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# taz.de -- 50 Jahre Peter-Lorenz-Entführung: „Alles war in Aufruhr“
> Am 27. Februar 1975 wurde der CDU-Politiker Peter Lorenz entführt. Hier
> wiederveröffentlicht: Ein Interview mit dem Lorenz-Chefermittler von
> 2005.
Bild: Versetzte die Stadt in helle Aufregung: Die Entführung von Peter Lorenz …
taz: Herr Ganschow, wir schreiben den 27. Februar 1975. Wissen Sie noch,
wie der Tag damals für Sie begann?
Manfred Ganschow: Kurz nach neun, die Morgenbesprechung beim Staatsschutz
war noch nicht zu Ende, klingelte das Telefon. Der Lagedienst war dran.
Helle Aufregung: Der Lorenz ist entführt. Wir haben sofort ein ganzes
Kommissariat zum Quermatenweg rausgeschickt. Wir haben besichtigt, was noch
zu besichtigen war.
taz: Was war das?
Ganschow: Der rote Fiat, den sie stehen gelassen hatten, und der Lkw.
taz: Der Lkw war aus einer Seitenstraße gekommen und hatte den
Dienstmercedes von Lorenz zum Halten gezwungen. Im selben Moment hat der
rote Fiat den Wagen von hinten gerammt.
Ganschow: Der Fahrer von Lorenz stieg aus und bekam einen über den Kopf.
Dann stürmten mehrere Männer den Dienstmercedes, und ab ging es.
taz: Lorenz saß auf dem Beifahrersitz. Hat er sich das so gefallen lassen?
Ganschow: Keineswegs. Er hat so um sich getreten, dass die
Windschutzscheibe zu Bruch ging. Das war an der Auffahrt zur Avus. Dort
haben wir später die Glassplitter gefunden. Die sind mit 160 Sachen über
die Autobahn, ohne Scheibe. Lorenz hatte eine Kapuze auf. Die Täter selbst
waren auch maskiert. Das war ganz schön riskant.
taz: Es wurde die größte Fahndungsaktion Westberlins eingeleitet.
Ganschow: Das kann man wohl sagen. Alles, was Beine hat – raus! Dabei
wusste eigentlich keiner, wonach man – abgesehen von dem schwarzen
Dienstwagen – fahnden sollte. Der Lkw war unter falschen Papieren gemietet,
der Fiat geklaut. Mehr wussten wir nicht. Klar war nur, dass es sich um
einen politischen Hintergrund handelte.
taz: Drei Tage später waren in Berlin Abgeordnetenhauswahlen. Lorenz war
CDU-Spitzenkandidat. Wie war die Stimmung in der Stadt?
Ganschow: Alles war in Aufruhr. Wenige Monate zuvor war der
Kammergerichtspräsident von Drenkmann erschossen worden. Die ganze Machart
hatte nach einer geplanten Entführung ausgesehen. Und nun der
CDU-Spitzenkandidat. Es gab nichts Vergleichbares zuvor. Funk und Fernsehen
waren voll. Am selben Tag wurde ein Krisenstab unter der Leitung des
Regierenden Bürgermeisters Klaus Schütz eingerichtet. Parallel dazu tagte
in Bonn ein sogenannter Arbeitsstab.
taz: Nach mehreren Fahrzeugwechseln wurde Lorenz in einer Truhe in die
Schenkendorfstraße 7 in Kreuzberg gebracht und dort im Keller eines
Trödelladens gefangen gehalten. Hatten Sie einen Verdacht, wo er sein
könnte?
Ganschow: Überhaupt nicht. Am ersten Tag war gar nichts klar. Am zweiten
Tag ging das Schreiben mit dem Foto „Peter Lorenz, Gefangener der Bewegung
2. Juni“ ein. Nun wussten wir, wer die Täter waren und was sie wollten: Die
Freilassung der inhaftierten Terroristen Verena Becker, Ina Siepmann, Rolf
Pohle, Gabriele Kröcher-Tiedemann, Horst Mahler und Rolf Heißler. Die
Tendenz, der Forderung nachzugeben, wurde für uns noch am selben Tag in der
Weisung des Innensenators sichtbar, alle öffentlichkeitswirksamen
Fahndungsmaßnahmen zu unterlassen.
taz: Hat sich die Polizei wirklich daran gehalten?
