# taz.de -- Vom Bauernaufstand zum Demokratieverfall: Wimmelbild des Scheiterns | |
> In Thüringen, wo die Bauernaufstände 1525 endeten, merkt unser Autor: | |
> Fünf Jahrhunderte später sind weiterhin die Falschen an der Macht. | |
Bild: 500 Jahre nach dem Bauernkrieg sieht's in Thüringen nicht wirklich besse… | |
Zu viele Gespräche endeten depressiv in den letzten Monaten. Zu viele News | |
von Trump, aus Gaza und vom Donbass. Dazu, im Parlament der übergroßen | |
Mitte, die zu kleinen Räder für die viel zu großen Probleme. Das ist | |
Fatalismus ohne Gegenmittel. Es rutscht etwas weg – nicht nur der | |
Sozialstaat. | |
Angegriffen ist die kostbarste Errungenschaft der Neuzeit: dass Recht über | |
Macht steht. In Amerika und Ungarn sind sie schon weit damit, bei uns fängt | |
das Abgleiten erst langsam an. Die Neigung, auszusteigen, sickert in die | |
Köpfe. | |
Also, Zeit für die Sommerpause und einen Blick auf die Erkenntnisse der | |
Vergangenheit. Der Weg führt durch Bad Frankenhausen im Nordosten | |
Thüringens. Über dem Städtchen mit imponierend schiefem Kirchturm liegt der | |
Schlachtberg. | |
Auf dessen Gipfel ein monströser Betonbau, wo am 15. Mai 1525 der | |
[1][Thüringer Bauernaufstand] endete. Sie forderten weniger feudale Lasten | |
und mehr Freiheiten – und scheiterten. Als der charismatische Theologe und | |
Sozialrevolutionär Thomas Müntzer sie zum letzten Gefecht aufrief, hatte | |
das Söldnerheer der Fürsten sie umzingelt. 6.000 von ihnen wurden | |
hingemetzelt. | |
Der 15. Mai war das blutige Ende des Thüringer Bauernaufstands und | |
besiegelte das Scheitern einer [2][sozialen Umwälzung in der frühen | |
Neuzei]t. Danach war ein paar revolutionslose Jahrhunderte Ruhe. Die | |
Fürsten siegten. An die Stelle von Müntzers Messianismus trat das Märchen | |
vom guten [3][Kaiser Barbarossa]. | |
## Die Sixtinische Kapelle des Nordens | |
Wie erinnert man sich heute an diese frühbürgerliche Revolution? Über | |
vierhundert Jahre später, 1975, gab die SED dem Leipziger Maler Werner | |
Tübke den Auftrag für ein Panoramabild auf dem Berg, zur Erinnerung an den | |
frühen Vorläufer des „ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden“. | |
In zwölf Jahren schuf er mehr als ein Schlachtbild: Es wurde ein | |
Welttheater im Stil von Tübkes magischem Historismus, reichte von der | |
Schöpfung bis zum letzten Gericht, 14 Meter hoch und 143 Meter im Umfang. | |
Das Leben der Herrscher und des Volkes, der babylonische Größenwahn, die | |
Aufbrüche der Wissenschaft und das viele Blutvergießen, gebettet in | |
Bilderwelten aus Religion und Mythen, versetzt mit Hunderten Bildern von | |
kosmischen Katastrophen. Pokerrunden von Fürsten, die um Weltreiche | |
würfeln, daneben Milliardäre, die sie kaufen. Die Menschheit als Masse und | |
in Individuen, gemalt im Stil der alten Meister. In der dunklen Rotunde | |
leuchtet es wie Hinterglasmalerei. | |
Ein postmodernes Wimmelbild über den ewigen Wechsel von Höhen der Humanität | |
und blutigen Niederungen? Schlimmer. Mir kam es bei dieser Rundreise in der | |
Rotunde wie eine Apotheose, also Verherrlichung des Scheiterns vor. | |
## Gefallener Held Thomas Müntzer | |
Wenn man den Raum betritt, steht auf hellem Grund, vor einem verbrannten | |
Feld, [4][Thomas Müntzer]. Er hat den Kopf gesenkt. Die Regenbogenfahne des | |
