# taz.de -- Zukunft des Rentensystems: 7.000 Euro, vom Staat geschenkt | |
> Im Finanzministerium wird an einem Gesetzentwurf zur „Aktivrente“ | |
> gearbeitet. Er könnte die Gerechtigkeitsdebatten befeuern, nicht | |
> abmildern. | |
Bild: Nicht alle RentnerInnen können und wollen arbeiten und die geplante Akti… | |
Berlin taz | Diesen Tag würde Hendrik Hoppenstedt wohl am liebsten | |
vergessen. Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion saß am | |
2. Juni beim TV-Sender Phönix in der Gesprächsrunde „Unter den Linden“. Es | |
ging um die „Aktivrente“, also die geplante Steuerfreiheit für Leute, die | |
sich noch im Rentenalter etwas dazuverdienen wollen. Wieso das Vorhaben | |
denn die Rentenkasse entlaste, fragte die Moderatorin. „Weil erstmal die | |
Rentenzahlung nicht einsetzt“, antwortete Hoppenstedt, „ich kriege ja dann | |
keine Rente, wenn ich weiter arbeite“. Ein Shitstorm im Netz brach los. | |
Hoppenstedt hatte etwas Falsches behauptet. Dennis Radtke, Chef der CDA, | |
des sozialpolitischen Flügels der Union, korrigierte später: „Wer | |
freiwillig länger arbeitet, hat die ersten 2.000 Euro monatlich auf das | |
zusätzliche Einkommen steuerfrei“. Der Verdienst zusätzlich zur Rente, | |
nicht statt der Rente, soll steuerlich befreit werden. Wenn eine | |
Führungskraft der Union schon nicht durchblickt bei den eigenen Vorhaben, | |
ahnt man, dass die „Aktivrente“ eine heikle Sache ist. | |
Im Bundesfinanzministerium werde derzeit der Referentenentwurf zum Vorhaben | |
„intensiv erarbeitet, damit wir ihn zügig vorlegen können“, erklärte eine | |
Sprecherin auf Anfrage der taz. Bundeskanzler Friedrich Merz hatte im | |
Interview mit dem ZDF einen Beginn der Steuerbefreiung ab dem 1.Januar 2026 | |
in Aussicht gestellt. | |
Im Koalitionsvertrag zur Aktivrente sei vereinbart, „dass sie zusätzliche | |
finanzielle Anreize für längeres freiwilliges Arbeiten schaffen wird und | |
dabei Fehlanreize und Mitnahmeeffekte vermieden werden“, so die Sprecherin. | |
Genau die Zielgenauigkeit der Maßnahme und die Mitnahmeeffekte aber sind | |
das Problem. | |
## Steuerfrei | |
Wenn jemand im gesetzlichen Rentenalter weiter arbeitet, trotz der | |
Altersbezüge, sollen 2.000 Euro Gehalt im Monat steuerfrei sein. Die Frage | |
ist nur, welche Gruppe genau gemeint ist. Sind es nur die ehemals | |
Beschäftigten, die als Rentner:innen noch einen Job machen? Und was ist, | |
zum Beispiel, dann mit den Selbstständigen, die mit 67 Jahren noch | |
arbeiten, aber keine gesetzliche Rente beziehen? | |
Zu Einzelheiten will man sich im Finanzministerium noch nicht äußern. Dafür | |
aber kursieren diverse Rechnungen, wieviel das Vorhaben an Steuereinbußen | |
kosten könnte. Das arbeitgebernahe [1][Institut der Deutschen Wirtschaft | |
(IW)] errechnete steuerliche Mindereinnahmen von 2,8 Milliarden Euro im | |
Jahr. Für Rentner:innen jenseits der Regelaltersgrenze, die ein | |
Erwerbseinkommen durch sozialversicherungspflichtige Arbeit von bis zu | |
24.000 Euro im Jahr haben, kamen die Forscher:innen auf | |
durchschnittliche Steuermindereinnahmen von jährlich 2.500 Euro pro Person. | |
Für die Gutverdiener:innen im Rentenalter mit einem Verdienst von über | |
24.000 Euro errechneten die Forscher:innen steuerliche Mindereinnahmen | |
von umgerechnet 7.900 Euro pro Person. | |
Die Aktivrente entlaste vor allem „besserverdienende Rentner:innen“ | |
resümierte das [2][Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung] (DIW). Die | |
Forscher:innen kamen auf Mindereinnahmen von 770 Millionen Euro im Jahr, | |
bei einer etwas anderen Datenbasis als das IW. Im Bundesfinanzministerium | |
geht man von Mindereinnahmen von 900 Millionen Euro im ersten Jahr der | |
Aktivrente aus, berichtete die Bild-Zeitung. | |
Steuermindereinnahmen bedeuten Steuergeschenke an die arbeitenden | |
Ruheständler. Rentner:innen, die im Café auf einer Teilzeitstelle jobben, | |
freuen sich natürlich über ein zusätzliches Mehreinkommen von 100 oder 150 | |
Euro im Monat durch die Steuerbefreiung. Ein Mittel gegen Altersarmut ist | |
die Aktivrente allerdings nicht. | |
## Freibeträge | |
Wer Grundsicherung im Alter bezieht, kann nach wie vor nur sehr begrenzt | |
hinzuverdienen, 70 Prozent des Einkommens werden hier angerechnet. Der | |
Sozialverband VdK will, „dass die Hinzuverdienstregelungen der | |
Grundsicherung im Alter an die des Bürgergeldes angeglichen werden“, teilte | |
VdK-Präsidentin Verena Bentele auf eine entsprechende Anfrage der taz mit. | |
Im Bürgergeld sind die Freibeträge deutlich höher. | |
Der VdK steht der Aktivrente „grundsätzlich skeptisch gegenüber“, so | |
Bentele. Weite man den Kreis der Begünstigten auf Selbstständige, | |
vorgezogene Altersrenten oder Pensionäre aus, „wären die Mitnahmeeffekte | |
von denjenigen, die heute ohnehin schon im Alter dazuverdienen, noch | |
höher“, so Bentele. | |
Ob die Aktivrente am Ende zu mehr Beschäftigung der Älteren führt, ist | |
fraglich. [3][1,8 Millionen Menschen] im Alter von mehr als 65 Jahren sind | |
erwerbstätig. 70 Prozent davon arbeiten in Minijobs, die heute schon | |
steuerbefreit sind. Ein Drittel der Älteren jobbt aus [4][finanzieller | |
Notwendigkeit,] sagen Studien. | |
Ob tatsächlich mehr Rentner:innen als bisher im Ruhestand | |
weiterarbeiten, nur weil sie dann weniger Steuern zahlen müssen als bisher | |
– das ist sehr fraglich. Der Gesetzentwurf könnte vielmehr den Streit um | |
die Generationengerechtigkeit befeuern. Dann nämlich, wenn sich Jüngere | |
fragen, warum denn ihr hart erarbeiteter Verdienst voll versteuert wird, | |
während die Babyboomer:innen, die doch eine auskömmliche Rente beziehen, | |
auch noch das Geld aus dem Nebenjob ganz steuerfrei behalten dürfen. | |
12 Sep 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.iwkoeln.de/presse/pressemitteilungen/martin-beznoska-ruth-maria… | |
[2] https://www.diw.de/de/diw_01.c.958929.de/publikationen/wochenberichte/2025_… | |
[3] https://www.sozialpolitik-aktuell.de/files/sozialpolitik-aktuell/_Politikfe… | |
[4] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/10/PD24_N050_12_1… | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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