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# taz.de -- 500 Jahre Bauernkrieg: Überschreibungen und Verdrehungen
> Martin Luther gegen Thomas Müntzer, Befriedungsstrategie gegen Vorschein
> der Revolution: Wie der Bauernkrieg von allen Seiten vereinnahmt wurde.
Bild: DDR-Auftragskunst gegen den Strich: das Bauernkriegspanorama von Werner T…
Vielleicht ist kein Ereignis der deutschen Geschichte so gründlich
vergessen, überschrieben, für eigene Zwecke benutzt worden wie der
[1][Bauernkrieg]. Die Revolutionäre von 1848, die Arbeiterbewegung, die
Nazis, die DDR, die Bundesrepublik, sie alle haben die Ereignisse nach
eignen Bildern geformt, mal subtil, mal rustikal.
Der [2][Aufstand der Bauern und Handwerker 1524/25] war die Urszene
revolutionären Scheiterns. Es hatte schon zuvor Revolten gegeben, die von
dem feudalen System niedergeschlagen wurden. 1524/5 kristallisierte sich
etwas Neues heraus: Bewegungen, die lokal agierten, aber ein gemeinsames
Programm vertraten.
Luther war für die Aufständischen von tragischer Bedeutung. Seine Schrift
„Über die Freiheit eines Christenmenschen“ (1520) war ein gedanklicher
Funke der Revolte, sein Aufruf von 1525 an die Fürsten, die Bauern zu
massakrieren, ein zentraler Schritt in Richtung Fusion der Reformation mit
der Macht und deren Verstaatlichung.
Im 19. Jahrhundert wurde Luther zur Heldenfigur des deutschen Nationalismus
modelliert, als der Deutsche, der mit der Bibelübersetzung die deutsche
Sprache kodifizierte und gegen die (römische) Fremdherrschaft aufstand.
„Der größte Deutsche unserer Geschichte ist Martin Luther“, so Adolf Hitl…
1933.
## Im kollektiven Gedächtnis
Thomas Müntzer der Radikale und Martin Luther der Moderate haben sich als
Antipoden in das kollektive Gedächtnis eingraviert. Das ist eine vertraute
historische Konstellation, wie Danton und Robespierre, Kerensky und Lenin,
Ebert und Luxemburg.
[3][Thomas Müntzer, ein Prediger mit polemischen Talent], war eine
tragische, rätselhafte Figur, dessen messianischer Glaube an die
Notwendigkeit der radikalen Umkehr sich unglücklich mit Unfähigkeit zur
Realpolitik verband. Von Müntzer ist ([4][wie Günter Vogler und Siegfried
Bräuer dargelegt haben]) nur wenig Biografisches bekannt. Müntzers
übersichtliche Schriften sind von christlicher Mystik, hochfahrender Moral
und revolutionärem Gleichheitsversprechen geprägt. Den Bauern wandte er
sich erst zu, nachdem die Fürsten seine Lehre abgelehnt hatten. 1524/25
verschmolzen Müntzers religiöse Erlösungsideen mit dem sozialen Aufstand.
Die SED versuchte Müntzer als Anti-Luther und Schlüsselfigur einer
spezifischen DDR-Nationalgeschichte zu inszenieren. Dafür wurde der
Bauernaufstand als frühbürgerliche Revolution verstanden und der
christliche Visionär Müntzer als Vorfahr von Karl Liebknecht. In einem 1987
im Militärverlag der DDR erschienenen Werk ist zu lesen, dass die DDR „die
Erfüllung der Hoffnungen und Sehnsüchte der Akteure des Bauernkrieges“ sei.
Die Idee, dass die Sehnsucht des evangelischen Mystikers Müntzer
ausgerechnet die eher gottlose DDR war, ist eine auffällige retrospektive
historische Verbiegung.
Davor war auch die bundesdeutsche Geschichtsschreibung nicht gefeit. Der
Historiker Peter Bickle (über-)betonte, dass es in süddeutschen Gemeinden
nach dem Bauernkrieg neue Kompromissbildungen zwischen Herrschern und
Bauern gab. Die Revolution war gescheitert, aber die Reform erfolgreich –
das war auch eine gefällige historische Rückspieglung bundesdeutschen
Selbstverständnisses.
Zudem widersprach Bickle der These, dass der extrem blutige Rachefeldzug
der Fürsten, der 100.000 Bauern das Leben kostete, die Grundlegung des
deutschen Untertanengeistes gewesen sei. Auch das fügte sich in ein
liberales bundesdeutsches Selbstbild.
## Kreatives Missverständnis
Die intensive Instrumentalisierung des Bauernkriegs in der DDR produzierte
nebenbei eines der kreativsten künstlerischen Missverständnisse des 20.
Jahrhunderts in Deutschland: das Bauernkriegspanorama von Werner Tübke. Es
steht im thüringischen Bad Frankenhausen, einem Ort der Niederlage der
Bauernheere gegen die deutschen Fürsten. Es ist ein eindrucksvolles
Monument, 18 Meter hoch, von der SED konzipiert als wuchtige Krönung des
Bauernkriegsgedenkens.
Beeindruckend ist dieses Panoramagemälde nicht nur wegen des an die
Renaissance erinnernden Malstils. Diese Rotunde ist ein Exempel dafür, wie
ein Künstler die Zwänge politischer Auftragskunst unterläuft. Das Panorama
bebildert das zyklische Weltbild der Bauernkriegszeit und ist schon damit
ein Dementi des mechanischen Fortschrittsdenkens der SED. Tübkes
Welttheater ist ein Totentanz, eine bildliche Versenkung in den Geist des
16. Jahrhunderts, ein geschichtspessimistisches Spektakel.
Eröffnet wurde es im September 1989, ein paar Monate später war die DDR
Geschichte. Das ist ein ironisches Aperçu in der windungsreichen
Nachgeschichte des Bauernkriegs.
30 Jun 2025
## LINKS
[1] /Der-Bauernkrieg-und-die-Gegenwart/!6081579
[2] /Historikerin-ueber-die-Bauernkriege/!6086270
[3] /500-Jahre-Bauernkrieg/!6040831
[4] https://nasg.journals.qucosa.de/nasg/article/view/135/58
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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