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# taz.de -- Kneippen in Bad Wörishofen: Der Pfarrer und das Säuseln der guten…
> Bad Wörishofen ist ein Kurort durch und durch. Pfarrer Sebastian Kneipp
> begründete ein Geschäftsmodell, das auf die Heilkraft des Wassers und
> Ruhe setzt.
Bild: Auch an einen Kräutergarten hat der Pfarrer gedacht
Bad Wörishofen taz | Vom Bahnhof herkommend, stößt der Gast sehr bald auf
Stolpersteine. Aha, denkt er, die Stadt hat also noch eine zweite
Geschichte! Worauf er nach Anhaltspunkten sucht. Liselotte Pulver liest er
auf einem der Steine aus Messing, auf weiteren: Hansjörg Felmy, Joseph
Vilsmaier und Dana Vávrová, Vilsmaiers Ehefrau. Aha, denkt der Gast, ein
Walk of Fame!
Er sieht auf und bemerkt das Kino, das vor ihm liegt. Das „Filmhaus Huber“
listet auf dem Gehweg die Promi-Gäste auf, die in glanzvollen Tagen hierher
zu den Premieren kamen. Die Ähnlichkeit mit den „echten“ Stolpersteinen,
auf die der Gast an anderer Stelle im Ort stoßen wird, ist frappierend.
## Handzahme Eichhörnchen
Der Gast bin ich, und hergeführt hat mich ein zutiefst privates Interesse:
[1][Hier in Bad Wörishofen], gelegen südlich von Ulm in Bayrisch-Schwaben,
hat meine Lieblingsoma kurend ihre Urlaube verbracht. Was immer mit
Besuchen verbunden war, mit der Konsultation eines Cafés, opulenter Torte,
Spaziergang, handzahmen Eichhörnchen, die sich aus der Hand füttern ließen.
Glückliche Kindheitserinnerungen, die nach einem halben Jahrhundert
aufgefrischt werden wollten.
Die Konzertmuschel für die Auftritte des Kurorchesters, sie gibt sie noch.
Ansonsten bleibt die Suche nach Vertrautem weitgehend ergebnislos. Obwohl
in einem Kurort die Uhren gemeinhin langsamer ticken, weil hier alles unter
dem Vorzeichen der Entschleunigung steht. Der Kurpark hat zugelegt, ist
größer geworden, reicher an Attraktionen und führt direkt in die freie
Landschaft. 30 Minuten Gehzeit sind für ein Waldlokal ausgeschildert,
erreichbar ist es locker in 20 Minuten. Tu langsamer!
## Allgegenwärtige Ratschläge
Sebastian Kneipp (1821–1897), am Ort wirkender Pfarrer, Kaltwassertherapeut
und Übervater der Kleinstadt, ist omnipräsent. Neben den zahlreichen
Memorabilien und Kneippbecken zum Wassertreten liegt dies auch an den
allgegenwärtigen Ratschlägen: „Kneipp hilft … Bei Husten mit warmen
Wickeln“, steht auf einer Tafel, „… Bei Schlaflosigkeit mit nassen
Strümpfen“. Kaum ist der eine Lehrpfad absolviert, folgt schon der nächste,
Überkreuzungen inbegriffen. Als Diagnose käme Überpädagogisierung in Frage.
Um die segensreiche Wirkung von Pflanzen hatte sich Kneipp ebenso
gekümmert. „Probieren Sie nur“, ermuntert ein Gärtner, der im Kräutergar…
des Kurparks gerade ein Beet pflegt. Als man auf die Gefahren von Giften
verweist, meint er nur, Reiben, Riechen und Betrachten zählten genauso. Ein
mustergültiger ganzheitlicher Ansatz, der hier aufploppt.
Die Oma hatte immer im „Sebastianeum“ residiert. Dem 1889 vom
„Wasserdoktor“ gegründeten Kurhaus ging vor zwei Jahren der Atem aus, heute
ist es darin eine Klinik untergebracht. Der Strom der Veränderung legt
selbst in Bad Wörishofen keinen Stopp ein.
Und überhaupt, die glanzvollen Tage sind auch hier vorüber, bemisst man sie
rein quantitativ nach der Gästezahl. Bad Wörishofen hat einen ziemlichen
Aderlass hinter sich, wie so viele Kurorte, bedingt durch Einsparungen der
Kassen. Zählte man in den Zeiten von Omas Besuchen noch 1,4 Millionen
Nächtigungen im Jahr, sind es inzwischen nur noch 580.000. Viele Betriebe
mussten schließen.
Unglücklich schaut die 17.000-Einwohner-Kleinstadt deswegen nicht aus.
Geboten wird gehobenes Flair, sorgsam geschützt. „Vernünftige fahren hier
nicht mit dem Rad. Anderen ist es verboten“, mahnen Schilder in
pädagogischer Dialektik.
Der wirkliche Feind aber ist der Lärm. Kaum zu glauben, dass hier einmal
die Toten Hosen aufgetreten sind. Aber das Jugendzentrum, dem dieser Coup
gelang, lag weitab vom Schuss.
Heute gibt es Lärm um ganz anderen Lärm. Ein Aufregerthema bildete zuletzt
„die Krähenplage“, offenkundig eine Verschwörung. Oder Ironie des
Schicksals? Ruchbar wurden zuletzt laut Lokalzeitung ein Glascontainer, der
es richtig krachen lässt, sowie ein missglückter Bahnübergang, an dem die
Züge pfeifen müssen.
## Eintritt in die Therme ab 16
Dabei sind die Lärmschutzregeln in der „Gesundheitsstadt“ so streng, dass
sie im Sommer einem Bauverbot gleichkommen, Baubeteilige schlagen deswegen
schon auf die Pauke. Um lärmende Jugendliche fernzuhalten, gibt es Eintritt
ins örtliche Thermen-Paradies in der Regel erst ab 16.
Eichhörnchen haben sich bei meinem Besuch keine blicken lassen, aber der
Kuchen war gut wie einst. Auf dem Rückweg verscheucht dann ein Gärtner im
Kurpark ein paar kickende Jungs. Und so werden die akustischen Verhältnisse
wieder dominiert vom Säuseln der guten Luft.
17 Jul 2025
## LINKS
[1] /Bad-Woerishofen/!t5608367
## AUTOREN
Thomas Vogel
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