| # taz.de -- Die Lorenz-Entführung vor 50 Jahren: Terror-Tatort Vorstadtidylle | |
| > Eigentlich ist es am Quermatenweg in Berlin-Zehlendorf beschaulich. Vor | |
| > 50 Jahren entführte hier die Bewegung 2. Juni Berlins CDU-Chef Peter | |
| > Lorenz. | |
| Bild: Beschaulich am Wald, was soll da schon groß passieren | |
| Berlin taz | Hier soll das gewesen sein? Auf einer Nebenstraße zwischen | |
| Eigenheimen mit Satteldach und Kiefernwald, keine 400 Meter vom beliebten | |
| Badesee Krumme Lanke? In der Vorortidylle von Berlin-Zehlendorf im | |
| Südwesten der Hauptstadt? Doch genau hier am Quermatenweg ereignete sich | |
| tatsächlich vor nun 50 Jahren die einzige Entführung in der bundesdeutschen | |
| Geschichte, bei der sich die Regierung Terroristen gegenüber auf einen | |
| Austausch einließ. | |
| Peter Lorenz, 52-jähriger Landesvorsitzender der Berliner CDU, ist an jenem | |
| Morgen des 27. Februar 1975 um kurz vor neun Uhr in einem chauffierten | |
| Dienstwagen unterwegs. Sein Fahrer hat ihn knapp anderthalb Kilometer | |
| entfernt bei ihm zu Hause abgeholt, es soll zum Rathaus Schöneberg gehen, | |
| damals auch Sitz des Abgeordnetenhauses, des Berliner Landesparlaments. Es | |
| ist ein eher warmer Tag für einen Spätwinter. 9 Grad, Sonne und keine | |
| Wolken verzeichnet die Wetterchronik für diesen Donnerstag. | |
| Drei Tage sind es an jenem Morgen noch bis zur Wahl des Abgeordnetenhauses, | |
| Lorenz ist wie schon 1971 der Spitzenkandidat seiner Partei. Auf seinen | |
| Wahlplakaten steht: „Mehr Tatkraft schafft mehr Sicherheit“. Kurz vor neun | |
| stößt plötzlich ein Lkw aus einer Nebenstraße, dem Ithweg, vor und | |
| blockiert die Weiterfahrt. Von hinten fährt ein Fiat auf. Ein historisches | |
| Foto zeigt den Laster, wie er in der Einmündung steht. | |
| Die Entführer gehören zur Bewegung 2. Juni. Die hatte laut einem | |
| Bekennerschreiben dreieinhalb Monate vorher schon [1][versucht, den | |
| Berliner Kammergerichtspräsidenten zu entführen], der dabei tödlich | |
| verletzt wurde. Vom Quermatenweg aus flüchten sie mit Lorenz in dessen | |
| Dienstwagen – aber nicht in ein abgelegenes Waldgebiet, sondern zu einem | |
| Keller in Kreuzberg unweit eines Polizeigebäudes. Seinen Fahrer hatten sie | |
| niedergeschlagen und am Tatort zurückgelassen. | |
| ## Fast alles so wie vor 50 Jahren | |
| Dort erinnert seit 2019 eine Gedenktafel an die Entführung, ansonsten wirkt | |
| es wenig verändert gegenüber einem Foto von 1975. Am Haus an der Einmündung | |
| des Ithwegs hat ein Metallzaun den damaligen Holzzaun ersetzt, eine | |
| Dachgaube ist einem größeren Dachfenster gewichen. Aber das ist es im | |
| Grunde an Veränderungen. An der Ecke steht weiterhin eine Birke, gegenüber | |
| beginnt wie damals gleich der Wald oberhalb des Sees. Alles ist ruhig an | |
| diesem Nachmittag 50 Jahre später, nur ein paar Handwerker räumen gerade | |
| zusammen. Beschaulich ruhig, das Gegenteil einer Gegend, in der man die | |
| Jacke enger schließt und sich gegen Übles wappnet. | |
| Es überrascht umso mehr, dass gerade dieser beschauliche Bezirk Zehlendorf | |
| bei der Lorenz-Entfühung schon zum zweiten Mal binnen fünf Jahren | |
| Schauplatz einer Terroristenaktion wurde. Gerade mal vier Kilometer | |
| entfernt von der Ecke Quermatenweg/Ithweg steht jenes [2][Zentralinstitut | |
| für soziale Fragen], in dem die gerade entstehende RAF 1970 Andreas Baader | |
| gewaltsam befreite – und sich Deutschlands damals berühmteste linke | |
| Journalistin Ulrike Meinhof mit einem Sprung in den Garten des Instituts in | |
| den Untergrund verabschiedete. | |
| Eine Person ist mit beiden Ereignissen verbunden: Horst Mahler, der | |
| damalige RAF-Mitgründer und heutige Neonazi, gehörte zu denen, die Baaders | |
| Befreiung vorbereiteten, und war zugleich einer jener sechs Terroristen, | |
| deren Freilassung die Bewegung 2. Juni im Austausch gegen Lorenz verlangte. | |
| Er lehnte das aber ab und blieb im Gefängnis. | |
| Die anderen fünf wurden ausgeflogen und landeten schließlich in Südjemen. | |
| Ihr Begleiter, quasi als Sicherheitsgarant, war nach einer Forderung der | |
| Terroristen der evangelische Pfarrer Heinrich Albertz, der zur Namensgebung | |
| der Gruppe eine besondere Beziehung hatte: Er war Regierender Bürgermeister | |
| Berlins, als am 2. Juni 1967 bei Protesten gegen den Schahbesuch der | |
| Student Benno Ohnesorg von einem Polizeibeamten erschossen wurde. Albertz | |
| stellte sich damals noch in der Nacht hinter die Polizei und behauptete, | |
| die sei „von Rowdys“ provoziert worden. Später revidierte er seine Haltung | |
| und setzte sich auch für inhaftierte RAF-Terroristen ein. 1970 wurde er wie | |
| vor seiner politischen Karriere wieder Pfarrer. | |
| ## Bei der Wahl im Keller | |
| Der im Quermatenweg überfallene Peter Lorenz wurde nach dem Ausfliegen der | |
| Terroristen nach Südjemen spätabends am 4. März freigelassen, die | |
| Abgeordnetenhauswahl verbrachte er also in besagtem Kreuzberger Keller. Ob | |
| unter dem Eindruck der Entführung oder des CDU-Wahlprogramms: Berlins | |
| Wählerschaft machte Lorenz’ CDU in Berlin erstmals zur stärksten Partei – | |
| [3][woran sich bis zur Wahl 2001 nichts mehr ändern sollte]. | |
| Regierender Bürgermeister wurde er trotzdem nicht: Die zuvor allein | |
| regierende SPD koalierte nun wie auf Bundesebene mit der FDP. Lorenz bekam | |
| ein anderes Amt: Er wurde kurz nach seiner Freilassung zum Präsidenten des | |
| Abgeordnetenhauses gewählt. | |
| 27 Feb 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.berlin.de/gerichte/presse/pressemitteilungen-der-ordentlichen-g… | |
| [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsches_Zentralinstitut_f%C3%BCr_soziale_Fr… | |
| [3] https://www.wahlrecht.de/ergebnisse/berlin.htm | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Alberti | |
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