# taz.de -- „Götz von Berlichingen“ als Theater-Film: Transfer ins Traumar… | |
> Das Theater Osnabrück zeigt „Götz von Berlichingen“ digital – als Fil… | |
> der nicht nur Bühnengeschehen dokumentiert. Ein Besuch bei den | |
> Dreharbeiten. | |
Bild: Dreharbeiten in Osnabrück: Oliver Meskendahl als Götz von Berlichingen | |
Osnabrück taz | Spätmittelalterlicher Nahkampf ist laut. Kettenhemden | |
klirren, Schwerter krachen auf Schilde, Harnische knirschen, Lanzenspitzen | |
verhaken sich ineinander. Schlachtrufe branden auf, Verwundete röcheln sich | |
in den Tod. In einem riesigen Banner wühlt knallend der Wind. | |
Spätmittelalterlicher Nahkampf ist brutal. | |
Auch an diesem Mittwochmorgen Ende November, im 3. Akt von Goethes | |
brachialem Sturm-und-Drang-Epos „Götz von Berlichingen“: Sechs | |
blutgetränkte Kämpfer des Theaters Osnabrück stechen, hacken, schneiden, | |
stoßen und prügeln aufeinander ein, ringen einander zu Boden, mitten unter | |
ihnen Oliver Meskendahl mit bizarr deutschblonder Mähne, als Titelfigur. | |
Schmerzschreie, Flüche, Wutgebrüll. „Yeah!“, feuert Kampfchoreograf Jan | |
Krauter an. „Ihr macht das geil!“ | |
Kleine Pause. Götz, haarewerfend, außer Atem, lachend: „Also, wie mach' ich | |
das jetzt? Erst der Hieb von rechts, und danach dann der Stich, oder wie?“ | |
Krauter reckt den Daumen hoch. Kamera, Lichtreflektor und Tongalgen werden | |
neu ausgerichtet. Stille. „Uuuund: Bitte!“, ruft Daniel Foerster, heute | |
nicht Theater-, sondern Filmregisseur. | |
Er ist der richtige Mann für solche (un-)klassischen Gemetzel. 2019 hat er | |
in Osnabrück Heinrich von Kleists „Die Familie Schroffenstein“ | |
auseinandergenommen, schräg, ironisch, nihilistisch und wild. Damals, als | |
noch Zuschauer ins Theater durften, live, ohne Maske und Mindestabstand. | |
Seit vier Wochen dreht Foerster jetzt an seinem „Götz“. Jeden Morgen ist | |
Aufnahme, jeden Nachmittag Probe. Dazwischen noch der Schnitt. Es wird ein | |
abendfüllender Film. Am 12. Dezember hat er auf der Theater-Website | |
Premiere, als Stream. „Götz“ ist eine Antwort auf Corona. Der einzige Weg, | |
sich dem Publikum zu zeigen, ist ja derzeit das Video, die Drift ins | |
Digitale. | |
Den Wandel zum Filmstudio ist das Theater Osnabrück mittlerweile gewohnt: | |
Jüngst lief hier Dominique Schnizers „Tödliche Entscheidung“, ein | |
interaktiver Krimi in drei Folgen, als Livestream, Chat mit dem Regieteam | |
während der Vorstellung inklusive. | |
Aber heute, an diesem Mittwochmorgen Ende November, ist alles ein bisschen | |
anders. Denn das goethesche Gefecht findet nicht auf der Bühne statt, | |
sondern draußen, auf einem echten Gefechtsfeld, 20 Kilometer von Osnabrück | |
entfernt, in Kalkriese: Für die Kampfszenen steht Foersters Regietisch ganz | |
bewusst dort, wo 9 n. Chr. die Endphase der legendären Schlacht stattfand, | |
in der Roms Feldherr Varus schmählich seine vollen drei Legionen verlor. | |
Wer hier gräbt, stößt auf die Überreste von 20.000 Toten. Praktisch für die | |
Bühnenbildner: Die Wälder und Wiesen ringsum gehören zu einem | |
Archäologiemuseum, und das hat hier einen Wall nachgebildet. Dass zwischen | |
Varus und Götz fast 1.600 Jahre liegen, macht nichts: Festung ist Festung. | |
Die Sonne hat Kraft, die gewaltigen Bäume rauschen. Dramaturgin Marie Senf | |
steht am Rande des Geschehens und erklärt, wozu die Ortswahl dient: „Wir | |
erzählen in 'Götz’ ja die Geschichte eines Mythos. Das wollten wir am Ort | |
eines Mythos tun.“ | |
Um historische Korrektheit geht es Foerster ebenso wenig wie Goethe. Auch | |
nicht um Freiheitspathos, Heldentum, einen Abgesang auf die Endzeit des | |
