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# taz.de -- Renovierter Gendarmenmarkt in Berlin: Tarnen und Täuschen
> Als steinerne Wüste präsentiert sich der sanierte Gendarmenmarkt. Seine
> Umgestaltung folgt dem Drehbuch der Festivalisierung des Stadtraums.
Bild: Eventschauplatz, Denkmal und Klimasünde: der Gendarmenmarkt in Berlin
Berlin taz | Um den [1][Gendarmenmarkt] zu verstehen, hilft ein Blick auf
die Herkunft seines Namens. Berlins Schmuckplatz wurde 1688 an jener Stelle
angelegt, an der zuvor das Kürassierregiment Gens d’armes kaserniert war.
Am Gendarmenmarkt wurde also zuvörderst strammgestanden. Die Kultur,
behaust im [2][Schinkel’]schen Schauspielhaus, und die preußische Toleranz,
heruntergebetet im Französischen und Deutschen Dom, kamen erst im Nachgang.
Strammstehen kann man am Gendarmenmarkt auch heute wieder. Nach einer zwei
Jahre dauernden Sanierung erstrahlt er nun vor allem als steinerne Wüste.
Auf einer Fläche von 14.000 Quadratmetern wurde schachbrettmusterartig
schlesischer Granit verlegt. Ein großer Teil der Kugelahornbäume musste
weichen. Grau in Grau statt Grün, echt jetzt?
Seitdem kennt Berlin kein anderes Thema. „Grashalm auf frisch saniertem
Gendarmenmarkt entdeckt“, [3][machte sich der Postillon lustig]. „Berliner
Stadtverwaltung rückt mit Flammenwerfern an.“ Etwas seriöser meldete sich
Armin Laschet zu Wort: Der neue Gendarmenmarkt, so der
Ex-CDU-Kanzlerkandidat, sei „weder aus ästhetischen, denkmalpflegerischen
noch aus klimaresilienten Gründen zu begreifen“.
Die „denkmalpflegerischen Gründe“, die Laschet anspricht, bleiben freilich
vage. Seitdem über den Platz der Shitstorm hereingebrochen ist, schien
Berlins oberster Denkmalschützer abgetaucht. Kein Wort zu den
gestalterischen Vorgaben, nichts zum historischen Referenzpunkt der
Gestaltung. Im Netz fand sich lediglich eine [4][Pressemitteilung aus
2021]. In diesem Jahr wurde der von der DDR im Zusammenhang mit der
750-Jahr-Feier 1987 wiederaufgebaute Platz unter Denkmalschutz gestellt.
## Eine jüngere Geschichte
„Für Touristen, aber auch für viele Berlinerinnen und Berliner ist der
Gendarmenmarkt ein historischer Platz aus dem alten Preußen“, ließ der
damals für Denkmalschutz zuständige Staatssekretär mitteilen. „Tatsächlich
aber stammt ein Großteil der Platzgestaltung aus den 1970er und 1980er
Jahren. Mit der Unterschutzstellung würdigen wir diese Zeitschicht und
zeigen, dass auch das jüngere Erbe unseren Schutz verdient.“
Nicht die weitaus grünere Platzgestaltung aus dem 19. Jahrhundert, die in
sozialen Medien nun populistisch dem steinernen Platz als Mahnbild
gegenübergestellt wird, stand bei der Sanierung also Pate. Es ist die
flächige Platzgestaltung der DDR, die alles Grün an die vier Ecken des
Platzes gedrängt hat. Doch den Denkmalschutz nun für die steinerne Wüste
verantwortlich zu machen, greift zu kurz, wie der [5][Architekturkritiker
Nikolaus Bernau] jüngst zu Recht festgestellt hat.
Es sind vielmehr die politischen Vorgaben, die dem Grau gegenüber dem Grün
den Vortritt gegeben haben. Das bestätigte, nach Tagen des Abtauchens, auch
Berlins oberster Denkmalschützer, Landeskonservator Christoph Rauhut. „Die
Art der Nutzung des Platzes, also zum Beispiel Gastronomie und der
Weihnachtsmarkt“, [6][so Rauhut in einem Interview], seien „gesetzt“
gewesen.
Über diese Setzung wird im politischen Berlin, wo Architekturfragen schnell
ins Grundsätzliche kippen, allerdings kaum diskutiert. Die Vorgaben lauten:
Der Gendarmenmarkt muss veranstaltungstauglich sein. Nicht nur für den
alljährlichen Weihnachtsmarkt und das Classic Open Air, sondern wohl auch
darüber hinaus.
Neben den sechs Wasserspeichern mit einer Kapazität von 480 Kubikmetern,
die der Senat unter dem Platz verlegt hat, um ihn „schwammstadttauglich“ zu
machen, wurde deshalb auch reichlich Eventinfrastruktur verbaut: 850 Meter
Wasserrohre, 265 Meter Fernwärmeleitungen, 3 Kilometer Stromkabel. Dazu 27
Anschlüsse für Schmutz- und Trinkwasser sowie 29 Stromanschlüsse.
Auch für die Gastronomie ist gesorgt. Damit die Touristen beim Aperol
keinen Hitzeschlag bekommen, wurden ganz dezent sogenannte „Schirmhülsen“
im Pflaster versteckt. In ihnen können die Gastronomen dann Sonnensegel
aufstellen.
## Das Marketing führt hier Regie
Es scheint, als hätte weder die Klimakrise noch der Denkmalschutz das
Drehbuch für die Umgestaltung der guten Stube von Berlin geschrieben,
sondern die Tourismusmarketinggesellschaft Visit Berlin. „Der
Gendarmenmarkt begeistert jährlich rund drei Millionen Tourist:innen“,
[7][heißt es denn auch auf deren Seite]. „Als Must-See vereint dieses
besondere Wahrzeichen Berliner Geschichte, Kultur und Lebensart in
einmaliger Atmosphäre.“
Als „Festivalisierung der Stadtgesellschaft“ hat der Stadtsoziologe Walter
Siebel bereits 1993 die Zurichtung des öffentlichen Raums der Städte für
kommerzielle Nutzungen kritisiert. Dort, wo einst preußische Kürassiere
strammstanden, hat diese Festivalisierung nun eine neue Stufe ihrer
Entwicklung genommen. Sie umgibt sich mit dem Mantel des Denkmalschutzes
und folgt doch nur dem Credo der [8][Bundeswehr im märkischen Storkow]:
Dort gibt es eine Abteilung, die heißt ganz ungeniert „Tarnen und
Täuschen“.
31 Mar 2025
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Gendarmenmarkt
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Schauspielhaus_(Berlin)
[3] https://www.der-postillon.com/2025/03/gendarmenmarkt.html
[4] https://www.berlin.de/sen/kultgz/aktuelles/pressemitteilungen/2021/pressemi…
[5] https://www.tagesspiegel.de/berlin/debatte-um-gendarmenmarkt-der-denkmalsch…
[6] https://www.tagesspiegel.de/berlin/berlins-oberster-denkmalschutzer-verteid…
[7] https://about.visitberlin.de/gendarmenmarkt-europas-schoenster-platz-neuem-…
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Technologiest%C3%BCtzpunkt_Tarnen_und_T%C3%A4…
## AUTOREN
Uwe Rada
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