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# taz.de -- Historikerin über die Bauernkriege: „Freiheit ist ein kollektive…
> 1525 revoltierten die Bauern in Deutschland. Ihre Träume von einer
> Gesellschaft ohne Herren könnten, so Lyndal Roper, heute unser Denken
> erweitern.
Bild: Die Schlacht bei Frankenhausen: am 15. Mai 1525 wurden die Aufständische…
taz: Frau Roper, Sie sind für Ihr Buch über den Bauernkrieg „Für die
Freiheit“ mit dem Fahrrad durch die Gegenden gefahren, in denen vor 500
Jahren der Aufstand tobte. Warum?
Lyndal Roper: Um die Landschaften zu verstehen, für die die Bauern damals
gekämpft haben. Sie sind tage- und wochenlang durch diese Gegenden
marschiert. Was diese Bewegung war, das wurde sie in diesen langen
Märschen. Das versteht man viel besser, wenn man dort ist.
taz: War der Aufstand im Frühjahr 1525 geplant oder spontan?
Roper: Spontan. Er breitete sich aus wie ein Feuer, von einer Gegend in die
nächste. Der Grad der Organisation war beeindruckend, innerhalb kurzer Zeit
entwickelten die Bauern eine militärische Struktur. Sie schufen eine
Infrastruktur für Nachrichten und wussten, was woanders geschah. Das ist
erstaunlich, weil sie all das neu erfanden.
taz: Heiner Müller hat gesagt: Natürlich sind zehn Deutsche dümmer als fünf
Deutsche. Das stimmte 1525 nicht.
Roper: Nein, hier flossen Erfahrungen und Fertigkeiten zusammen. Es ist
erstaunlich, wie kraftvoll diese Gruppen zusammenarbeiteten. Das ging nur,
weil sie sich gegenseitig respektierten. Sie hatten verschiedene
Prioritäten, Führungsgruppen, Ideale, Vorstellungen, mussten aber
miteinander auskommen. Sie waren sehr höflich zueinander.
taz: Die Bauern waren Analphabeten. Es gibt wenig Zeugnisse ihrer
Erlebnisse.
Roper: Da muss ich widersprechen. Wir haben sogar [1][erstaunlich viele
Quellen.] Die Protagonisten konnten zwar zum großen Teil nicht lesen und
schreiben. Aber es waren viele Priester und ehemalige Mönche bei den
Bauern. Und es gab Schreiber, die Beschwerden verfassten. Der Aufstand der
Bauern ist durch Briefe dokumentiert. Gemeinden, die Bruderschaft
geschworen hatten, schickten Briefe an andere Gemeinden, die sich an dem
Krieg beteiligen sollten – nicht nur werbend, auch drohend. Wir verdanken
Lorenz Fries eine zeitgenössische Chronik des Krieges. Hinzu kommen die
Verhörprotokolle nach der Niederlage. Wir sind gut informiert.
taz: Sie nutzen in Ihrer Studie auch Gemälde als Quellen. In Bildern von
Albrecht Dürer kommt die Verachtung der Städter für die Bauern zum
Ausdruck, die oft als dumm, lächerlich und triebgesteuert dargestellt
werden …
Roper: Ja, bei Dürer gibt es herabwürdigende Darstellungen von Bauern. Aber
nicht nur. Das Bild „Drei Bauern im Gespräch“ zeigt sie nicht als
Stereotyp, sondern mit Attributen anderer Klassen. Das Bild der Bauern
veränderte sich um 1520. Es wurde plötzlich positiv. Die Bauern kamen in
Mode. Karlstadt, Theologe und anfangs Mitstreiter von Luther, spielte mit
dem Gedanken, Bauer zu werden. Thomas Müntzer auch. Zurück aufs Land! Der
evangelische Bauer tauchte als der wahre Christ auf.
taz: Ein gängiges Urteil lautet: Die Bauernrevolte hatte kein Programm und
keine neue Ordnungsidee. Stimmt das?
