# taz.de -- Marineschule in Flensburg-Mürwik: Schule mit Meerblick und NS-Verg… | |
> Hier hatte im Mai 1945 der letzte Rest des NS-Staates unter Dönitz seinen | |
> Sitz. In der Marineschule Mürwik will man sich der Geschichte endlich | |
> stellen. | |
Bild: Wasser ist das Spielfeld der Marine, die Schule liegt ganz nahe dran | |
Flensburg taz | Weithin schimmert der Backstein, wenn nicht Nebel ist, so | |
wie heute, dicht und zäh: Das rote Schloss am Meer, so nennt man in | |
Flensburg das Ensemble auf dem Steilhang der Ostseite der Förde. Sitz der | |
Mürwiker Marineschule, ein mächtiger Bau mit Seitenflügeln und dicken | |
Mauern, im Detail verspielt mit seinen Türmchen, Vorsprüngen und Giebeln. | |
Grundsteinlegung 1906. Mürwik ist da noch bloße Gemeinde mit Wiesen, Knicks | |
und Weiden, bietet freie Flächen ohne Ende und hat noch keine befestigte | |
Straße gen Flensburg und seinen städtischen Versuchungen. | |
Gut für das Militär, die Marine, der Kaiser und die Seinen wollen besonders | |
zur See aufrüsten: Es braucht Platz für den Offiziersnachwuchs, und die | |
bisherige Schule in Kiel ist für große Pläne zu klein, die Stadt noch dazu | |
sozialdemokratisch geprägt. | |
Besser als in Mürwik kann man es nicht haben. Vorbild ist baulich und | |
ideologisch: die Marienburg im Weichseldelta, mittelalterliche Ordensburg | |
und Hansestadt mit Backsteingotik. | |
## Es heißt Frau Fregattenkapitän | |
Auf dem Gelände gleich links, die einstige Kommandeursvilla. Verena | |
Lassoued hat hier ihren Arbeitsplatz, Militärhistorikerin und für den | |
militärgeschichtlichen Unterricht verantwortlich, zudem Fregattenkapitän. | |
Das erklärt sich gendermäßig so: Die Dienstränge bleiben, doch wird bei | |
Nennung und Ansprache das Geschlecht vorangestellt. Also: Frau Bootsmann | |
und Frau Fregattenkapitän. Und nicht Kapitänin, während Soldatin in Ordnung | |
geht. | |
Zuständig ist Verena Lassoued auch für die wehrgeschichtliche Sammlung, | |
lange war diese einen Nachmittag pro Woche öffentlich zugänglich. Man | |
schritt durch die Räume, schaute auf die Bildergalerien mit Kriegsschiffen | |
aller Arten, Heroisches dominierte, betrachtete auch Kriegsgerät, war | |
begeistert, blieb indifferent oder schüttelte den Kopf. Je nachdem. Nun | |
aber ist die Ausstellung geschlossen, sie wird jetzt komplett überarbeitet. | |
Denn vor allem kennt man die Mürwiker Marineschule, [1][weil hier Hitlers | |
Nachfolger Großadmiral Karl Dönitz mit seiner geschäftsführenden | |
Reichsregierung residierte] – über den 8. Mai 1945 hinaus. Mit | |
Flaggenappell, Kabinettssitzung, Erstellen des Tagesplans, dann | |
Korrespondenzen. Was sich kurios anhört, ist das Gegenteil: Diverse Nazi- | |
und SS-Größen tauchen im „Sonderbezirk Mürwik“ auf und unter, organisier… | |
ihre weitere Flucht. Todesurteile gegen angebliche „Zersetzer“ werden nicht | |
nur verhängt, sondern vollstreckt. | |
Wie gegen den Matrosen Christian Süß, der am 11. Mai am örtlichen | |
Schießplatz verscharrt wird. Am 23. Mai morgens bereiten die Briten dem | |
Treiben ein Ende und nehmen Dönitz und seine Mannschaft mit. Im Nürnberger | |
Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher erhält er zehn Jahre Haft. Seine | |
Memoiren, die er im düsteren Sachsenwald bei Hamburg schreibt, lassen sich | |
auf einen Satz eindampfen: Er habe sich nichts vorzuwerfen. Und die Marine | |
auch nicht. | |
## Der Blick auf die eigene Geschichte hat sich geändert | |
Das sah man in Mürwik lange ebenso. Wer noch in den frühen 1990ern | |
vorbeischaute, erlebte, wie schmallippig man wurde, kam das Gespräch auf | |
Dönitz, auf die fleckenfreie Marine. | |
Fregattenkapitän Lassoued erzählt: „Als Kapitän zur See Karl-Adolf Zenker | |
1956 die ersten Offiziersanwärter mit einer Rede begrüßte, in der er Dönitz | |
als aus politischen Gründen Verurteilten bezeichnete, gab es zwar eine | |
aktuelle Fragestunde im Bundestag, aber geschadet hat ihm die Sache nicht.“ | |
Karl-Adolf Zenker wurde Inspekteur der Marine. | |
Der Blick auf die eigene Geschichte habe sich aber grundlegend geändert und | |
dem wolle man weiter folgen: So solle etwa künftig in der Sammlung an den | |
U-Boot-Kommandanten Oskar Kusch erinnert werden, 1944 hingerichtet in | |
Kiel-Wik wegen „Zersetzung der Wehrkraft“. Was lange verschwiegen wurde. | |
Besonders in der Marine. | |
Nach dem Krieg ziehen Flüchtlinge aus den Ostgebieten in die Marineschule. | |
Die Zollschule kommt unter, die Pädagogische Hochschule. Und ziehen weiter, | |
als ab 1956 die Marine neu gegründet wird. Es wird angebaut, erweitert. Bis | |
heute. | |
## Freitreppe als Schmuckstück | |
Schmuckstück vom ersten Tag an ist die ausladende Freitreppe, die | |
hinunterführt an die Förde, also fast ans Meer. „Wow!“, sagt da auch der | |
Zivilist. Das muss erhebend sein, wenn man hier herunterschreitet, zu den | |
Übungsbooten. Ach, wenn man nur hier steht, sich nach Dienstschluss | |
hinausträumt auf See, weit weg vom Land mit seinen Problemen. Nebenan zeigt | |
sich das einstige Lazarett malerisch verfallen, als bewerbe es sich für | |
einen Lost Place. | |
Die Straße zurück zur Hauptstraße wird flankiert von Häusern wie Kasernen | |
im Miniformat. Um die Ecke findet sich dann das Kraftfahrtbundesamt, wo die | |
Punkte gesammelt werden. | |
Am besten man geht zu Fuß zurück, hält sich Förde-seitig, einen schmalen | |
Weg entlang, es geht kräftig bergab, in Schleifen runter ans Ufer. Vom | |
Wetter bemooste Schilder warnen vor Schusswaffengebrauch, sollte man über | |
den Zaun klettern. | |
Am Ufersaum angekommen, lichtet sich langsam der Nebel. Fahrradfahrer in | |
bunter Allwetterkleidung klingeln einen zur Seite, Kormorane sitzen | |
malerisch auf Pfählen, lassen ihre Flügel vom Wind trocknen. Und Schritt | |
für Schritt nähert sich wieder Flensburg mit seinen Kirchen, dem | |
Museumsberg, den Hafenhäusern, und hinter einem bleibt die Marine in ihrer | |
Backsteinwelt zurück. Dazwischen ist es bis heute ein langer Weg. | |
10 Apr 2025 | |
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## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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