| # taz.de -- Reaktionen auf Koalitionsvertrag: „Einigung mit Licht und Schatte… | |
| > Bei Gewerkschaften, Sozialverbänden und Linkspartei stößt das Kapitel | |
| > Arbeit und Soziales im schwarz-roten Koalitionsvertrag auf gemischte | |
| > Reaktionen. | |
| Bild: Nicht alle sind so begeistert von dem schwarz-roten Koalitionsvertrag wie… | |
| Berlin taz Moderate Töne von den Gewerkschaften, mahnende Stimmen von den | |
| Sozialverbänden, scharfe Worte von der Linkspartei: Das Kapitel Arbeit und | |
| Soziales [1][des am Mittwoch vorgestellten Koalitionsvertrags] von CDU, CSU | |
| und SPD trifft auf gemischte Reaktionen. | |
| Die schwarz-rote Vereinbarung enthalte „kluge und vernünftige Pläne, um die | |
| Wirtschaft anzukurbeln und Arbeitsplätze zu sichern“, lobte die | |
| DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi. Die Umsetzung werde der DGB „kritisch | |
| begleiten“. Von einer „Einigung mit Licht und Schatten“ sprach Joachim | |
| Rock, der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. Kräftig | |
| aus teilte die Linkspartei-Vorsitzende Ines Schwerdtner: „Komplett mutlos, | |
| phantasielos und ohne sozialen Kompass präsentiert sich hier diese | |
| Koalition der Ignoranz und der Hoffnungslosigkeit.“ | |
| Was die Gewerkschaften freut: Dass jetzt endlich das bereits von der Ampel | |
| vereinbarte, aber [2][von der FDP hintertriebene Bundestariftreuegesetz] | |
| auf den Weg gebracht werden soll. Gelten soll es für Vergaben auf | |
| Bundesebene ab 50.000 Euro und für Start-ups mit innovativen Leistungen in | |
| den ersten vier Jahren nach ihrer Gründung ab 100.000 Euro. | |
| Mit diesem Gesetz soll verhindert werden, dass Firmen, die mittels | |
| Lohndumping ihre Preise senken können, bevorteilt sind gegenüber | |
| Unternehmen, die tarifliche Löhne und Gehälter zahlen. „Maßnahmen wie das | |
| Bundestariftreuegesetz oder die steuerliche Absetzbarkeit von | |
| Gewerkschaftsbeiträgen sind zentrale Hebel für mehr Tarifbindung in | |
| Deutschland und damit für fairere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen“, | |
| sagte dazu DGB-Chefin Fahimi. | |
| ## Mit der „neuen Grundsicherung“ zurück zu Hartz IV | |
| Ebenfalls auf Zustimmung der Gewerkschaften trifft, dass ein weiteres | |
| Vorhaben, das bei der Ampelkoalition liegengeblieben ist, jetzt umgesetzt | |
| werden soll: Betriebsratssitzungen und Betriebsversammlungen sollen künftig | |
| auch online zulässig sein. Auch soll die Option, den Betriebsrat online zu | |
| wählen, im Betriebsverfassungsgesetz verankert werden. | |
| Mit großer Skepsis blicken die Gewerkschaften hingegen auf die Absicht der | |
| neuen Koalition, „die Möglichkeit einer wöchentlichen anstatt einer | |
| täglichen Höchstarbeitszeit“ zu schaffen. Sie könne die künftige | |
| Bundesregierung nur vor „Beliebigkeit und Aktionismus bei der Änderung des | |
| Arbeitszeitgesetzes“ warnen, kommentierte Fahimi diesen Plan. | |
| Noch deutlicher formulierte es der Verdi-Chef Frank Werneke: „Das | |
| Arbeitszeitgesetz schützt Menschen, die ohnehin unter prekären Bedingungen | |
| arbeiten müssen – deshalb darf es nicht ausgehöhlt werden.“ Daher seien d… | |
| geplanten Änderungen „nicht akzeptabel“ und „absolut kontraproduktiv“. | |
| Dem Paritätischen-Hauptgeschäftsführer Joachim Rock stößt besonders die | |
| geplante Umgestaltung des „Bürgergelds“ hin zu einer „neuen Grundsicheru… | |
| für Arbeitssuchende“ auf. De facto bedeutet das eine Rückkehr zum alten | |
| repressiveren Hartz IV-Modell. So sollen die „Mitwirkungspflichten und | |
