| # taz.de -- Der Hohe Berg in Bremen: Aussicht auf Streuobst und Atomsprengköpfe | |
| > Südlich von Bremen liegt der hügelgleiche „Hohe Berg“. Bevor hier | |
| > Wanderer in die Weite guckten, zielten US-Raketen von dort aus in den | |
| > Osten. | |
| Bild: Wirkt irgendwie gar nicht so richtig bergig, der Hohe Berg | |
| Bremen taz | Misstrauisch muss man werden, wenn Niedersachsen ihre Berge | |
| anpreisen. Zumindest, wenn’s einen nicht gerade in den sonderbaren | |
| Südzipfel verschlagen hat, wo der Harz anfängt und das Weserbergland | |
| aufhört. Da gibt es wirklich Berge. Aber hier ist vom Norden die Rede, wo | |
| das Land flach ist und der tiefste Geländepunkt zweieinhalb Meter unter dem | |
| Meeresspiegel liegt. In dieser Gegend, die auf topografischen | |
| Deutschlandkarten leicht als breiter Grünstreifen vor der Nordsee zu finden | |
| ist, liegt nun also der Hohe Berg. Der heißt tatsächlich so und „erhebt“ | |
| sich etwa 15 Kilometer südlich von Bremen aus dem Acker – zwischen Ristedt | |
| und Leerßen, auch wenn Ihnen das bei der Orientierung kaum helfen dürfte. | |
| Dass man den Hügel heute einigermaßen leicht erkennt, liegt weniger an | |
| seinen 58,2 Metern über Normalnull, sondern an dem aufgeschütteten | |
| länglichen Wall obendrauf und dem markanten Aussichtsturm, der vor ziemlich | |
| genau 15 Jahren hier aufgestellt wurde. Seitdem gilt der Hohe Berg als | |
| beliebtes Ausflugsziel für Wanderungen, Fahrradtouren und | |
| Kindergeburtstage. Weil es einen schönen Spielplatz gibt und man vom Turm | |
| aus bei gutem Wetter unglaubliche 30 Kilometer weit gucken kann. | |
| Noch vor wenigen Jahren hatte man gute Chancen, hier oben auf Harald Witt | |
| zu treffen, der als Entdecker dieser Anhöhe gilt und diese Geschichte gern | |
| erzählte. Denn nochmal: So einen kleinen „Berg“ muss man als solchen erst | |
| mal erkennen, wenn man durch die Endmoränenlandschaft am Geestrand streift. | |
| Genau das hat der passionierte Wandersmann Witt getan und hier eine | |
| außerordentlich gute Aussicht bemerkt. Damit ist er dann zum Bürgermeister, | |
| der Rest ist Legende. Neben dem Turm gibt es heute einen | |
| Naturentwicklungsbereich mit Wildkräutern und Streuobstwiesen sowie Platz | |
| für allerlei Tiere von Kammmolch bis Fledermaus. | |
| Deutlich weniger Aufmerksamkeit widmen Touristeninfos und Wanderführer | |
| hingegen den verfallenen Gebäuden im Schatten des Walls. „Alte | |
| Militäranlagen“ heißt es in den meisten Texten zum Thema lapidar, | |
| „Flugabwehr-Raketenstation“ schreibt die Stadt Syke auf ihrer Website: von | |
| US-Streitkräften „zur Zeit des Kalten Krieges“ eingerichtet. | |
| ## Der Luftraum im Osten | |
| Was damit gemeint ist, hätte auch Anlass für ein eindringliches Mahnmal | |
| gegeben. Die von Graffiti und wilden Sträuchern geschmückten Ruinen waren | |
| einmal der Feuerleitbereich der hiesigen Station des | |
| Nato-Luftverteidigungsgürtels in Niedersachsen. Die 58,2 Meter Berghöhe | |
| waren lange vor naturverliebten Wanderern nämlich auch dem US-Militär | |
| aufgefallen, das von hier aus den Luftraum im Osten in den Blick nahm. Für | |
| ihre Radaranlagen ließen sie den Wall auf dem Berg aufschütten. | |
| Zurück- oder wie auch immer geschossen hätten die aus Delmenhorst | |
| pendelnden Soldaten mit Nike-Hercules-Raketen. Die waren im wenige | |
| Kilometer entfernten Abschussbereich stationiert – und das vom 10. Oktober | |
| 1975 an auch mit „Sondermunition“. Gemeint sind von rund 30 Soldaten | |
| bewachte Atomsprengköpfe eines Waffensystems mit weniger als 200 | |
| Kilometern Reichweite. | |
| Randnotiz: Die erste Stufe von Nike-Raketen stürzte direkt nach Start | |
| ausgebrannt wieder zu Boden, wofür man hier eine vier Kilometer | |
| durchmessende Einschlagszone berechnet hatte, die zum Teil auch Ristedter | |
| Wohngebiet umfasste. Das war aber wohl weniger militärischer Ignoranz | |
| geschuldet als vielmehr der Erkenntnis, dass es im Ernstfall auf etwas mehr | |
| Raketenschrott von oben auch nicht mehr angekommen wäre. | |
| ## Kriegsgebiet in Friedenszeiten | |
| Was die atomare Bewaffnung angeht, ist der Hohe Berg keine Ausnahme, | |
| sondern nur ein Puzzleteil des „Verteidigungsgürtels“ gegen die | |
| Sowjetunion. Die standardisierten Gebäude der Anlage kann man parallel zur | |
| DDR-Grenze genau so auch in anderen niedersächsischen Dörfern finden. Seit | |
| Ende des Kalten Krieges dienen sie als Paintball-Hallen, | |