Roper: Überhaupt nicht. Das Programm für das Wichtigste zu halten, ist der
falsche Ansatz. Dann sucht man nach Schriften, Anführern, Ideen. Wenn man
so vorgeht, versteht man nichts. Diese Revolution war ein komplexer,
schneller Lernprozess, in dem übrigens auch schlicht die Zeit fehlte, Ideen
zu fixieren. In dieser Revolution kann man Ideologie und Handlung nicht
trennen. Wir reden aber besser von Träumen als von Ideologie. Für diese
Träume waren plötzlich Hunderttausende bereit ihr Leben zu riskieren. Warum
taten sie das? Das ist zentral.
taz: Revolution ist ein moderner Begriff, den wir seit 1789 kennen und der
einen Zukunftsentwurf einschließt. Wollten die Bauern aber nicht eher
zurück zu einem Zustand ohne Leibeigenschaft und hohe Steuern? Ist
Revolution dafür ein brauchbarer Begriff?
Roper: Ich zweifele, ob es viel bringt, zu entscheiden, ob der Bauernkrieg
die Medaille Revolution verdient oder nicht. Ich benutze den Begriff im
Sinne eines großen, bedeutenden Ereignisses. Und ich denke an die
Titelseite der Flugschrift „Pamphlet an die gemeine Bauernschaft“, die
Fortuna zeigt, die ein Rad dreht. Darauf wandern Päpste, Kardinäle nach
unten und die Bauern nach oben. In diesem Sinn ist Revolution ein
zutreffender Begriff.
taz: Aber der Zeitbegriff war 1525 anders. Es gab die sichere Erwartung,
dass die Apokalypse bevorstehe – morgen, in einem Jahr, in 50 Jahren. Wie
wichtig war dieses Zeitbewusstsein?
Roper: Das ist eine schöne, aber komplizierte Frage. Es gibt wunderbare
Bücher über die Bedeutung des apokalyptischen Bewusstseins im 16.
Jahrhundert. Wir finden bei Müntzer und auch bei Luther diese
apokalyptische Rhetorik. Aber wir kennen auch Fälle, die ein anderes Bild
ergeben. Michael Stifel war Pastor, ein Bekannter von Luther. Er glaubte,
dass die Apokalypse vor der Tür stehe, verschenkte seine Bücher und wartete
auf das Ende. Er wurde festgenommen und für verrückt erklärt. Es gab also
etwas Doppeltes: Man glaubte an die Apokalypse, aber wer sein Tun danach
ausrichtete, wurde nicht ernst genommen.
taz: Das Zeitbewusstsein war auch anders. Im 16. Jahrhundert herrschte ein
zyklisches Zeitverständnis, das die Wiederkehr der Jahreszeiten spiegelte.
Es gab keine Idee von linearem Fortschritt.
Roper: Die Bauern waren vom Zyklus der Jahreszeiten geprägt. Aber sie
dachten nicht ahistorisch. Das bäuerliche Handeln änderte ja sich ständig.
Sie planten, was sie pflanzen wollten. Sie produzierten für den Markt und
kalkulierten, was sich lohnte. Karl Marx hat die Bauern mit einem Sack
Kartoffeln verglichen. Das ist ein schiefer Vergleich. Die Bauern planten,
handelten, dachten. Nur deshalb konnten sie diesen Aufstand organisieren.
taz: Die zwölf Artikel der Bauernbewegung gelten als das erste
menschenrechtliche Dokument in Deutschland. Führt eine gerade Linie von
1525 zu Aufklärung und individuellen Rechten?
Roper: Nein, das ist keine gerade Linie. Wenn man individuelle Rechte und
Aufklärung zur Messlatte macht und 1525 als einen unfertigen Vorläufer
betrachtet, übersieht man das Wesentliche.
taz: Was?
Roper: Es ging 1525 nicht in erster Linie um ein politisches Programm, das
zufällig in religiöser Sprache verfasst wurde. Es ging um die religiöse
Überzeugung selbst, eine bäuerliche Theologie. Im dritten der zwölf Artikel
fordern die Bauern die Abschaffung der Leibeigenschaft und damit ihre
Freiheit. Die Begründung lautet: Christus hat alle mit seinem
„kostbarlichen Blutvergießen erlöst“, Arme wie Reiche. Deshalb „ist mit…
Schrift bewiesen, dass wir frei sind und sein wollen“. Das ist fantastisch
formuliert. Die Abschaffung der Leibeigenschaft wird religiös begründet.