| Sanktionen im Sinne des Prinzips Fördern und Fordern“ verschärft werden. | |
| Dazu zählt, dass „Menschen, die arbeiten können und wiederholt zumutbare | |
| Arbeit verweigern“, vollständig die Leistungen entzogen werden soll. Wie | |
| das vereinbar sein soll mit dem Bekenntnis, die Rechtsprechung des | |
| Bundesverfassungsgerichts zu beachten, bleibt unklar. Außerdem soll die | |
| Karenzzeit für Vermögen abgeschafft werden und die Höhe des Schonvermögens | |
| „an die Lebensleistung“ gekoppelt werden. | |
| „Die Rückabwicklung des Bürgergeldes, die Wiedereinführung des | |
| Vermittlungsvorrangs und die Verschärfung der Sanktionen gehen zu Lasten | |
| besonders benachteiligter Menschen“, kritisierte Rock. Auch Verdi-Chef | |
| Werneke hält den geplanten Vermittlungsvorrang bei der Bundesagentur für | |
| Arbeit für falsch. „Das erhöht den Druck auf Arbeitslose, jegliche Arbeit | |
| anzunehmen, wirkt sich negativ auf die Löhne aus und unterläuft die | |
| Bemühungen, über mehr Ausbildung und Qualifikation Einkommen zu | |
| stabilisieren und Arbeitsplätze langfristig aufzuwerten“, konstatierte er. | |
| Dass man bei Union und SPD so tue, „als seien die Betroffenen allesamt | |
| Arbeitsverweigerer, ist Sozialdemagogie von der schlimmsten Sorte“, sagte | |
| Linken-Chefin Schwerdtner der taz. Es sei „verantwortungslos, jetzt wieder | |
| Totalsanktionen einführen zu wollen, obwohl das Bundesverfassungsgericht | |
| eindeutig entschieden hat, dass Menschen nicht unter das Existenzminimum | |
| fallen dürfen“. Allerdings überrasche es sie nicht, „dass Union und SPD n… | |
| Erwerbslose drangsalieren wollen, aber gleichzeitig nicht den Mut haben, | |
| die Reichen stärker zu besteuern“, so Schwerdtner. | |
| ## „Aktivrente“, „Mütterrente“ und „Frühstart-Rente“ | |
| Bei der Rente versichern CDU, CSU und SPD, dass deren Niveau bei 48 Prozent | |
| bis zum Jahr 2031 gesetzlich abgesichert bleibt. Auch soll ein | |
| abschlagsfreier Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren möglich bleiben. Um | |
| jedoch einen Anreiz für längeres Arbeiten zu schaffen, soll das Gehalt für | |
| Menschen, die das gesetzliche Rentenalter erreichen und freiwillig | |
| weiterarbeiten, bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei gestellt werden. | |
| „Aktivrente“ nennt das die neue Koalition. Wie von der CSU gefordert, soll | |
| [3][die Mütterrente] künftig unabhängig vom Geburtsjahr des Kindes gezahlt | |
| werden. | |
| Die Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent und die Erweiterung der | |
| Mütterrente wertete Verena Bentele, die Präsidentin des Sozialverbands VdK, | |
| als „sehr positiv“. Dies seien „wichtige Schritte zur Verhinderung von | |
| Altersarmut“, sagte sie. Der Paritätischen-Hauptgeschäftsführer Rock sprach | |
| von „wichtigen, aber nicht ausreichenden Maßnahmen, um den Anstieg von | |
| Altersarmut zu bremsen“. | |
| Darüber hinaus will die schwarz-rote Koalition Anfang kommenden Jahres eine | |
| „Frühstart-Rente“ einführen: Für jedes Kind vom sechsten bis zum 18. | |
| Lebensjahr sollen vom Staat pro Monat zehn Euro in ein individuelles, | |
| kapitalgedecktes und privatwirtschaftlich organisiertes Altersvorsorgedepot | |
| eingezahlt werden. | |
| Der in dieser Zeit angesparte Betrag kann durch private Einzahlungen bis zu | |
| einem jährlichen Höchstbetrag weiter bespart werden, so der Plan. Die | |
| Erträge aus dem Depot sollen bis zum Renteneintritt steuerfrei sein und das | |
