# taz.de -- Die Kunst der Woche: Einstieg in den Ausstieg | |
> Margaret Honda zeigt uns die Schuhe der Daisy Duck, Lucy Beech den Körper | |
> als Kanalisation und Thomas Eggerer übersetzt Personen in Formen und | |
> Muster. | |
Bild: So groß wie Daisy?: Margaret Hondas „Shoes“, 2022 | |
Wie würden eigentlich die Pumps von Daisy Duck aussehen, wenn Daisy Duck so | |
groß wäre wie ein Mensch? Diese zunächst absurde Frage hat sich Margaret | |
Honda gestellt. Nun steht das überdimensionierte Schuhwerk in der Galerie | |
Molitor – silber gefärbtes Leder, zusammengenäht zu runden, etwas | |
knautschigen Dingern, die eher was von einem Sitzpouf für Kinder haben denn | |
von einer unbequemen Sorte Stöckelschuh. | |
Leichten Fußes führen die Knautsch-Pumps dann aber auch direkt in die | |
Verkettungen unserer Konsumkultur. Denn Margaret Honda nahm die Schuhmaße | |
einer Disney-reifen Pekingente ab. Jenes domestizierte Geflügel, das im | |
späten 19. Jahrhundert aus Südostasien exportiert und unterschiedlich in | |
Europa und den USA für die Massentierhaltung zurechtgezüchtet wurde, | |
weshalb man transatlantisch bis heute die jeweiligen Züchtungen nicht immer | |
anerkennt, so Wikipedia. | |
Und dieses von der Fleischindustrie gebeutelte Tier ist in Form von Walt | |
Disneys ordentlich binär gegenderten Daisy und Donald Ducks ein Symbol der | |
Populärindustrie, weltweit und insbesondere in Hondas Wahlheimat Los | |
Angeles. Der Schuster für die silbernen Poufs stellt sonst Kostüme für | |
Themenparks im Disney-Bundesstaat Kalifornien her. In der [1][Galerie | |
Molitor] betreibt die 1961 in San Diego geborene Honda einen Kunsttrick, | |
und er funktioniert wunderbar: Sie verändert die Dimensionen von | |
Alltagsobjekten, tauscht die Materialien aus. Die Dinge sind nicht mehr so | |
fix in ihrem sonstigen Koordinatensystem. Man schaut dann etwas genauer, | |
was sie sind und woher sie kommen. | |
Wie bei den eigentlich banalen Hundenäpfen, die Margaret Honda als feine, | |
transparente Vinylschalen nachbilden ließ. Angefertigt hat sie Jack Brogan, | |
der als Produzent für Größen der US-Minimal Art die Veredelung von Material | |
und künstlerischer Idee zu seinem Brotjob machte. Ohnehin ist in dieser | |
Ausstellung alles von einem ästhetischen Minimalismus durchzogen. Sehr | |
reduziert kommen auch die 23 Zeichenblätter im Untergeschoss der Galerie | |
daher. | |
Linien aus schwarzer Tinte ziehen einsam auf weißem Grund Kurven, Treppen | |
oder Geraden nach. Honda zeichnete auf dieser Bilderreihe aus der | |
Erinnerung ihre alltäglichen Wege nach, von den 1960er Jahren bis heute. | |
Hat man sich das schon einmal für den eigenen Weg von der Arbeit vor Augen | |
geführt, wie der normalste Umstand des Alltags dann zu einem schönen, | |
tänzelnden Strich auf dem Blatt wird? | |
## Verbundener Körper | |
Räder kurben Sauerstoff durch die Nasenflügel, Kübel wie in einem Stahlwerk | |
transportieren ihn durch eine schmiedeeiserne Luftröhre: Der menschliche | |
Organismus ist eine effiziente, autarke Fabrikanlage auf Fritz Kahns | |
berühmter Infografik „Der Mensch als Industriepalast“ von 1926. Eine | |
psychoanalytische Wendung von Kahns Vision tönt aus der wandfüllenden | |
Videoprojektion der britischen Künstlerin Lucy Beech Im [2][Residency Space | |
von Between Bridges]: „Das Gefühl (zumindest für einen Moment)// dass mein | |
Körper nur mich selbst enthält“ hört man dort auf Englisch. | |
Eingesprochen hat die Tonspur Performer:in Logan February – ihre | |
poetischen Textcollagen blendet Beech immer wieder ein in eine | |
hochästhetisierte Bildabfolge von medizinischen Laboren, | |
Landwirtschaftsbetrieben oder Müllrecyclinganlagen. | |
Das Zitat ist sozusagen der Einstieg in Beechs Ausstieg aus der klassisch | |
modernen Vorstellung, wir und unsere menschlichen Körper seien autarke | |
Maschinen. In ihrer Ausstellung „Out of Body“ verfolgt Beech (*1985) | |
nämlich das, was vom Körper ausgeschieden wird, und wie es dann wieder | |