Weil nur Gott der Herr ist, darf kein Mensch Herr eines anderen sein. Diese
religiös begründete Ablehnung der Leibeigenschaft ist übrigens prinzipiell,
während sich die aufklärerische Vorstellung von Freiheit bekanntlich
zumindest anfänglich mit der Praxis der Sklaverei vereinbaren ließ.
taz: Diese religiöse Freiheitsidee ist der Schlüsselbegriff der Revolte?
Roper: Ja, Christus hat für uns gelitten und unsere Freiheit mit seinem
Blut erkauft. Die bäuerliche Vorstellung von Freiheit ist auch nicht
individuell, sondern bezogen auf die Rechte und Pflichten der Gruppe im
Wechselspiel mit der Natur, mit der Schöpfung als Ganzes. Sie ist nicht mit
Privateigentum verbunden. Auch das unterscheidet die bäuerliche Revolte von
bürgerlichen Revolutionen. Freiheit meinte 1525 weniger individuelle Rechte
als eine Struktur sozialer, ökologischer Beziehungen. Dieser kollektive
Begriff von Freiheit scheint mir breiter und anders zu sein als das, was
wir mit der Aufklärung verbinden.
taz: Sagt uns das heute noch etwas? Vielleicht können mit diesem
gemeinschaftlichen, ökologischen Freiheitsbegriff indigene Gruppen in
Lateinamerika, die Aufklärung als kolonialen Import kennengelernt haben,
mehr anfangen als Metropolenbewohner?
Roper: Auch Metropolenbewohner können sich fragen, ob uns unsere Ideen von
Besitz und Individualismus angesichts von Ausbeutung und Klimawandel
wirklich weiterhelfen. Es ist auch sinnvoll, sich den Anfang unserer Welt
anzuschauen. Denn die Monopolisierung von Reichtum in wenigen Händen begann
im 16. Jahrhundert mit den Fuggern. Reichtum und politischer Einfluss sind
nicht erst seit Elon Musk verkoppelt. Mir scheint es anregend zu sein, dass
die Bauernbewegung vor 500 Jahren die Welt nicht als Besitz, sondern als
Gottes Schöpfung betrachtet hat. Das ist eine Bereicherung unserer
Denkmöglichkeiten.
taz: War der Bauernaufstand stark männlich geprägt?
Roper: Das Wort Bruderschaft war wesentlich. Das bedeutete eine
Gesellschaft von Gleichen, aber von gleichen Männern. Die Bauern konnten
sich sogar die Herren, die sie bekämpften, als Brüder vorstellen. Für
Frauen gab es in ihrer Vorstellungswelt keinen Ort. Dabei waren Frauen nach
1520 Teil der evangelischen Bewegung. Sie verfassten Flugschriften und sind
auf Bildern präsent. Die Bewegung wurde aber vom Militärischen her gedacht.
Das ist ein Grund, warum Frauen keine große Rolle spielten. An den
Schlachten waren sie meist, von Ausnahmen wie der Schwarzen Hofmännin
abgesehen, nicht beteiligt.
taz: Diese Brüderlichkeit verband Leibeigene, freie Bauern, Landsknechte,
Stadtbürger, schloss aber Frauen aus. Aber war das nicht typisch für das
16. Jahrhundert – und also nicht speziell bäuerlich?
Roper: Natürlich waren die Gesellschaften im 16. Jahrhundert
männerdominiert. Aber Frauen spielten in den Klöstern, die einflussreich
waren, eine große Rolle. Es gab Herrscherinnen, Äbtissinnen. Frauen konnten
wie Justitia auch Macht versinnbildlichen. Die Bauernbewegung war hingegen
eine durch Brüderlichkeit verbundene Männerbewegung. Sie hatte keine
Marienfiguren, keine weibliche Repräsentation.
taz: Wie gewalttätig war diese Bewegung männlicher Brüder? Was wissen über
sexuelle Gewalt im Bauernkrieg?
Roper: Es gab offenbar bei Plünderungen von Klöstern verbale sexuelle
Demütigungen von Frauen. Aber es gibt keine Berichte über Vergewaltigungen.
