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# taz.de -- Bauernkrieg-Ausstellung mit KI: Die KI grüßt aus dem Bauernkrieg
> Bei der Landesausstellung „Uffruhr“ in Bad Schussenried setzen die
> Kuratoren auf emotionale Ansprache durch Avatare. Das funktioniert
> erstaunlich gut.
Bild: Der Bauernkrieger Sebastian Lotzer als smarter KI-Avatar
Das Kloster Schussenried ist am 29. März 1525 mit einem blauen Auge
davongekommen. Die Bauern plünderten das Kloster zwar, zerstörten Inventar
und jagten den Abt buchstäblich auf die Zinne, aber im Vergleich zu anderen
Klöstern, die von den antiklerikalen Bauern in dieser Zeit gestürmt wurden,
waren die Schäden gering. Erst hundert Jahre später im Dreißigjährigen
Krieg wurde es zerstört. Der säkularisierte Klosterbau erstrahlt bis heute
in Barock und Rokoko.
Wie die Bauern gelangt man auch 500 Jahre später zu Fuß zum „Uffruhr“ im
Kloster. Ein Bus vom Bahnhof Bad Schussenried fährt nur selten. Dass man
die zentrale Landesausstellung zum 500-jährigen Jubiläum der Bauernkriege
im Südwesten mit dem Titel „Uffruhr“ nicht in der Landeshauptstadt, sondern
ins etwas abgelegene Bäderstädtchen zwischen Ulm und Ravensburg gelegt hat,
hat neben der historischen Plünderung weitere Gründe.
Es ist die Gegend, in der sich viele noch mit den Ereignissen von damals
stark identifizieren. Der grüne Ministerpräsident kommt aus der Region und
hatte sich eine populäre Ausstellung zum Jubiläum gewünscht. Aber es passt
auch insgesamt gut. Wer sich auf den Weg macht, dem wird sofort klar: Die
[1][Geschichte der Bauernkriege] wurde eben nicht in den Machtzentren,
sondern in Orten wie Lauda-Königshofen, Stühlingen und eben Bad
Schussenried geschrieben.
Eigentlich ist Baden-Württemberg schon etwas spät dran mit seinem Gedenken
an die Aufstände, die 1524 im Schwarzwald begannen. In Thüringen, dem
anderen großen Schauplatz der Bauernkriege, wurde schon im vergangenen Jahr
eine große Ausstellung eröffnet, der Bundespräsident würdigte bereits im
März in Memmingen die von den Bauern formulierten zwölf Artikel, als
älteste deutsche Deklaration von Bürgerrechten und Rechtsstaat. Doch die in
Bad Schussenried gezeigten Exponate und vor allem ihre Vermittlung können
sich sehen lassen.
## Wimmelbilderbuch des Bauernkriegs
Zeitgenössische Drucke des Memminger Freiheitsdokuments sind hier
versammelt. Holzschnitte und Darstellungen von Albrecht Dürer und eine
Zeichnung von Lucas Cranach dem Älteren sind weitere Highlights der
Ausstellung. Eins der wichtigsten Exponate ist die Weißenauer Chronik,
jenes Wimmelbilderbuch des Bauernkriegs, das der Abt des Klosters Weißenau,
Jakob Murer, verfasste und illustrieren ließ und das in elf Bildern
Vorgänge des Bauernkriegs schildert. Die Chronik ist im Privatbesitz der
Familie Waldburg-Zeil und im Original nur selten zu sehen.
Man habe die Zahl der Exponate bewusst in Grenzen halten wollen, erklärt
das Kuratorenteam Ingrid-Sybille Hoffmann und Marco Veronesi. Das Motto sei
gewesen: Raus aus den Vitrinen, wichtiger sei es gewesen Konflikte und
Stimmungen der damaligen Zeit erlebbar zu machen.
Es ist nicht ganz einfach, für Besucher die Konflikte der
Feudalgesellschaft ins Heute zu übersetzen. Klar, es ging um Freiheiten –
die aber anders verstanden wurden als heute. Die Bauern seien keineswegs
rechtlos und ungebildet gewesen, selbst als Leibeigener konnte man zu einem
gewissen Wohlstand und Ansehen gelangen. Um die Konflikte wie auch die
Brutalität der Zeit nachvollziehbar zu machen, treten in der Ausstellung
acht Charaktere aus der Zeit in Erscheinung, die nicht etwa von
Schauspielern dargestellt, sondern durch Künstliche Intelligenz generiert
wurden. Acht Figuren in glatter Fantasy-Ästhetik treten dem Besucher in
Projektionen entgegen und stellen ihre Sicht auf den Aufstand dar. Der
berühmte Ritter Götz von Berlichingen etwa trägt statt seiner eisernen
Faust einen Cyborg-Arm, der an den Terminator erinnert.
Die bewusst leicht verpixelte KI-Ästhetik soll deutlich machen, dass es
sich bei Rüstungen und Gewändern nicht um authentische Darstellungen
handelt und man den Charakteren die Worte in den Mund gelegt hat. Ein
gelungenes Experiment, das clever gebrochen wird, etwa wenn am Ende der
Ausstellung als einzige fiktive Figur ein „Unbekannter Bauer“ vom realen
Schauspieler Herbert Knaup dargestellt wird und eine beklagenswerte
Leerstelle der zeitgenössischen Quellen füllt: die Sicht der Bauern auf das
Geschehen.