Rittertums. „Jeder Gedanke, jedes Bild wird vielschichtig gebrochen, | |
verfremdet“, sagt Senf und rückt ihren Mundschutz zurecht. „Es geht um | |
toxische, kriegerische Männlichkeit. Es geht um verblendete Deutschtümelei. | |
Und es geht darum, dass wir für unser postheroisches Zeitalter neue | |
Erzählmuster brauchen.“ Abstraktion also, Transfer ins Traumartige. | |
Wir sind hier nicht am Set eines Drehs, der gern ein bisschen bei „Game of | |
Thrones“ abkupfern würde. Das widerspräche auch dem, was für „Götz“ i… | |
entsteht, denn da werden moderne Kulissen anderer Produktionen recycelt. | |
Dass Foersters „Götz“ sich auch als Kritik an der wiedererstarkenden | |
Rechtslastigkeit unserer Gesellschaft versteht, ist nicht zuletzt an der | |
gewaltigen Deutschlandfahne abzulesen, die einer der Krieger schwenkt. Sie | |
ist farblos, in Schwarzweiß. Holzschwerter liegen daneben im Gras. Manche | |
Helme sehen aus wie eine krude Mischung aus Erstem Weltkrieg und Kochtopf. | |
Und als Rüstung dienen bei manchen silberne Leggings, Glitzerturnschuhe. | |
Was hier stattfindet, ist eine Dekonstruktion. Und sehr politisch. „Würde | |
er heutzutage leben“, sagt Senf mit Nachdruck, „wäre Götz Reichsbürger�… | |
Wer hier also einen Götz erwartet, der trutzig-treu daherkommt, | |
edelgesonnen womöglich, wird enttäuscht. „Unser Götz hat auch schon mal | |
ganz schön Panik“, lacht Senf. Und dann macht sie nach, wie er dann flucht: | |
„Scheißescheißescheiße!“ | |
Außerdem schmilzt Goethes „Götz“ unter Foerster und Senf ziemlich zusamme… | |
Begonnen hat alles mit 50 Textseiten, am Ende blieben davon 35. „Eigentlich | |
ist die Story ja total dünn. Wir nehmen sie also eher als | |
Themensteinbruch.“ Nicht alle fünf Akte kommen vollständig zum Tragen, | |
Goethe-Verehrer werden also aufschreien. Aber es gibt auch Sachen, um die | |
kommt man nicht herum. Zum Beispiel dieser Satz, den Götz, der sich wieder | |
mal ziemlich in die Bredouille geritten hat, in Akt 3 sagt, verschanzt in | |
seiner Burg: „Er kann mich im Arsche lecken!“ Senf schmunzelt. „Das sagt | |
unser Götz sogar zweimal.“ | |
Der Dreh auf dem Varus-Schlachtfeld ist eine sicherheitstechnische | |
Meisterleitung. Die verwegenen Gesichtstücher, die die Kämpfer tragen, | |
verbergen ihre Atemschutzmasken. Der Nahkampf ist teils eher ein Fernkampf. | |
Und auch das Technikteam wahrt Abstand. Aber manchmal, da geht es eben | |
nicht anders, da muss man näher ran. Etwa, als bei Hannah Walther, die | |
schon in „Schroffenstein“ zu Foersters starkem Ensemble gehörte, Blut | |
nachgesprayt werden muss, für einen Kopftreffer. | |
Nein, es geht hier nicht um hehre Gefühle, nicht um anti-feudales Faust- | |
und Fehderecht, erst recht nicht um das Hin und Her der Bauernkriege. Und | |
wenn Meskendahl als Götz „sehr tief, sehr deutsch, sehr männlich“ ist, wie | |
Senf sagt, ist das eine sarkastische, symbolistische Brechung. Es geht um | |
die Grenzen der Freiheit. Darum, dass Gewalt Gegengewalt gebiert. Und der | |
Kill Count ist am Ende wirklich beeindruckend. | |
Auch das Osnabrücker Theater lernt also um, weg vom Analogen. Es hat | |
Formate entwickelt wie [1][das digitale Publikumsgespräch | |
„Theatre’n’Talk]“, das nicht von ungefähr „T’n’T“ abgekürzt w… | |
schließlich hat es „explosives Potential“. Und nun also ein Spielfilm. | |
„Nach außen ist alles tot“, sagt Marie Senf. „Aber im Inneren arbeiten w… | |
wie blöde.“ | |
11 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.theater-osnabrueck.de/spielplan/digitales-theater/t-n-t-theatre… | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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