# taz.de -- Die CDU und die AfD: Was heißt hier normal? | |
> Jens Spahn schlägt vor, im Bundestag mit der AfD so umzugehen wie mit | |
> jeder anderen Oppositionspartei. Die CDU-Reaktion: Zuspruch, Kritik und | |
> Schweigen. | |
Bild: Abstimmung Ende März in der konstituierenden Sitzung des neuen Bundestag… | |
Berlin taz | Am Mittwochvormittag sitzt Jens Spahn in der Presselounge der | |
CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Reichstagsgebäude und grinst. Spahn, noch | |
stellvertretender Vorsitzender der Fraktion mit Zuständigkeit für | |
Wirtschaft, hat zum Pressegespräch geladen – und der Andrang ist so groß, | |
dass die Mitarbeiter*innen zusätzliche Stühle in den Saal tragen. In | |
letzter Zeit war der ehemalige Gesundheitsminister – auch wegen der | |
Koalitionsverhandlungen – in der Öffentlichkeit wenig präsent. Das ist | |
vorbei. Seit er via Bild-Zeitung am vergangenen Wochenende [1][eine Debatte | |
zum Umgang mit der AfD im Bundestag angezettelt hat,] wird er wieder auf | |
allen Kanälen gesendet. | |
Er würde empfehlen, mit der AfD als Oppositionspartei so umzugehen „wie mit | |
jeder anderen Oppositionspartei auch“, so sagte Spahn es in der Bild | |
[2][mit Bezug auf parlamentarische Abläufe und Verfahren]. Den Posten des | |
Bundestagsvizepräsidenten hat er dabei ausgenommen, den Vorsitz in | |
parlamentarischen Ausschüssen nicht. Seitdem hat er in zahlreichen | |
Interviews mal nachgelegt, mal abwiegelnd betont, dass er doch nur den | |
aktuellen Zustand beschreibe oder als Schwuler um den Hass wisse, der von | |
der AfD ausgehe. Es ist ein Vorgehen, das man von Spahn kennt. Es ist nicht | |
das erste Mal, dass er versucht, seine Partei noch ein Stück weiter nach | |
rechts zu verschieben. | |
Besonders erfolgreich war er beim Thema Migration. Erst landeten | |
Positionen, die er und andere auf den Weg gebracht hatten, im | |
Grundsatzprogramm der CDU, jetzt steht ein Teil davon [3][im | |
Koalitionsvertrag]. Spahn ist auch für seine Kontakte zu illustren | |
politischen Persönlichkeiten bekannt, um es vorsichtig zu formulieren. Er | |
bewunderte den früheren österreichischen Kanzler Sebastian Kurz, | |
zelebrierte seine Freundschaft mit dem ehemaligen US-Botschafter Richard | |
Grenell, reiste zum Parteitag der Republikaner in die USA, betonte | |
thematische Gemeinsamkeiten mit Donald Trump. | |
## An Spahn kommt man nicht vorbei | |
Warum gerade jetzt der [4][Vorstoß zur AfD]? Gerade werden in Berlin | |
politische Spitzenjobs vergeben, Spahn wird als möglicher Chef der | |
Unionsfraktion oder als Wirtschaftsminister gehandelt. In solchen Zeiten | |
erinnert mediale Präsenz daran: An dem kommt man nicht vorbei. Nur dürfte | |
Friedrich Merz, der ohnehin angeschlagen in seine Kanzlerschaft geht, eine | |
erneute AfD-Debatte nicht besonders goutieren. | |
Andreas Püttmann ist über Spahns Vorstoß entsetzt. Püttmann ist | |
Politikwissenschaftler und Publizist, ein ausgewiesener Kenner der CDU – | |
und dem liberalen Flügel der Partei zugeneigt. Fragt man ihn nach der | |
Bedeutung von Spahns Einlassungen, zählt er am Telefon sofort auf: „Jens | |
Spahn verharmlost eine rechtsradikale Partei und trägt so zu ihrer | |
Normalisierung bei. Er verstärkt den falschen Eindruck, das seien | |
entrechtete Leute, und bestätigt damit ihr Opfernarrativ. Außerdem belohnt | |
er durch solche Konzessionen ihre Radikalisierung der letzten Jahre.“ | |
Was Püttmann damit meint: Die AfD hatte keine Ausschussvorsitzenden, obwohl | |
ihr grundsätzlich welche zustehen. Während früher die Ausschussmitglieder | |
die Kandidat*innen der zuständigen Fraktionen für den Vorsitz einfach | |
akzeptierten, setzten die demokratischen Fraktionen bei den | |
AfD-Kandidat*innen 2021 Wahlen durch. Das Ergebnis: Die AfD-Abgeordneten | |