Aufstands fällt ihm aus der Hand, Tübke hat ihr alle Farbe genommen. | |
Der Trommler neben Müntzer: ein verzweifelter Harlekin, der immer | |
weitertrommelt. Aber die Niederlage ist besiegelt, jetzt ist nur noch | |
Gemetzel. Eine Epoche ging zu Ende. Und, Ironie der Geschichte: Im August | |
1989 wurde das Panorama eingeweiht, zwei Monate vor der Implosion des | |
Kommunismus. | |
Als „Sixtina des Nordens“ bewirbt ein bunter Prospekt nun das Museum. Als | |
„zeitloses Welttheater von Liebe und Hass, Geburt und Tod“. Das ist | |
natürlich ein PR-Gag. Denn dies ist eine Sixtinische Kapelle – nicht des | |
Heils, sondern des Scheiterns. | |
Es ist eine Apotheose des Weitermachens ohne einen Endsieg des Himmels über | |
die Hölle, eine ernüchternde Bildflut, die uns die Lektion nahelegt, dass | |
der Ausnahmezustand die Regel ist, und die goldenen Jahre allenfalls mal | |
dreißig Frühlinge dauern. | |
## Von Feudalismus zu Turbofeudalismus | |
Und das passt nun ganz gut zum anbrechenden Turbofeudalismus: Wir leben in | |
einer Zeit, in der die geldgierigen Schurken, die Psychopathen in höheren | |
Ämtern und die [5][durchgeknallten Technikgenies] sich anschicken, den | |
Planeten endgültig zu ruinieren, Herrschaft wieder an Herkunft zu binden, | |
das Eigentum zu heiligen und Macht über Recht zu setzen. | |
Dieser Rundgang ist ein starkes Mittel gegen unsere Neigung, uns immer | |
wieder, gegen alles besseres Wissen, über Dinge zu wundern, die man | |
„eigentlich“ in diesem Jahrhundert „nicht mehr für möglich“ gehalten … | |
„Geschlagen ziehen wir nach Haus, die Enkel fechten’s besser aus“? Die | |
flotte Hoffnung im Wandervogellied über den linken Ritter Florian Geyer – | |
auf diesem Bild ist keine Spur von ihr zu finden. | |
Was bringt Menschen dazu, zornig zu werden und Opfer zu bringen für einen | |
Kampf ohne Garantie auf einen Sieg? Laut Walter Benjamin speist sich die | |
Kraft nicht aus dem Ideal der „befreiten Enkel“, sondern aus dem „Bild der | |
geknechteten Vorfahren“, der Gescheiterten und Geschändeten in Zeiten des | |
vollendeten Faschismus. | |
Die Vorfahren hätten, so Benjamin, mit profaner Theologie, einen Anspruch | |
an uns, auch wenn uns wenig mehr mit ihnen verbinde als ein Echo der | |
Stimmen von Verstummten, ein schwacher „Hauch der Luft“, der um sie gewesen | |
ist. | |
## Barbarossa, Höcke und Sommerbrise | |
In diesem Fall ist es die [6][Atmosphäre auf dem Schlachtberg von | |
Frankenhausen], wo die AfD zehn Prozent mehr hat als im Thüringer | |
Durchschnitt. Wo nebenan, am Kyffhäuser, Björn Höcke von Barbarossa träumt, | |
der erwachen und aufräumen wird, wenn die Not am größten ist: | |
„Innere Kraft aus Mythen zu schöpfen, ist in Wendezeiten immer hilfreich“, | |
so lautet [7][Höckes Instrumentalisierung der Vergangenheit]. | |
Aber wir halten an diesem Sommertag nicht am Kyffhäuser, über dem kein | |
Adler kreist. Im Radio diskutiert ein ideologischer Abrissunternehmer aus | |
dem Hause Springer mit einem Sozialdemokraten, und wir rufen bei | |
heruntergelassenem Fenster in den Wind nach Politikerinnen und Politikern, | |
die neue Energie aus historischen Niederlagen destillieren können. | |
16 Jul 2025 | |
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## AUTOREN | |
Mathias Greffrath | |
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