Ganschow: Mussten wir. Büromäßig haben wir natürlich weitergemacht. Wir
sind ja von der Bevölkerung mit Hinweisen zugeschüttet worden, rund 3.000
allein in den ersten fünf Tagen. Die haben wir versucht, vom Schreibtisch
aus abzuklären. Kripobeamte habe sich draußen auch schon mal umgehorcht.
Aber es gab keine Durchsuchungen.
taz: Schütz war von Anfang an dafür, der Forderung nachzugeben. Zusammen
mit Helmut Kohl und Franz Josef Strauß hat er sich gegen die
sozialdemokratische Bundesregierung durchgesetzt.
Ganschow: Vor allem Bundeskanzler Helmut Schmidt war meines Erachtens
dagegen. Im Nachhinein muss man sagen, Schmidt hatte Recht.
taz: Schütz verteidigt seine Entscheidung bis heute damit, der Staat sei
vor allem dazu da, den einzelnen Bürger zu schützen.
Ganschow: Da ist was dran. Aber die Besetzung der deutschen Botschaft in
Stockholm am 25. April 1975 sowie die Entführung und Ermordung des
Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer im Herbst 1977 wären wohl
nicht passiert, wenn man schon bei Lorenz hart geblieben wäre. In Berlin
wurde ein Präzedenzfall geschaffen, der andere ermuntert hat.
taz: Am Morgen des 4. März wurden fünf der Gefangenen – Mahler wollte nicht
mit – in Begleitung des früheren Bürgermeisters Pastor Albertz von
Frankfurt aus in die Volksrepublik Jemen geflogen. Haben Sie da an die
Freilassung von Lorenz geglaubt?
Ganschow: Ja. Hinterher ist es leicht, das zu sagen. Das war einfach
Feeling. Wenn der Baader und die RAF dahinter gesteckt hätten, wäre ich
nicht so optimistisch gewesen. Bei der Bewegung 2. Juni hatten wir den
Eindruck: Die sind zwar politisch verbohrt, aber in dem Punkt fair, dass
sie sich an ihre Zusagen halten.
taz: Wann kam der Anruf?
Ganschow: Kurz nach Mitternacht. Mein Chef Manfred Kittlaus und ich hatten
die ganze Zeit der Entführung auf Feldbetten in unseren Büros campiert.
Lorenz wurde im Volkspark Wilmersdorf an einer Telefonzelle freigelassen.
Von da hat er seine Frau angerufen. Ein Team vom Staatsschutz hat ihn
sofort zu uns ins Präsidium geholt.
taz: Wie wirkte Lorenz?
Ganschow: Er hatte den Anzug an, mit dem er am 27. Februar morgens zur
Arbeit gefahren war, wirkte nicht heruntergekommen. Er war ein bisschen
übermüdet, aber locker und burschikos und hat uns alles erzählt, was wir
wissen wollten. Die haben ihn ja korrekt behandelt und gut versorgt. Sie
haben ihm sogar Unterwäsche gekauft und seine Hose genäht.
taz: Die war bei der Entführung zerrissen, als er eine Betäubungsspritze
ins Bein bekam.
Ganschow: Wahrscheinlich hat Inge Viett die Hose geflickt. Die soll
überhaupt die freundlichste von denen gewesen sein. Aber sicher ist das
nicht. Die Entführer hatten ja die ganze Zeit Kapuzen auf. Nach 30 Jahren
erzählen die ja inzwischen frei von der Leber weg, wie alles gewesen ist.
Aber die haben nie einen Namen genannt, wer was gemacht hat. Nie. Das ist
ihr Codex.
taz: Nach Lorenz’ Freilassung gab es für die Polizei kein Halten mehr?