fielen durch, die Posten blieben leer, die Arbeit übernahmen die | |
Stellvertreter*innen. | |
## Unterstützung für den Rechtskurs | |
Grund dafür waren auch die schlechten Erfahrungen in der | |
Legislaturperiode zuvor, der ersten der AfD im Bundestag: Der Thüringer | |
Stephan Brandner, für seine zahlreichen Störungen im Plenum bekannt, wurde | |
unter anderem wegen antisemitischer Posts als Vorsitzender des | |
Rechtsausschusses abgewählt. Dass die AfD [5][keinen Anspruch auf den | |
Posten hat, hat das Bundesverfassungsgericht später bestätigt.] Seitdem hat | |
sich die AfD noch mehr radikalisiert. Warum sollte man ihr nun also wieder | |
Ausschussvorsitzende zugestehen? | |
Zahlreiche CDU-Politiker sind Spahn dennoch inzwischen öffentlich | |
beigesprungen. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer und Philipp | |
Amthor aus Mecklenburg-Vorpommern etwa, auch die Vizefraktionschefs Johann | |
Wadephul und Mathias Middelberg. Man könne die Stärke der AfD nicht | |
ignorieren, so wird meist argumentiert, und dass man die Partei sonst in | |
ihrer Opferrolle bestärken würde. Außenpolitiker Wadephul schlug vor, man | |
könne AfD-Politiker wählen, die in der Vergangenheit nicht negativ | |
aufgefallen seien, und sie wieder abwählen, wenn sie ihre Posten als | |
Ausschussvorsitzende missbrauchten. | |
Politikwissenschaftler Püttmann überzeugt das nicht. Die Opferrolle gehöre | |
schlicht zum radikal rechten Standardprogramm, sagt er. Und der | |
Stimmenanteil einer Partei dürfe doch nicht bestimmend sein: „Das sollten | |
wir aus den 30er Jahren gelernt haben.“ | |
## Plan für die Zukunft | |
Thomas Biebricher sieht die unmittelbaren Folgen von Spahns Aussagen | |
weniger dramatisch. Biebricher ist Politikprofessor an der Uni Frankfurt, | |
[6][seit Langem erforscht er die Krise des Konservatismus und dessen | |
Abdriften nach rechts.] Man könne durchaus darüber diskutieren, ob es | |
sinnvoll sei, der AfD Ausschussvorsitze vorzuenthalten, sagt er. | |
Viel entscheidender sei, sagt Biebricher, dass Spahn mit seinen Äußerungen | |
erneut eine Führungsposition in jenem Lager der Union für sich reklamiere, | |
das sich mehr Flexibilität im Umgang mit der AfD wünsche. Spahn spüre das | |
Unbehagen, das viele in der Partei mit der Brandmauer-Strategie hätten, | |
weil diese langfristig kaum durchzuhalten und der Erfolg bislang auch | |
begrenzt sei. „Er markiert die Differenz zur jetzigen Führung und steckt | |
seine Positionen ab“, sagt Biebricher. Innerhalb der Partei werde durchaus | |
wahrgenommen, dass er dafür Rückendeckung erhalte. „Spahn plant für die | |
Zukunft.“ | |
Auffällig still dagegen bleibt es auf der Gegenseite. Als Merz in einem | |
Sommerinterview 2023 versuchte, die kommunale Ebene aus dem | |
Unvereinbarkeitsbeschluss mit der AfD herauszudefinieren, meldeten sich | |
umgehend zahlreiche Kritiker*innen zu Wort. Viele von ihnen, etwa der | |
ehemalige Ostbeauftragte [7][Marco Wanderwitz] oder Yvonne Magwas, die | |
Ex-Bundestagsvizepräsidentin, gehören inzwischen dem Parlament nicht mehr | |
an, andere wollen noch etwas werden. Nach Spahns Bild-Interview herrschte | |
auf dieser Seite der CDU weitgehend Funkstille. | |
Aus der Fraktion hat sich allein Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter | |
klar positioniert. „Die AfD ist keine normale Partei im demokratischen | |
Spektrum, sondern sie ist antidemokratisch, zumindest in Teilen | |
rechtsextrem, und ihr Ziel ist es, die demokratische Grundordnung | |
auszuhöhlen“, sagte Kiesewetter der taz. Deshalb solle man nicht zu ihrer | |
Normalisierung beitragen. AfD-Politiker sollten nicht in | |
sicherheitsrelevante Gremien wie das Parlamentarische Kontrollgremium | |
gewählt werden, wo es um sensible Informationen gehe. Die AfD habe außerdem | |
keinen Anspruch darauf, dass ihre Kandidaten in Ausschussvorsitze gewählt | |
