# taz.de -- Buch über deutsche Bauernkriege: Was man wissen wollte | |
> Der Historiker Gerd Schwerhoff entwirft ein enzyklopädisches Panoramabild | |
> des Bauernkriegs 1525. Das hat einen weiten Fokus – und blinde Stellen. | |
Bild: Thomas Müntzer vor der Schlacht bei Frankenhausen, Holzstich um 1860 | |
Der Bauernkrieg, dessen 500. Jahrestag bevorsteht, hat retrospektiv im | |
Bewusstsein der Deutschen kurvenreiche Spuren hinterlassen. Mit Macht | |
tauchte der Bauernkrieg nach langem Vergessen 1848 auf, als linke | |
Radikaldemokraten wie Wilhelm Zimmermann ihre eigene Niederlage gegen den | |
Feudalismus in das 16. Jahrhundert zurück spiegelten. | |
Die Revolution 1848 schien wie 1525 an der föderalen Zersplitterung und | |
einem Mangel an Nationalstaatlichem gescheitert zu sein. Die fortwährende | |
deutsche Misere, eine Art linke Sonderwegsthese, fußte in dieser Lesart auf | |
dieser Urkatastrophe, dem vergeblichen Aufstand der Bauern. | |
In der DDR wurden die lokalen Aufstände forsch zu einer frühbürgerlichen | |
Revolution modelliert, das Fehlen eines Bürgertums wurde großzügig | |
übersehen. Dass [1][Thomas Müntzer in Thüringen gefoltert und getötet | |
worden] war, machte es naheliegend, den wortgewaltigen, apokalyptischen | |
Gegenspieler von Luther zu einem frühsozialistischen Helden zu verformen. | |
In der Bundesrepublik deutete man, der Mechanik der | |
Systemauseinandersetzung folgend, 1525 hingegen als „Revolution des | |
gemeinem Mannes“ (Peter Bickle). Die Revolte sei gar nicht durchweg | |
gescheitert, vielmehr habe sie in Süddeutschland neue Kompromisse zwischen | |
Bauern und Adel gestiftet. Das war zwar subtiler als die DDR-Version, aber | |
auch eine Rückspiegelung. Die föderale westdeutsche Demokratie konnte nach | |
dem Desaster 1945 in einer gar nicht so desaströs verlaufenen Revolte ihre | |
eigenen Ursprünge erkennen. Reform statt Revolution. | |
## Was war der Bauernkrieg? | |
Was also war der Bauernkrieg? Oder: Was waren die Bauernkriege? Denn die | |
Revolten, die 1524 in Süddeutschland und der Schweiz begannen und sich vom | |
Harz bis zum Elsass, von Thüringen bis Tirol ausweiteten und 1526 endeten, | |
waren ein vielgestaltiges Phänomen. An dem Tag, als Thomas Müntzer in | |
Frankenhausen unterging, eroberten Bauernhaufen Freiburg. | |
[2][Der Historiker Gerd Schwerhoff] skizziert ein umfassendes Gesamtbild, | |
erzählt als klassische Ereignisgeschichte und durchzogen von entschlossenem | |
Zweifel an allen großformatigen Erklärungen. Sogar die Revolte als Ausdruck | |
einer Krise des Feudalismus zu verstehen, verdient hier Misstrauen. Das sei | |
ein „Zirkelschluss“, der nur den freien Blick auf das Ereignis verstelle. | |
Fakten, keine Deutungen, so der Ansatz. | |
Das klingt angesichts der mannigfachen, von aktuellen Interessen geleiteten | |
Interpretationen erst mal verheißungsvoll. Wenn man die Schichtungen von | |
Überschreibungen beiseite schiebt und beschreibt, was geschah – kommt dann | |
etwas Neues, Übersehenes zum Vorschein? | |
„Der Bauernkrieg. Eine wilde Handlung“ trägt die quellenbasierten | |
Regionalstudien zu einem Panoramabild zusammen. Schwerhoff versucht in | |
einzelnen historischen Szenen – etwa dem Weingartener Vertrag – den | |
Horizont der Akteure gegen rückblickende Deutungen zurechtzurücken. Der | |
Weingartner Vertrag, ein kapitulationsartiger Friedensschluss der Bauern | |
mit dem Herrschenden, sei kein Verrat gewesen, sondern angesichts der | |
drohenden, absehbaren Massaker ein rationaler Schritt. | |
## Perspektive der Akteure | |
Der Gestus, die Perspektive der Akteure gegen expost Erkenntnisse zu | |
schützen, ist sympathisch. Irritierend wirkt allerdings, dass hier Akteure | |
mitunter als konservativ bezeichnet werden, ein Begriff der nur als | |
Konterpart von Fortschritt Sinn ergibt. Im 16. Jahrhundert, in dem ein | |
zyklisches Zeitverständnis herrschte, hat er keinen Ort. | |
In den großen Linien wiederholt „Der Bauernkrieg“ bekannte Erkenntnisse. | |
Ein Grund für die Niederlage der zahlenmäßig oft überlegenen und | |
militärisch nicht immer unterlegenen Bauernhaufen war „die Uneinigkeit | |
zwischen Radikalen und Gemäßigten“. Das ist ebenso richtig wie geläufig. | |
Auch in dieser Skizze wird die zentrale Rolle der in Memmingen verfassten | |
12 Artikel deutlich, die die regional unterschiedlichen Aufstände | |
programmatisch rahmten. Die explosive Verbreitung der Artikel waren die | |