Denn die Geschichtsschreibung der [2][Bauernkriege] krankt vor allem daran,
dass es keine schriftlichen Zeugnisse der Aufständischen gibt, sondern nur
Urteile, Verträge oder Berichte, sowie Interpretationen der siegreichen
Obrigkeit. Sie zeichnen das Zerrbild von brutal sengenden, plündernden und
mordenden Bauern, das unser Geschichtsbild lange prägte. Dabei sind die
meisten Opfer auf der Seite der Bauern zu finden: 20.000 bis 100.000 Tote
könnten die Kriege unter den Aufständischen gefordert haben, schätzen
Historiker.
Ein mutmaßliches Opfer der Sieger-Geschichtsschreibung ist Margarete
Renner, einer der KI-generierten Charaktere. Die Heilbronner Bäuerin war
eine der wenigen bekannten Frauen des Bauernkriegs von 1525. Sie
widersetzte sich früh der Obrigkeit und deren willkürlich erhobene Abgaben,
wurde nach dem Tod ihres Mannes selbst aktiv und trat als Ratgeberin der
Bauern auf.
Zeitgenössische Berichte stellten sie als fanatische und brutale Anführerin
dar, etwa, indem sie nach der Bluttat von Weinsberg das Fett des getöteten
Grafen von Helfenstein zum Einreiben der Schuhe benutzt habe – Vorwürfe,
für die es keine Beweise gibt. Renner wurde nach dem Aufstand verhaftet,
aber durch Fürsprache freigelassen. Ihr Bild wandelte sich in der jüngeren
Forschung: von der dämonisierten Aufrührerin zur feministischen
Identifikationsfigur. [3][Historiker] sehen sie heute als Beispiel für
selbstbewusste Frauen im Bauernkrieg, der lange als „frauenloses Ereignis“
galt, wie die Kuratorin Ingrid-Sybille Hoffmann sagt.
Doch die Ausstellung in Bad Schussenried ist nur ein Teil der Aktivitäten
des Landes zum Thema. Neben „Uffruhr“ im Kloster und einem historischen
Comic, das auf Instagram sein Publikum findet, ist eine Roadshow das
ambitionierteste Projekt. Dafür haben die Kuratoren ein Spektakel mit
Spielstationen, Open-Stage-Formaten und Figurentheater inszeniert, das von
Laupheim bis Bretten im Lauf des Sommers an 15 historischen Orten des
Bauernkriegs gastiert. An jedem Ort werde auf die lokalen Ereignisse
eingegangen und örtliche Gruppen, die sich teils bis heute intensiv mit den
Bauernkriegen auseinandersetzen, integriert.
Das sei nicht immer einfach gewesen, sich auf ein Geschichtsbild zu
einigen, berichtet Jan Warnecke, der die Roadshow im Württembergischen
Landesmuseum betreut. Denn die regionalen Historikergruppen oder
traditionellen Landsknechtsvereine nehmen das Sujet ernst, haben ihre
eigenen Erkenntnisse über die Vorgänge von damals und in einzelnen Fällen
auch ihre eigenen Wahrheiten.
Manche Bezüge zur Gegenwart scheinen auf den ersten Blick offensichtlich.
Etwa in der Schwesterausstellung „Protest“ im Stuttgarter Alten Schloss,
die sich mit dem Aufruhr in der jüngsten Vergangenheit beschäftigt. Wie
auch heute, sei die Zeit der Bauernkriege eine Zeit des Umbruchs gewesen,
erklärt Kurator Veronesi. Durch die Erfindung der Druckerpresse und die
Popularität von Flugblättern haben sich die Ziele der Reformation in
Windeseile verbreitet.
Eine brüchige Weltordnung und Medienrevolutionen gibt es auch heute. Und
protestierende Bauern haben sich, wie zuletzt wieder, auf bäuerliche
Vorbilder aus dem ausgehenden Mittelalter berufen. Ausgerechnet Winfried
Kretschmann, der sich diese Bauernkriegsausstellung gewünscht hatte, wurde
als Repräsentant der Obrigkeit und grüner Politik zum Ziel der Proteste.
Am Aschermittwoch 2024 musste er in Biberach vor brennenden Heuhaufen
zurückweichen. Teils gewalttätige Bauern hatten die Stadthalle blockiert.
Doch die Parallelen, so augenfällig sie zunächst sein mögen, sind begrenzt.
Statt um politische Teilhabe, Freiheit und Gerechtigkeit wie den
leibeigenen Kollegen vor 500 Jahren, ging es den Bauern auf ihren Treckern
um Diesel-Privilegien und EU-Subventionen.
29 Apr 2025
## LINKS
[1] /Buch-ueber-die-Folgen-des-Bauernkriegs/!6074147
[2] /Ausstellung-ueber-Zeit-der-Bauernkriege/!6048132
[3] /Buch-ueber-deutsche-Bauernkriege/!6035927
## AUTOREN
Benno Stieber
## TAGS
Feudalismus
Landwirtschaft
Baden-Württemberg
Winfried Kretschmann
Schwerpunkt Künstliche Intelligenz
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