# taz.de -- Buch über die Folgen des Bauernkriegs: Die Mikrophysik der Rache | |
> War der Bauernkrieg 1525 mehr als ein Aufflackern ohne Tiefenwirkung für | |
> die deutsche Geschichte? Peter Seibert beleuchtet, was nach dem Aufstand | |
> kam. | |
Bild: Albtraum in Aquarell: Dürer malte sein „Traumgesicht“ nach der Hinri… | |
Berlin taz | Am 27. Mai 1525 wurde Thomas Müntzer, radikaler Gegenspieler | |
von Martin Luther, enthauptet. Müntzer war ein eloquenter, aber nicht der | |
wichtigste Anführer der revoltierenden Bauern gewesen. Er hatte Tausende in | |
die berühmte Schlacht bei Frankenhausen geführt. Sie endete wie viele | |
andere in einem Massaker, das die fürstlichen Truppen anrichteten. | |
Nach der Hinrichtung wurde [1][Müntzers Kopf vor Mühlhausen aufgespießt], | |
als Mahnung, was Aufständischen droht. Der Schädel war dort noch sechs | |
Jahre lang zu sehen. Luther sorgte sich 1531, dass der aufgespießte Kopf | |
seines Feindes „wie ein Heiliger verehrt“ würde, statt seine abschreckende | |
Wirkung zu entfalten. | |
Der Bauernkrieg ist, als Struktur und Ereignis, ein gut ausgeleuchtetes | |
Phänomen. Weniger präsent ist: Was passierte nach den Schlachten? Diese | |
Lücke schließt nun der Literaturwissenschaftler Peter Seibert mit seinem | |
Buch „Die Niederschlagung des Bauernkriegs 1525“. | |
Albrecht Dürer erfasste Wochen nach Müntzers Hinrichtung nachts „ein so | |
starker Schrecken, dass ich aufwachte“. Er malte seinen Albtraum als | |
Aquarell. „Traumgesicht“ ist eine Untergangsvision, eine Sintflut | |
verschlingt die Welt, typisch für das von Endzeiterwartungen geprägte 16. | |
Jahrhundert. Aber „Traumgesicht“ ist auch lesbar als Spiegelung des Terrors | |
nach der Niederlage. Fast 100.000 Bauern starben in wenigen Wochen im | |
Krieg, drei Prozent der Bevölkerung in den Aufstandsgebieten zwischen Tirol | |
und Thüringen. | |
Zwischen Schlacht und Strafe, so Peter Seibert, gab es keine klare | |
Trennlinien. Die fliehenden Bauern wurden verfolgt, erschlagen, ertränkt, | |
gehängt. „Der Übergang vom Massaker zur Siegerjustiz ist fließend.“ | |
Todesstrafen und Amputationen waren im 16. Jahrhundert nicht unüblich. | |
Allerdings gibt es Hinweise, dass die Rache über das Gewohnte und sogar den | |
Tod hinaus zielte. In Würzburg wurden am 8. Juni 1525 sechsundsechzig | |
Bauern und Bürger enthauptet. Die Köpfe wurden zwischen ihren Beinen | |
platziert, um ewige Erlösung zu verhindern. | |
Seibert fächert akribisch den Katalog der Gewalt und Vergeltung auf. Ein | |
extremes Beispiel entfesselter Gewalt ereignete sich im elsässischen | |
Zabern. Dort töteten Söldner in ein paar Stunden lang fast 20.000, nicht | |
nur Aufständische, sondern Zivilisten, Frauen, Kinder. | |
Die Plünderung von Städten und Dörfern durch Söldner war damals gängige | |
Kriegspraxis. Doch die Strafaktionen nach dem [2][Bauernkrieg] waren etwas | |
Neues. So chaotisch die spontanen Morde, das Niederbrennen, | |
Vergewaltigungen auf den ersten Blick erscheinen – als Ensemble bilden sie | |
„eine historisch bislang unbekannte Dimension“, so Seibert. | |
## Tanzverbot im Dorf | |
Ein facettenreiches Repressionsregime entfaltete sich, das von Verbannung | |
über horrende Strafzahlungen für einzelne Bauern und Dörfer reichte. Die | |
bäuerliche Öffentlichkeit wurde reglementiert. An manchen Orten wurde die | |
Kirchweih als Vernetzungsort verboten. Andernorts wurde das Regime der | |
Leibeigenschaft verschärft. In manchen Dörfern, die die Revolte unterstützt | |
hatten, durfte nicht mehr getanzt werden. In Ulm mussten „aufrührische | |
Weiber“ Zeichen an ihren Kleidern tragen, die sie als Verdächtige | |
kennzeichneten. Anderswo wurde verboten, dass mehr als zwei Frauen | |
öffentlich zusammenstehen durften. | |
Zu dieser Mikrophysik der Rache gehörte auch, dass die wenigen adligen | |
Opfer des Krieges ausführlich betrauert wurden, die Zehntausenden toten | |
Bauern hingegen nicht. Die Nachkriegsgesellschaft fiel in ein von oben | |
erzwungenes Schweigen. „Der „gemeine Mann“ ist so gründlich geschlagen u… | |
auf den Status des Besiegten zurückgeworfen, dass er sich nicht als Opfer | |
in das kulturelle Gedächtnis eintragen kann, so Seiberts Resümee. Die | |
Bürger von Mühlhausen, die zu Müntzers Schädel pilgerten, waren die | |
Ausnahme. | |
Seibert ist kein Historiker, sondern Literaturwissenschaftler. Seine Skizze | |
ist wertvoll, aber vollständig ist sie nicht. In einigen süddeutschen | |
Orten, oft Zentren des Aufstands, verloren die Bauern den Krieg, aber nicht | |
den Frieden. Sie schlossen mit Mächtigen, die neue Aufstände fürchteten, | |
Kompromisse. Ein Beispiel ist der Renchener Vertrag, der im Ortenaukreis im | |
Schwarzwald die Leibeigenschaft aufhob und Bauern freie Heirat ermöglichte. | |
Die Frage, ob der [3][Bauernkrieg] in totaler Niederlage oder zumindest in | |
manchen Regionen in Kompromissen endete, ist geschichtspolitisch nicht | |
trivial. Folgt man der Kommunalismusthese des Historikers Peter Blickle, so | |
wuchsen auf den Kompromissen nach 1525 mancherorts vordemokratische | |
Beteiligungsmodelle, die den Humus für republikanisches Bewusstsein | |
bildeten. Für Peter Seibert wiederum war das Desaster 1525 und die | |
Ausmerzung von Erinnerung an die bäuerliche Revolte die Grundsteinlegung | |
des deutschen Untertanengeistes. | |
Es wäre sinnvoll, diese beiden Sichtweisen in einem Bild abzuwägen und zu | |
integrieren. | |
26 Mar 2025 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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