erste Manifestation einer politischen Öffentlichkeit, die vom Bodensee bis | |
nach Erfurt reichte. | |
Das war ein Novum in einer Gesellschaft, in der mehr als 80 Prozent | |
Analphabeten waren. Die 12 Artikel waren das erste menschenrechtliche | |
Dokument in Deutschland. Letzteres hält Schwerhoff, mitunter verbissen | |
skeptisch gegen Interpretationen, für eine „tagespolitische Zuspitzung“. | |
## Rache des Adels | |
Verdienstvoll ist die Schilderung der Rache des Adels. Das größte Massaker | |
war nicht das Blutbad, das die Truppen nach Müntzers Untergang in Bad | |
Frankenhausen anrichteten. Es fand in Zabern im Elsass statt, wo Söldner | |
20.000 Wehrlose abschlachteten. | |
Waren solche Gewaltexplosionen in den Kriegen der frühen Neuzeit | |
gewöhnlich? Oder waren die Bestrafungsaktionen in den Augen der | |
Zeitgenossen ein herausragendes Exempel mit abschreckender Wirkung? Und | |
womöglich ein Grund, warum in Deutschland 300 Jahre bis zur nächsten | |
Revolte vergingen? Schwerhoff, Experte für Gewalt- und | |
Kriminalitätsgeschichte, hätte dazu wahrscheinlich etwas beizutragen. Doch | |
er bleibt in seinem engen Korsett von Ereignisgeschichte und Deutungskritik | |
eingeschnürt. | |
Der Famulus Wagner, der einfältige Konterpart des Helden, sagt in Goethes | |
Faust: „Mit Eifer hab’ ich mich der Studien beflissen; Zwar weiß ich viel, | |
doch möcht’ ich alles wissen.“ Dieser Satz war eine satirische Spitze von | |
Goethe gegen die französischen Enzyklopädisten, die Mitte des 18. | |
Jahrhunderts in aufklärerischer Absicht Wissen dokumentiert hatten. | |
Genauer: Der Satz parodierte den Glauben, dass faktisches Wissen zu | |
versammeln, schon Aufklärung ist. | |
Was wissen wir über den Bauernkrieg, wenn wir die Fakten kennen und uns | |
chronologisch Schlachten, Orte und das handelnde Personal vor Augen führen? | |
Diese Frage drängt sich nachdrücklich auf, wenn man das gut 700 Seiten | |
starke Werk „Der Bauernkrieg“ zuklappt. | |
Irgendwie weiß man nun viel. Aber man hat vergessen, warum man es wissen | |
wollte. | |
22 Sep 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_M%C3%BCntzer | |
[2] /Buch-ueber-Geschichte-der-Blasphemie/!5751225 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
## TAGS | |
Feudalismus | |
Revolution | |
Landwirtschaft | |
Deutsche Geschichte | |
Adel | |
Bildende Kunst | |
Feudalismus | |
Feudalismus | |
Ausstellung | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Schwerpunkt AfD | |
Landwirtschaft | |
Politisches Buch | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ausstellung über Bauernkriege in Halle: Der Morgenstern ist nachgebaut | |
Computerspiele über Feldarbeit, Agrarroboter und Waffen: Die Ausstellung | |
„Planetarische Bauern“ in Halle fragt nach der heutigen Bedeutung der | |
Bauernkriege. | |
Bauernkrieg-Ausstellung mit KI: Die KI grüßt aus dem Bauernkrieg | |
Bei der Landesausstellung „Uffruhr“ in Bad Schussenried setzen die | |
Kuratoren auf emotionale Ansprache durch Avatare. Das funktioniert | |
erstaunlich gut. | |
Buch über die Folgen des Bauernkriegs: Die Mikrophysik der Rache | |
War der Bauernkrieg 1525 mehr als ein Aufflackern ohne Tiefenwirkung für | |
die deutsche Geschichte? Peter Seibert beleuchtet, was nach dem Aufstand | |
kam. | |
Ausstellung über Zeit der Bauernkriege: Wenn die Bilder greifbar werden | |
Die Ausstellung „Frührenaissance in Mitteldeutschland“ in Halle zeigt den | |
Wandel der Bilder um 1500. Was hat das mit den Bauernkriegen zu tun? | |
500 Jahre Bauernkrieg: Mistgabeln unterm Regenbogen | |
Vor 500 Jahren zogen die Bauern in einen Freiheitskampf. Ein Besuch im | |
thüringischen Mühlhausen, wo sich ihr Anführer Thomas Müntzer | |
radikalisierte. | |
Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen: AfD bei Bauern besonders stark | |
Rund 49 Prozent der Landwirte unter den Wählern in Sachsen stimmten für die | |
AfD. In Thüringen bekam die Partei rund 40 Prozent der Bauernstimmen. | |
Geschichte der Bauernproteste: Wütend seit 500 Jahren | |
Im Jahr 1524 begann der deutsche Bauernkrieg. Im Gegensatz zu den heutigen | |
Protesten hatten die Agrar-Revoluzzer damals wenig Erfolg. | |
Buch über Geschichte der Blasphemie: In des Herren Wunden scheißen | |
Gerd Schwerhoffs „Verfluchte Götter: Geschichte der Blasphemie“ erzählt d… | |
Karriere eines Delikts als Identitätsmaschine. Und enttäuscht. |