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# taz.de -- Ausstellung über Zeit der Bauernkriege: Wenn die Bilder greifbar w…
> Die Ausstellung „Frührenaissance in Mitteldeutschland“ in Halle zeigt den
> Wandel der Bilder um 1500. Was hat das mit den Bauernkriegen zu tun?
Bild: Weltliches Leben vor den Bauernkriegen: Albrecht Dürer „Der Koch und s…
Es sei „das größte Naturereignis des deutschen Staates“ gewesen, deutete
der preußische Historiker Leopold von Ranke die Bauernkriege in einem
düsteren Konservativismus, ein pöbelhafter Exzess gegen die Obrigkeit. Als
„radikalste Tatsache der deutschen Geschichte“ beschrieb wiederum sein
Zeitgenosse Karl Marx die Aufstände der Bauern gegen ihre Landesherren, die
1524 in Süddeutschland und der Schweiz begannen und sich bis 1526 vom Harz
bis zum Elsass, von Thüringen bis Tirol ausweiteten.
Und die DDR interpretierte dieses kurze, aber für viele Bauern blutig
endende Kapitel der Geschichte zum 450. Jahrestag als frühbürgerliche
Revolution.
Das Kunstmuseum Moritzburg in Halle an der Saale nimmt das nun anstehende
[1][500-jährige Jubiläum der deutschen Bauernkriege] zum Anlass für eine
opulente Ausstellung. Doch in ein Geschichtsbild zwängen will sie sie
diesmal nicht. Die Bauernkriege kommen sogar kaum vor in der Schau
„Frührenaissance in Mitteldeutschland. Macht. Repräsentation. Frömmigkeit�…
die sich mit der Kunst um 1500 im Kurfürstentum Sachsen unter Friedrich dem
Weisen und im Erzbistum Magdeburg unter seinem Bruder Ernst von Sachsen
beschäftigt.
Beide machten die Region zu einem Kulturzentrum von europäischem Rang. Aber
man kriegt in dieser Schau mit 250 Exponaten eine Idee davon, in welcher
Bildwelt sich die Menschen damals bewegten, kurz bevor sich die „Revolution
des gemeinen Mannes“, wie der westdeutsche Historiker Peter Blickle es
beschrieb, 1525 über viele deutsche Gebiete ausbreiten konnte. Eine
Gesellschaft, in der mehr als 80 Prozent Analphabeten waren.
Düster blicken nun in der Moritzburg vier 1,50 Meter hohe, holzgeschnitzte
Heiligenfiguren oben von einer Raumnische auf einen herab, ihre Körper
unnatürlich schlank, das Gesicht der Märtyrerin Katharina mit spitzem Mund
und hoher Stirn jenseitig entrückt. So oder so ähnlich haben die um 1500
einmal in einer Stube wohlhabender Bauern gestanden.
Ein ausgestellter Stich von Albrecht Dürer zeigt drei solch gut gestellter
Landwirte – das Haupt mit einem tuchumschlungenen Hutwerk bedeckt –
aufwendig im Dürer’schen Faltenwurf inszeniert – der Korb bis oben mit
Eiern befüllt. Drei stolze Typen sind das. Da verwundert es nicht, dass sie
sich 1525 für mehr Rechte und gegen den Frondienst und Abgaben auflehnten.
In ihren Haushalten müssen sich auch zahlreiche andere fromme
Alltagsobjekte befunden haben. Die Beckenschlägerschalen etwa. Das sind
Waschschüsseln aus einfacher Massenproduktion der Zeit, auf deren Grund
häufig ein Bild von Maria Verkündigung zu sehen ist – warum nicht die
Reinheit der Empfängnis profan mit der körperlichen Pflege gleichstellen?
## Fromme Alltagsobjekte in der Stube
Derartige Alltagsobjekte lassen sich auch, so vermittelt die Schau, mit der
Reliquienverehrung verbinden. Wenn Friedrich der Weise, der spätere
Schutzherr von Martin Luther, in Wittenberg seinen reichen Reliquienschatz
– 19.000 Partikel mit dem Gegenwert von rund zwei Millionen Jahren Ablass –
der Bevölkerung in regelmäßigen Weisungen vorführte, dann bekam das Volk
vor allem verzierte Monstranzen, Kelche und Schnallen zu sehen.
Ihren heiligen Inhalt gaben die daran angebrachten Bilder aus Perlmutt oder
Elfenbein mit spätgotischen, abstrahierten Figuren wieder. In den frommen
Alltagsobjekten in der Stube fanden die Reliquienbehältnisse eine profane
Kopie.
In diese Bildwelt schiebt sich dann um 1500 der Aufbruch der Zeit.
Plötzlich taucht da der sanfte Jesus eines Jacopo de’ Barbari auf. Der
venezianische Maler war mehrere Jahre für Kurfürst Friedrich in Wittenberg
tätig. Sein Jesus ist kein knochig verrenkter Schmerzensmann mehr, sondern
der nahbare Mensch, mit weichen Gesichtszügen und direktem Blick. Die
Wittenberger Schlosskapelle, da wo Luther 1517 seine 95 Thesen angeschlagen
haben soll, füllt sich mit Skulpturen des Augsburger Bildhauers Adolf
Daucher. Friedrich der Weise in ewiger Anbetung stellt Daucher dort mit
fleischigem Gesicht und tiefen Mundfalten auf eher uncharmant realistische
Weise dar.
Und [2][Lucas Cranach der Ältere] wird zur zentralen Figur in Wittenberg.
Der Künstlerunternehmer, der sich mit seiner Werkstatt in Wittenberg
selbstständig machte und von dort aus die Höfe und Bürger Mitteleuropas mit
vielen Tausend Bildtafeln belieferte, er wurde zu so etwas wie einem
Artdirector Friedrichs. Unter seiner Ägide wurden Festspiele ausgestattet,
Aufträge vergeben – und er malte selbst.
Auf seinen Gemälden findet dann das kostbare Ornat der Kleider Platz und
die kleinen Detailbeobachtungen: Einer jungen Frau fällt im Porträt die
Locke auf die Stirn. Und Cranach macht etwas, das zu der Zeit gang und gäbe
wird – er collagiert seine weltlichen Auftraggeber in das sakrale
Bildgeschehen hinein. Auf einer Darstellung der heiligen Sippe von 1509
schmiegt sich Kurfürst Friedrich plötzlich als Alphäus in den Kreis Christi
ein – Goldkappe, große Nase, tiefe Gesichtsfurchen, ähnlich wie Cranach ihn
dann in seinen zahlreichen Bildern zur Ikone machen wird.
Rundherum kehrt das Diesseits in die Bilder ein – und viele dieser Bilder
wurden von Zeitgenossen oder den Künstlern selbst kopiert, in Stichen
festgehalten und reproduziert, landeten vielleicht irgendwie auch wieder in
der Bauernstube.
Die Schau stellt keine großen Thesen auf, sie hält sich sehr an die
Kunstgeschichte von Halle und Wittenberg, dennoch denkt man sich: Wenn sich
so viel Hier und Jetzt in die Kunst nach 1500 einschrieb, so wird das auch
bei den damaligen Betrachtenden etwas gemacht haben. Die Bilder werden
nicht die Bauernkriege entfacht haben, aber vielleicht hat die plötzliche
Weltlichkeit der Kunst eben auch beim gemeinen Volk einen kritischen Geist
gegenüber eben jener Welt befördert. Dann ist der Aufstand nicht mehr weit.
26 Nov 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Sophie Jung
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