werden: „Es liegt in der Hand der demokratischen Parteien und | |
Ausschussmitglieder, einen AfD-Vorsitz zu verhindern, was ich empfehlen | |
würde.“ | |
## Radkte: Debatte ist überflüssig und schädlich | |
Ganz ähnlich sieht es auch Europaparlamentarierer Dennis Radkte, | |
Vorsitzender des CDU-Sozialflügels CDA: „Ich finde diese ganze Debatte | |
ebenso überflüssig wie schädlich.“ Das Bundesverfassungsgericht habe | |
festgestellt, dass die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags zulasten | |
der AfD nicht verletzt worden sei. In keinem einzelnen Fall. Es gebe also | |
keine Pflicht, jemanden von der AfD in ein Amt zu wählen. „Und deshalb | |
sollten wir das nicht tun. Punkt.“ | |
Ihm selbst würde eher die Hand abfaulen, bevor er im Europaparlament für | |
die AfD, Le Pen oder eine andere radikal rechte Partei stimmen würde. Es | |
dürfe keine Debatte über eine Normalisierung der AfD geben, weil sie keine | |
normale Partei sei. „An solchen Stellen entsteht der Eindruck, dass der CDU | |
der Kompass völlig abhandengekommen ist“, sagt Radtke. „Als wären Menschen | |
in der CDU offen dafür, die AfD zu normalisieren. Erst dieser | |
Entschließungsantrag im Bundestag gemeinsam mit der AfD und jetzt das. Das | |
schadet unserer Partei.“ | |
Politikwissenschaftler Püttmann sagt über Spahn: „Als möglicher | |
Fraktionschef sollte Jens Spahn eigentlich den Ball flach halten. Aber | |
offensichtlich schätzt er den liberalen Flügel der CDU als so schwach ein, | |
dass er darauf keine Rücksicht nehmen muss. Und natürlich geht es auch um | |
die Zeit nach Merz.“ | |
## An der Spitze braucht Merz Loyalität | |
Biebricher, der Politikprofessor aus Frankfurt, vermutet, dass Merz Spahn | |
nicht für den Fraktionsvorsitz vorschlagen werde. „Das wäre wirklich nicht | |
klug, mehr noch, es wäre gefährlich.“ Zwei Gründe führt Biebricher dafür | |
an. Zum einen seien da eben Spahns Lockerungsübungen Richtung AfD. „Als | |
Fraktionschef muss er Mehrheiten organisieren – auf der einen oder anderen | |
Seite.“ | |
Zum Zweiten könne Spahn als Fraktionschef seine Machtbasis deutlich | |
ausweiten. „Für Spahn wäre der Fraktionsvorsitz ein super Sprungbrett für | |
in vier Jahren“ – wenn es also um Merz’ Nachfolge gehen könnte. Und daru… | |
welchen Kurs die Partei dann einschlagen werde. „Es wäre klüger, ihn in die | |
Kabinettsdisziplin einzubinden.“ | |
An der Fraktionsspitze braucht Merz Loyalität, auch so mancher in der CDU | |
hält das nicht für Spahns Kernkompetenz. Manche meinen sogar: Wenn Merz | |
strauchelt, könnte Spahn das für die eigene Karriere nutzen. | |
Biebricher traut Spahn durchaus zu, die CDU in Richtung AfD zu öffnen. | |
„Jens Spahn gehört zu den gefährlichsten Personen im CDU-Orbit“, [8][so h… | |
er es der taz bereits Anfang des Jahres gesagt.] Und auch: „Von Jens Spahn | |
kann man sich vorstellen, dass er bereit wäre, die Christdemokratie in | |
etwas zu transformieren, was nicht mehr Christdemokratie ist.“ Daran gebe | |
es nichts zu revidieren, sagt Biebricher nun am Telefon. | |
Püttmann meint: „Das ist bei diesem Flügel wie bei den Konservativen in der | |
Weimarer Republik: Damals wie heute sind für manche ‚Bürgerliche‘ linke | |
Parteien das prioritäre Feindbild. Deshalb sind sie im Zweifelsfall | |
unzuverlässig.“ | |
Das Gespräch in der Presselounge am Mittwochvormittag wird im Hintergrund | |
geführt, es darf nur nach Erlaubnis zitiert werden. Spahns Antworten zur | |
AfD gibt die Pressestelle nicht frei. Am Abend sitzt er in der Talkshow von | |
Markus Lanz, wieder einmal. Von Normalisierung der AfD will er nichts | |
wissen. Von einer „normalen Partei“ habe er doch gar nicht gesprochen, sagt | |
Spahn und lächelt. Es ist das Muster, das man kennt. | |
18 Apr 2025 | |
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