einfließen kann in einen anderen, hochtechnologisierten Superorganismus | |
unserer gebauten Umwelt. | |
In ihrem psychedelischen Video watet man durch die riesigen Röhren der | |
Kanalisation, durch das mikrobielle Eigenleben menschlicher Exkremente – | |
eine dicke Spinne taucht vor der schwach erleuchteten Kamera auf. Man | |
streift entlang des Umlauftanks, jenem wie ein monumentales Gedärm am | |
Berliner Tiergarten emporragenden Wasserforschungsgebäude von Architekt | |
Ludwig Leo. Ganz nah rückt Beechs Kamera an eine Plazenta nach der Geburt | |
eines Kindes heran, die dicken gelben und grünen Adern scheinen noch zu | |
pulsieren. | |
Alles verbindet sich hier zu einem übergeordneten wabbeligen, von zähen | |
Liquiden durchflossenen Verdauungssystem. Und die Idee von einem „autonomen | |
Ich“ spült Beechs Sounduntermalung gleich am Ausstellungseingang weg. | |
## Menschen und Muster | |
Irgendwie von einem System verschluckt wirken auch die Figuren auf den | |
Malereien von Thomas Eggerer in der [3][Galerie Capitain Petzel]. Sehr | |
präzise stellt er die großstädtischen, jungen, Sport treibenden, | |
demonstrierenden oder einfach abhängenden Menschen dar mit seinem | |
flächig-dünnen Farbauftrag. Doch ob aus Fern- oder aus der Nahsicht, die | |
Figuren werden bei dem in New York lebenden Künstler eher zu Formen als zu | |
Personen. | |
Wie einer in kurzer Shorts und hochgezogenen Tennissocken da sein Bein über | |
den Brückenvorsprung knickt, der andere seinen Oberkörper schräg hinter der | |
Demoflagge verschwinden lässt oder wie auf dem großformatigen „Fitness“ a… | |
diese Gewicht Hebenden und sich Stretchenden in einem kleinteiligen | |
Ornament zu verschwinden scheinen, als entsprängen sie einer der berühmten | |
Börsenfotografien von Andreas Gursky aus den Neunzigern. | |
Gesichter sieht man kaum auf diesen Bildern. Und wenn, dann malte sie der | |
1963 in München geborene Eggerer nur maskenhaft. Einmal sind nur noch die | |
Reste eines offenbar abrupt abgebrochenen McDonald's-Essen zu sehen, recht | |
ästhetisch arrangiert hat Eggerer die vereinzelten Pommes und die | |
angebissenen Burger. Es sind im wörtlichen Sinne die Muster des sozialen | |
Zusammenkommens, die Eggerer hier abbildet. | |
13 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.galeriemolitor.com/exhibitions/margaret-honda-sculptures-drawin… | |
[2] https://between-bridges.vercel.app/foundation/residency/lucy-beech | |
[3] https://www.capitainpetzel.de/exhibitions/113-thomas-eggerer-galeria/ | |
## AUTOREN | |
Sophie Jung | |
## TAGS | |
taz Plan | |
Berliner Galerien | |
Kunst Berlin | |
Skulptur | |
Zeichnung | |
Videokunst | |
Zeitgenössische Malerei | |
Berlin Ausstellung | |
Kunst Berlin | |
Kunst | |
taz Plan | |
Kürzungen | |
Ausstellung | |
taz Plan | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die Kunst der Woche: Tastend im Archiv | |
Was kommt zum Vorschein, wenn Staatsakte in ihrer Ritualität betrachtet und | |
Archive vom Alltag her gedacht werden? Drei Ausstellungen auf Spurensuche. | |
Ausstellung von Jeewi Lee: Sand aus Sand | |
Die Künstlerin Jeewi Lee entwirft Bilder einer knappen Ressource. In der | |
Pankower Galerie Sexauer vergrößert sie Sandkörner zu Skulpturen. | |
Die Kunst der Woche: Davor, dahinter und immer weiter | |
Drei Arte-Povera-Künstler suchen bei Konrad Fischer nach Bildern für die | |
Unendlichkeit. Bei Stallmann reiht Alizée Gazeau eine Herde Pferdesattel | |
auf. | |
Berlin spart an der Kultur: Grob fahrlässig | |
Um 11,6 Prozent soll der Kulturetat im nächsten Jahr gekürzt werden. Was | |
die Sparpläne der schwarz-roten Koalition konkret bedeuten würden. | |
Ausstellung über Zeit der Bauernkriege: Wenn die Bilder greifbar werden | |
Die Ausstellung „Frührenaissance in Mitteldeutschland“ in Halle zeigt den | |
Wandel der Bilder um 1500. Was hat das mit den Bauernkriegen zu tun? | |
Die Kunst der Woche: Hinter dem Glanz | |
John Boskovich dekonstruierte in seinen Objekten die Chiffren Hollywoods. | |
Tracey Snelling blickt hinter die Botschaften der Architektur. |