegen des wärmeren Klimas. In Bremen
> gibt es Versuche, den Stadtwaldsee zu schützen.
Bild: Im Kampf gegen die Blaualgen stören noch die Karpfen
Bremen taz | Was unter, was über dem Wasser passiert, ist kaum zu
unterscheiden, die Farben verschwimmen auf dem spiegelnden Stadtwaldsee zu
einem Bild: die Blätter der überhängenden Esche, der blaue Himmel, faserige
weiße Wolken – und faserige grüne Wolken: Algenschlieren unter der
Oberfläche. Wie Marmorpapier sieht das aus.
Die Algenschlieren sind ein Problem. Vielleicht nicht genau diese: Es gibt
unbestimmt viele Algenarten, und [1][die problematische Blaualge, die ist
eigentlich ein Cyanobakterium]. Aber welche Laiin erkennt das so genau?
Die Blaualgen jedenfalls machen der Bremer Umweltbehörde Sorgen. Giftig
sind sie, gefährlich für Mensch und Tier, wenn sie sich zu stark vermehren;
das passiert, wenn das Wasser warm und der Nährstoffgehalt hoch ist. Im
Jahr 2024 kam die Algenblüte im Stadtwaldsee schon im April, „ungewöhnlich
früh“, wie die Umweltsenatorin damals schrieb; dieses Jahr gibt es eine
Warnung vom 21. März.
Der Bremer Stadtwaldsee im Norden der Stadt ist umgeben von Grün und
Autobahn. [2][„Unisee“ heißt der er im Volksmund]; die Hochschule liegt um
die Ecke, und mit ihr ein Gewerbegebiet für Spitzentechnologie; der
[3][Fallturm am Horizont] weist darauf hin. Nur zwei, drei Kilometer ist
der Weg um den See lang, vorbei an Sandstrand und Windsurfing-Club, vorbei
am Dauercamping und am FKK-Strand.
15 Grad ist es warm – für rund zehn Männer reicht das, um sich hier nackt
in die Sonne zu stellen. Ob sie sich lästige Hosen anziehen, um die 500
Meter rüberzugehen zum Toilettenhäuschen am Hauptbadestrand? Im Wäldchen,
das den FKK-Bereich abschirmt, liegt Klopapier, wie hingetupfte Blüten. Und
zum Pinkeln, da gibt es ja noch den See.
Ungerecht ist es, die FKK-Gäste herauszupicken: Alle pinkeln in den See;
die Stadt hat prüfen lassen, wie See und Badegäste weiter in Harmonie
existieren können. Das Gutachten ist eindeutig: Entscheidend für die
Algenblüte ist der P-Gehalt. P steht für Phosphor.
## In der Stadt steht P vor allem für Pipi
Und in der Stadt, fernab von überdüngten Äckern, da steht P vor allem für
Pipi. Für etwa die Hälfte des jährlichen P-Eintrags macht das Gutachten die
Badenden verantwortlich. Ein Prozent davon über Sonnencreme, der Rest ist
Urin. Das Gutachten verdächtigt jeden der mehr als 82.000 Badegäste im
Jahr; 7,4 Kilo Phosphat sollen so zusammenkommen.
Da sind sie ja, die mutmaßlichen Übeltäter: Ein Pärchen lässt sich nicht
schrecken vom 16 Grad kalten Wasser. Verdächtig! Auch ein junger Mann
trocknet in der Sonne, neben dem DLRG-Häuschen. Na, na!
Aber was sollen sie auch tun? Wer den Weg zu den Toiletten sucht, der steht
an diesem Tag im Mai vor verschlossenen Türen. Das Klohäuschen aus Stein
ist umwuchert von Gestrüpp, „Kotze“ hat einer groß in Silberchrom auf die
Wand gemalt. Ein einsames Dixi-Klo ist ebenfalls abgeschlossen. In diesem
Sommer soll alles besser werden, verspricht die Behörde: Es soll häufiger
geputzt und ein zusätzlicher Toilettenwagen aufgestellt werden. Toi, toi,
toi!
Es ist nicht die einzige Maßnahme gegen Phosphor. Weiter im Norden führt
der Weg dicht entlang am Ufer. Am Sandstrand im Süden können selbst
Kleinkinder weit in den flachen See hineinwaten, aber im Norden, sagt das
Gutachten, ist das Ufer „steil abschüssig“. Gemeint sind kleine
Abbruchkanten zwischen Baumwurzeln und Gestrüpp.
Spielend lassen sie sich überwinden, man ahnt, dass Badende hier in den See
steigen, fernab vom Trubel. Man ahnt? Ach, falsch! Ich selbst hab schon
mein Badetuch hier ausgebreitet, bin die Böschung heruntergeschliddert und
habe die Erosion vorangetrieben. Schande.
Um die Abbruchkanten zu schützen, werden sie mancherorts festgehalten von
Pfosten und Steinen. An einer Stelle wurde ein ganzer Baumstamm als Schutz
an die Uferkante geklemmt, er treibt noch aus. Im Laufe des Jahres sollen
noch mehr Befestigungen entstehen; dahinter sollen sich neue
Flachwasserzonen mit Schilfgürteln bilden können. Mancherorts sieht man es
schon, das Schilf: Es hält den Boden fest und den dort gebundenen Phosphor.
Wenn andere Pflanzen den Phosphor verbrauchen, können das die Algen nicht
tun, so die Hoffnung. Ein Gewässerwart erzählt von Totholzbündeln, die
seine Anglerfreunde vor Kurzem in den See geworfen haben: Eine Kinderstube
für kleine Fische und ein Schutz gegen Wellenbildung, damit junge
Wasserpflanzen sich hier ansiedeln können.
## Der Gewässerwart angelt Karpfen
Der Gewässerwart steht am Südufer des Sees, vor einem Zelt. Ein paar
Angelruten sind aufgespannt. Die Angler richten sich ein: „Grill
anschmeißen?“ – „Nix dagegen.“ Die kleine Runde wird hier übernachten…
sind im Auftrag der Stadt da. 150 von 350 Karpfen im See sollen sie
rausholen und umsiedeln. Karpfen buddeln im Schlamm und zerstören so die
Vegetation: alles, was nicht Alge ist, sondern einen Grund zum Wurzeln
braucht.
Eigentlich sollten sie noch gar nicht da sein, die Angler. Erst am
Wochenende ist wieder Hegeangeln angekündigt; an drei Infotafeln weist die
Stadt darauf hin, dass Badegäste dann nicht erwünscht sind. Zum letzten
Hegeangeln am 1. Mai kamen die Menschen trotzdem, die Fische flüchteten.
„1.000 Leute“, sagt einer der Angler lakonisch, „gegen fünf von uns. Was
will man da machen.“
18 May 2025
## LINKS
[1] /Die-Wahrheit/!5876286
[2] /Streit-ueber-Dauercamper-am-Unisee/!5297263
[3] /Schwerelosigkeit-in-Bremer-Fallturm/!5991837
## AUTOREN
Lotta Drügemöller
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