| Sparkapital soll vor staatlichem Zugriff geschützt sein. Ausgezahlt werden | |
| soll es mit Erreichen der Regelaltersgrenze. | |
| ## Mindestlohnerhöhung ungewiss | |
| Erstaunlich, dass weder die Gewerkschaften noch die Linkspartei in ihren | |
| Stellungnahmen darauf eingegangen sind, dass sich die Koalitionäre nicht | |
| auf eine verbindliche Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns von derzeit | |
| 12,82 Euro auf 15 Euro brutto pro Stunde verständigen konnten. Das hatten | |
| im Wahlkampf nicht nur der DGB, die Linkspartei und die Grünen gefordert, | |
| sondern [4][auch die SPD]. | |
| Stattdessen verweist der Koalitionsvertrag jetzt auf die unabhängige | |
| Mindestlohnkommission, die sich für die weitere Entwicklung des | |
| Mindestlohns „im Rahmen einer Gesamtabwägung sowohl an der Tarifentwicklung | |
| als auch an 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten | |
| orientieren“ soll. „Auf diesem Weg ist ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr | |
| 2026 erreichbar“, schreiben die Koalitionäre blumig. | |
| Ob es so kommen wird, hängt jedoch davon ab, ob sich nicht wieder die | |
| Arbeitgebervertreter:innen in der Kommission verweigern werden. Das | |
| ist jedoch derzeit noch völlig unklar. Bis Ende Juni muss das Gremium über | |
| die nächste Erhöhung entscheiden. | |
| ## Viel unverbindliche Prosa | |
| Ansonsten enthält das Kapitel „Arbeit und Soziales“ vor allem viel | |
| unverbindliche Prosa. „Wir stehen für hohe Standards im Arbeitsschutz“, ist | |
| da zu lesen. Praktisch beschränkt sich das darauf, „alle nötigen | |
| Instrumente des Arbeitsschutzes auf ihre Wirksamkeit prüfen“ zu wollen. | |
| Allzu große Erwartungen sollte auch nicht in die Aussage gesetzt werden: | |
| „Wir wollen Kinderarmut wirksam bekämpfen und Alleinerziehende entlasten.“ | |
| Denn dazu fällt den Koalitionären nicht viel mehr ein, als den Betrag des | |
| Bildungs- und Teilhabepakets von 15 auf 20 Euro zu erhöhen. | |
| Das gilt ebenso für das Postulat: „Wir werden die Aufnahme einer Arbeit für | |
| Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verstärkt | |
| fördern.“ Es fehle „eine klare Verpflichtung, Barrieren in allen | |
| Lebensbereichen abzubauen und die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu | |
| stärken“, monierte der Co-Linksfraktionsvorsitzende Sören Pellmann. | |
| VdK-Präsidentin Bentele kritisierte, dass die Ausgleichsabgabe für | |
| Schwerbehinderte künftig wieder in Werkstätten und in stationäre | |
| Einrichtungen fließen soll. Das sei „eindeutig ein Rückschritt“, so | |
| Bentele. Das Geld solle vielmehr direkt für die Inklusion in den ersten | |
| Arbeitsmarkt verwendet werden, forderte sie. | |
| Enttäuscht zeigte sich der Linksparteiler Pellmann auch davon, dass im | |
| Koalitionsvertrag die Menschen mit ostdeutscher Biographie mit ein paar | |
| warmen Worten abgespeist würden. „Gebrochene Erwerbsbiografien und | |
| Abwanderung gehörten für viele Menschen zu den Folgen des Zusammenbruchs | |
| der maroden DDR-Wirtschaft nach 1990“, ist da bloß zu lesen – ohne jegliche | |
| praktische Konsequenz daraus. | |
| Das schwarz-rote Papier sei „eine verpasste Chance, endlich den sozialen | |
| und wirtschaftlichen Rückstand zwischen Ost und West zu überwinden und die | |
| Lebensverhältnisse der Menschen in den neuen Bundesländern nachhaltig zu | |
| verbessern“, bemängelte Pellmann. | |
| 10 Apr 2025 | |
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| Pascal Beucker | |
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