# taz.de -- Die Stadtkirche in Müncheberg: Das Schiff im Schiff mit dem Kreuz … | |
> Von der Ruine zum dreifaltig genutzten Multifunktionsraum: Im | |
> brandenburgischen Müncheberg hat man erkannt, dass eine Kirche vielen | |
> Zwecken dienen kann. | |
Bild: In die Stadtpfarrkirche Müncheberg wurde die Stadtbibliothek in Schiffsf… | |
Müncheberg taz | Vor blauem Himmel umfliegen Turmfalken den Turm der | |
Stadtpfarrkirche St. Marien, die auf einer kleinen Anhöhe steht. Ist das | |
schön hier. Und geschichtsträchtig: Anfang des 13. Jahrhunderts errichteten | |
Mönche des schlesischen Zisterzienserklosters in Lebus (das rund 30 | |
Kilometer von Müncheberg entfernt liegt) eine Feldsteinkirche als erstes | |
festes Gebäude der Stadt auf der höchsten Erhebung der Gegend. Um 1233 | |
taucht der Ortsname „Monichsberch“ nach den „Mönchen auf dem Berg“ auf. | |
In den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges, im April 1945, wurde die | |
gotische Backsteinkirche durch Artillerietreffer der Roten Armee stark | |
zerstört und brannte bis auf die Grundmauern nieder. Der Turm aber blieb, | |
wie durch ein Wunder, stehen. Wie die Ruine ohne Dach und mit aus dem | |
Innern wachsenden Bäume aussah, lässt sich auf alten Fotos sehen, die in | |
der Kirche ausgestellt sind. | |
Pläne zum Wiederaufbau des Kirchenschiffes zu DDR-Zeiten scheiterten. Das | |
Ganze blieb Ruine bis nach der Wende. Doch seit bald 30 Jahren steht die | |
Kirche rundum erneuert da. | |
## Auferstanden aus Ruinen | |
Ups, da liegt ein Zettel vor der Eingangstür, mit einem Stein beschwert, | |
damit er nicht wegflattert. „Die Bibliothek ist bis auf Weiteres wegen | |
Krankheit geschlossen.“ Doch die taz ist verabredet. Also hinein. | |
Wow, diese Kirche ist echt anders. Sie lässt staunen. Der Blick fällt beim | |
Hineingehen auf Holzlamellen, dahinter Glas und Stahl und Regale mit | |
Büchern über Büchern. Es handelt sich um die Stadtbibliothek von | |
Müncheberg. | |
Durch Zufall ist gerade Karin Bertheau da, seit 8 Jahren Pfarrerin der | |
Evangelischen Kirchengemeinde Müncheberger Land. „Ein Schiff im Schiff“ | |
nennt sie die Bibliothek. Die ist erkennbar eine Art Implantat im | |
Kirchenschiff, etwas Eigenständiges, das zu schweben scheint. Denn da wurde | |
dicht an die Wand und ohne die alte Bausubstanz für eine Verankerung zu | |
benutzen ein Gebäude in Form eines Schiffskörpers ins riesige Kirchenschiff | |
hineingebaut. Das ist irritierend schön. | |
Überall sind neue und alte Bausubstanz, moderne Einbauten, alte | |
Versatzstücke wie das restaurierte Renaissance-Epitaph zu sehen. Hier wurde | |
nichts kaschiert. „Die Spuren der Zeit sind sichtbar“, sagt Pfarrerin | |
Bertheau. | |
Das Besondere hier ist, dass es eine Art Dreifaltigkeit in der Nutzung der | |
Kirche gibt. Da ist also die Stadtbibliothek und damit die Stadt vertreten. | |
Da ist der Altar im Chorraum und damit die Kirchgemeinde. Und es gibt den | |
Förderverein zum Wiederaufbau, zur Nutzung und Pflege der Kirche. Letzterer | |
ermöglicht etwa die Kirchenbesichtigungen und Turmbesteigungen. Für die | |
gemeinsame Nutzung der Kirche wurde eine Betreibergesellschaft gegründet. | |
Dirk Maier ist deren Geschäftsführer, er führt die taz durch die Kirche und | |
hat viel zu erzählen. | |
Die Initiative zum Wiederaufbau ging auf einen Bundeswehroffizier zurück. | |
Eine Bürgerinitiative gründete sich. Und weil in Müncheberg wie überall in | |
ostdeutschen Landen eine schrumpfende Kirchengemeinde keine so große Kirche | |
mehr braucht, wurde die Idee für eine multifunktionale Nutzung geboren. Es | |
gab ein Wettbewerbsverfahren mit Partizipation der Zivilgesellschaft. | |
Die Entscheidung fiel auf den Entwurf des Berliner Architekten Klaus Block | |
und sein „Haus im Haus“ wurde umgesetzt. 1993 war Grundsteinlegung für den | |
Wiederaufbau. Es gab Diskussionen, auch kontroverse, ob das gut aussieht | |
mit der eingebauten Stadtbibliothek, sozusagen als Dauergast, im | |
Kircheninneren? Am 30. März 1997 wird die Kirche wieder eingeweiht, die | |
Stadtbibliothek zieht in den modernen Einbau. | |
## Historischer Glücksfall | |
Man könnte sagen, dass es ein historischer Glücksfall war, so im | |
Nachhinein, dass die Kirche lange Zeit eine Ruine war. Denn ein | |
vergleichbares Nutzungskonzept sucht seinesgleichen. „Ja, ein Glücksfall“, | |
sagt auch Dirk Maier, „dass man sich entschieden hat, die Kirche nicht mehr | |
als reine Kirche wiederaufzubauen.“ | |
Seit 1997 gibt es einen durchgehenden Kulturbetrieb, das meiste organisiert | |
Maier. Es gibt Ausstellungen, Kinoabende, am 8. Mai findet zum 80. | |
Jahrestag des Kriegsendes ein Gesprächsabend statt. Und zu Konzerten reisen | |
Gäste aus nah und fern an, auch aus der Hauptstadt. Platz ist für über 200 | |
Menschen. „Das Konzept“, sagt Pfarrerin Bertheau, „funktioniert.“ | |
Hier entstand ein variabler Freiraum für eine flexible Nutzung, für kleine | |
wie große Formate. „Ein lebendiger Ort, wo sich alle Teile der | |
Stadtgesellschaft treffen können“, sagt Maier. Das gilt auch für das Innere | |
der vier Etagen der Stadtbibliothek, die durch die „Ausbauchung“ nach oben | |
hin breiter werden. „Das ist keine Kirche, die Kultur macht“, sagt Maier, | |
„das ist ein offenes Haus, ein Ort der Begegnung und der Kultur – immer in | |
Absprache mit der Kirchgemeinde.“ Denn Altar und Kreuz sind immer da, bei | |
jeder Veranstaltung sind sie zu sehen. | |
1 May 2025 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hergeth | |
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