| landwirtschaftliche Lagerflächen, Deponien – oder eben als naturverbundenes | |
| Ausflugsziel wie der Hohe Berg. | |
| Vor Ort dokumentiert sind die Geschichten fast nie. Man kann sie in den | |
| Archiven friedensbewegter Postillen aus den 1970er und 80er Jahren | |
| nachlesen – oder mit beachtlichem Detailgrad auf der Website | |
| [1][www.relikte.com]. Über Ristedt ist dort zu lesen, dass noch 1987 eine | |
| Inspektion der Nuklearwaffen stattfand, bevor die letzten zehn Sprengköpfe | |
| im Folgejahr abgezogen wurden. | |
| Am Hohen Berg ist es wirklich schön und der Hügel wird seichten Spott über | |
| seine doch überschaubare Höhe gut aushalten. Als Freizeit- und Naturort ist | |
| das Areal sehr vorzeigbar und die Aussicht tatsächlich toll. Nur wäre es | |
| vielleicht noch etwas aufschlussreicher, statt nur in die Ferne auch mal | |
| nach unten zu gucken, an den Fuß des Hügels, wo ein paar bunt angemalte | |
| Ruinen ruhig etwas ausdrücklicher erinnern könnten an diese irrsinnige | |
| Beinahe-Kriegszeit, die noch gar nicht so lange her ist. | |
| 11 Feb 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.relikte.com/ | |
| ## AUTOREN | |
| Jan-Paul Koopmann | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Stadtland | |
| Niedersachsen | |
| Raketen | |
| Abschreckung | |
| Schwerpunkt Stadtland | |
| Schwerpunkt Stadtland | |
| Schwerpunkt Stadtland | |
| Schwerpunkt Stadtland | |
| Schwerpunkt Stadtland | |
| Schwerpunkt Stadtland | |
| Schwerpunkt Stadtland | |
| wochentaz | |
| Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
| Schwerpunkt Stadtland | |
| Schwerpunkt Stadtland | |
| Schwerpunkt Stadtland | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Streit im beschaulichen Besigheim: Kein Prosit der Gemütlichkeit | |
| Touristen kommen gern nach Besigheim, dem „schönsten Weinort“ Deutschlands. | |
| Manchen auch zu gern: Der Hausfrieden ist gestört im schwäbischen | |
| Städtchen. | |
| 500 Jahre Bauernkrieg: Die Freiheit im Stadtmarketing | |
| An Aufstand denken in Memmingen derzeit so gut wie alle. Das ist Folge | |
| eines historischen Treffens im Jahre 1525, bei dem es um die Freiheit ging. | |
| Marineschule in Flensburg-Mürwik: Schule mit Meerblick und NS-Vergangenheit | |
| Hier hatte im Mai 1945 der letzte Rest des NS-Staates unter Dönitz seinen | |
| Sitz. In der Marineschule Mürwik will man sich der Geschichte endlich | |
| stellen. | |
| Renovierter Gendarmenmarkt in Berlin: Tarnen und Täuschen | |
| Als steinerne Wüste präsentiert sich der sanierte Gendarmenmarkt. Seine | |
| Umgestaltung folgt dem Drehbuch der Festivalisierung des Stadtraums. | |
| Archiv der DDR-Opposition: In alter Feindschaft verbunden | |
| Im Archiv der Robert-Havemann-Gesellschaft finden sich Dokumente zur | |
| DDR-Opposition – dort, wo die Stasi die Überwachung organisierte. | |
| Hallenbad mit KI-Assistenz: Die digitale Badeaufsicht | |
| Im Hamburger Bille-Bad soll künstliche Intelligenz erkennen, wenn Menschen | |
| zu ertrinken drohen. Im Notfall helfen muss aber immer noch das Personal. | |
| Die Lorenz-Entführung vor 50 Jahren: Terror-Tatort Vorstadtidylle | |
| Eigentlich ist es am Quermatenweg in Berlin-Zehlendorf beschaulich. Vor 50 | |
| Jahren entführte hier die Bewegung 2. Juni Berlins CDU-Chef Peter Lorenz. | |
| Bürgerbeteiligung in Nürnberg: Rolltreppen, die auf eine Zukunft warten | |
| Zwei leer stehende Kaufhäuser und eine kränkelnde Fußgängerzone. Nürnbergs | |
| Innenstadt soll mit Ideen aus der Bevölkerung wieder belebt werden. | |
| Jetzt kommen die Erneuerbaren: Die Ära Atomkraft ist endlich vorbei | |
| Deutschland sagt endgültig Tschüss zur Atomkraft. Warum ein Comeback | |
| unmöglich ist – und wie die Zukunft der Energieversorgung aussieht. | |
| Wenn die Stille zerreißt: Hupen im Nichts | |
| Durch die kleine schleswig-holsteinische Gemeinde Aukrug fahren Akkuzüge, | |
| die fast lautlos sind. Das wäre ein Segen, wenn sie nicht hupen müssten. | |
| Airporthotels für Haustiere: Der Flughafen als Zufluchtsort | |
| In den Böllerverbotszonen rund um die Flughäfen bieten Airporthotels | |
| Übernachtungspakete für gestresste Hunde an. Ein Besuch im Flughafen | |
| Köln-Bonn. | |
| In Heide auf dem Marktplatz: Ganz viel Weite in der Stadt | |
| Heide in Dithmarschen ist bekannt für den überdimensioniert wirkenden | |
| Marktplatz. Da gibt es allerhand Historie – und viel Platz für parkende | |
| Autos. |