Ganschow: Fünf Tage hatten wir die Füße still gehalten. Jetzt hieß es: Der
Staat muss Flagge zeigen. Ein Riesending muss losgelassen werden. Die Folge
war die sogenannte Aktion Wasserschlag. Über 90 Durchsuchungen wurden
angeordnet. Alles Adressen, die irgendwo links angehaucht waren. Rauchhaus,
Bethaniendamm, Weißbecker Haus. Das lag überhaupt nicht in der Intention
des Staatsschutzes. Wir haben immer gesagt: Kinder, da finden wir die doch
nicht. Die würden einen Teufel tun und sich dort verstecken. Egal, war die
Antwort, das können wir uns nicht bieten lassen. Natürlich wurde nichts
Sachdienliches gefunden.
taz: Die Durchsuchungstrupps haben zum Teil agiert wie die Axt im Walde.
Ganschow: Die geschlossenen Einheiten der Schutzpolizei hatten die ganze
Zeit in höchster Alarmbereitschaft verharrt. Bei denen hatte sich ein
immenser Dampf aufgestaut. Aber es gab noch etwas anderes, was uns, dem
Staatsschutz, zu schaffen machte.
taz: Bitte erzählen Sie.
Ganschow: Als Lorenz frei war, wurde drüben in Westdeutschland politisch
entschieden: Berlin muss bei der Fahndung unterstützt werden. Alles musste
ganz, ganz schnell gehen. Die Bundesländer haben auf der Stelle 500 Beamte
abgeordnet. Die Leute wurden direkt von den Funkwagen weggeholt: Du fliegst
jetzt nach Berlin, du musst den Lorenz-Keller finden.
taz: Die vielen Fremdkräfte waren für Sie, den Leiter der Sonderkommission
Lorenz, ein Problem?
Ganschow: Es war Horror. Die Beamten kamen zum Teil vom platten Land,
kannten die Stadt nicht. Wir mussten die ausrüsten, Stadtpläne, Autos,
Essen und Unterkünfte beschaffen. Die haben uns mehr Arbeit gemacht als
genützt.
taz: Wie viele Keller sind kontrolliert worden?
Ganschow: Hunderte. Die eingeteilten Beamten hießen bei uns nur noch
„Kellerasseln“.
taz: Irgendwann tauchten mehrere blaue Müllsäcke in Containern in
Zehlendorf und Marienfelde auf. Was hatte es damit auf sich?
Ganschow: Lorenz identifizierte die Sachen als Gegenstände aus seinem
Versteck: Tapete, Styropor, Bilder. Es hing ja ein Che-Guevara-Poster an
der Wand und eine Trimm-dich-Anleitung zum Fithalten. Die Dinge waren voll
Fingerspuren. Unsere Frage an die Bevölkerung lautete nun: „Wer hat
gesehen, wie blaue Müllsäcke in ein Auto verladen wurden?“ Hunderte von
Hinweisen gingen ein, darunter auch ein Tipp auf die Schenkendorfstraße.
Zwei Beamte haben sich den Keller angeguckt, im ersten Raum aber
kehrtgemacht, weil der nicht den von Lorenz angegebenen Maßen entsprach.
taz: Ein Fehler, wie sich später zeigte.
Ganschow: Im November hatten wir fast alle, die nach unserer damaligen
Erkenntnis an der Entführung beteiligt waren, festgenommen: Ronald
Fritzsch, Gerald Klöpper, Till Meyer, Inge Viett, Ralf Reinders, Juliane
Plambeck, Gabriele Rollnick und Fritz Teufel. Nun hatten wir etwas Ruhe und
sind die fast 10.000 Hinweise noch mal durchgegangen. Diesmal haben das
unsere eigenen Fachleute gemacht. Die haben dann entdeckt, dass sich hinter
dem ersten Keller in der Schenkendorfstraße ein zweiter, wesentlich höherer
Raum befand, dessen Eingang zugestellt war. Das war das Lorenz-Gefängnis.
taz: Mitten in Kreuzberg – hätten Sie sich das träumen lassen?
Ganschow: Mit Sicherheit nicht. Kittlaus und ich sind sofort hingefahren.
Unsere erste Reaktion war: eine unverschämte Frechheit. Das war 100 Meter
Luftlinie von der Polizeidirektion 5 in der Friesenstraße. Und auf der
anderen Seite war auch noch ein CDU-Büro.
27 Feb 2025
## AUTOREN
Plutonia Plarre
## TAGS
Bewegung 2. Juni
Linksextremismus
CDU Berlin
Entführung
Schwerpunkt Stadtland
Lesestück Recherche und Reportage
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