Das Gewaltniveau, auch die sexuelle Gewalt, war von Seiten der Fürstenheere
viel größer.
taz: Gab es nach der Niederlage eine systematische Rache an den Bauern, die
das übliche Maß an Postkriegsgewalt überstieg?
Roper: Es gab eine [2][Choreografie der Erniedrigung]. Wir wissen von
Lorenz Fries, dass es Hinrichtungstouren gab. Henker reisten von Stadt zu
Stadt und köpften Dutzende, die die Aufständischen unterstützt hatten.
Normalerweise wurde außerhalb der Stadtmauern hingerichtet. 1525 fanden die
Exekutionen auf den Marktplätzen statt, also an dem Ort, an dem Bauern ihre
Waren verkauften. Und die Stadtbewohner mussten zuschauen.
taz: Ein Schauspiel des Terrors mit der Botschaft „Nie wieder Aufstand“?
Roper: Das war das Ziel dieser Gewalt. Aber diese Gewaltaktionen waren
nicht umfassend. Es war schlicht nicht im Interesse der Fürsten, ihre
Leibeigenen abzuschlachten. Nach 1525 wurden Aufständische verfolgt, sie
mussten hohe Strafen zahlen. Aber es gab auch einen gewissen Grad an
Aushandlungsmöglichkeiten und Milde gegenüber Armen, die von Strafen
überfordert waren. Diese Mischung von Gewalt und Milde war typisch für
vormoderne Herrschaft.
taz: Hatte die Niederlage der Bauern Tiefenwirkungen?
Roper: Der Bauernkrieg hat das Verhältnis der Landbevölkerung zur
Reformation verändert. Jahrzehnte nach 1525 wunderten sich evangelische
Pfarrer, dass sie bei Bauern auf Widerstreben stießen. Diese bäuerliche
Skepsis war eine Antwort auf Luthers radikale Wendung gegen die Bauern.
Seitdem war für viele Bauern die Reformation nicht mehr ihre Sache, sondern
die der Herren.
taz: Wir sind es gewohnt, den Bauernkrieg als Auseinandersetzung von
Luther und Müntzer zu verstehen, mit Müntzer als [3][Che Guevara des 16.
Jahrhunderts]. War dieses Feindespaar so zentral?
Roper: Müntzer war wichtig, aber man sollte seine Wirkung nicht
überschätzen. Selbst in Mühlhausen war er nicht der einzige Prediger. Es
hätte ohnehin niemand diese Bewegung, die von Thüringen bis in das Elsass
reichte, dominieren können. Luther war die Schlüsselfigur der Reformation,
die eine wesentliche Grundlage des Aufstands war. Pointiert gesagt hat
Luther Müntzer bis zu einem gewissen Grad als sein nützliches Gegenteil
kreiert.
taz: Inwiefern?
Roper: Luther wurde ständig von Anfechtungen geplagt, nicht auf Gottes
Seite zu stehen. Der Beweis, dass er auf der rechten Seite stand, war, dass
der Teufel, Müntzer, ihn angriff. Luther brauchte Müntzer als Vehikel, um
die Angriffe der Kirche auf ihn, den Reformator, abzuleiten. Das ist die
Falle, die Luther gebaut hat. Das war keine bewusste Inszenierung, aber der
Zusammenhang.
taz: Kennen Sie die Serie „Beforeigners“?
Roper: Nein.
taz: Es geht um eine umgedrehte Zeitreise: Figuren aus der Steinzeit,
Adelige aus dem 19. Jahrhundert, Wikinger steigen aus dem Meer vor Oslo.
Die Norweger versuchen, diese seltsamen Fremden mit Diversity-Programmen zu
integrieren. Übertragen auf 1525: Könnten wir heute mit Müntzer und Luther
sprechen?
Roper: Ja, warum nicht? Historiker sprechen immer mit der Vergangenheit.
Manche Historiker meinen zwar, die Geschichte des 16. Jahrhunderts sei so
fern, dass wir von keinen Gemeinsamkeiten ausgehen dürfen und vieles
missverstehen. Ich teile das nicht. In diesen 500 Jahre hat sich die
Psychologie nicht so grundlegend verändert, dass wir nicht miteinander
auskommen könnten. Die Sprache des 16. Jahrhunderts ist anders als das
heutige Deutsch. Aber sie ist sehr schön.
15 May 2025
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