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# taz.de -- Radikalisierung nach rechts: Seid schnell, seid scharf
> Konservative tappen immer wieder in dieselbe Falle. Sie rennen
> Rechtsextremisten hinterher und betreiben Kulturkampf. Fünf Regeln, um
> das zu verhindern.
Bild: Ex-Kanzler Österreichs Sebastian Kurz im Wahlkampf 2019
Wieder einmal bricht die Union die politischen Gepflogenheiten und stößt
die anderen Parteien vor den Kopf. Wieder einmal gibt es tagelang
aufgeregten politischen Zirkus. Deutschland drohen nun lang anhaltende
österreichische Verhältnisse. Doch Deutschland muss nicht dieselben Fehler
machen.
Warnendes Beispiel ist [1][die Ära Sebastian Kurz] in Österreich und ihre
Skandale: Umfragenbetrug, [2][Ibiza-Skandal], Anklage gegen René Benko, der
tot aufgefundene Sektionschef des Justizministeriums Christian Pilnacek,
Untersuchungsausschuss, Gerichtsverfahren und am Ende ein Engagement bei
Peter Thiel – die letzten acht Jahre Österreich waren wahrlich nichts für
schwache Nerven. Zwischendurch gab es eine Pandemie, eine Rekordinflation,
Korruption als Normalzustand, gebrochene Versprechen, nicht mehr mit der
FPÖ zu koalieren, und den Versuch, sich die unabhängige Justiz Untertan zu
machen, so wie es mit weiten Teilen der Medienlandschaft längst gelungen
ist.
Österreichs Konservative und damit das Land haben unter Sebastian Kurz
einen Weg eingeschlagen, den zuvor schon Ungarn mit der Fidesz und fast
gleichzeitig die USA mit Trump gegangen sind. Boris Johnson und die Tories
in Großbritannien, Jair Bolsonaro in Brasilien folgten. Konservative
Parteien radikalisierten sich nach rechts und wurden inhaltlich
ununterscheidbar von rechtsextremen Parteien, überholen sie teils sogar
rechts. Die Gründe für diese Radikalisierung liegen in dem Umstand, dass
die Welt rund um diese Parteien zerbricht und alte Normalitäten schwinden.
Das traditionelle konservative Versprechen vom Bewahren des Istzustands
wird in einer Krise völlig unbrauchbar. Wer kann sich schon für den
krisenhaften Status quo begeistern? Der radikalisierte Konservatismus
möchte nicht bewahren, sondern den Status quo mit einem Sprung nach vorn
zerstören. Das Versprechen der Zukunft liegt dabei in einer Vergangenheit,
die so nicht existiert hat. Dieses Versprechen teilt man mit der
ungeliebten Schwesterideologie, dem Faschismus. Die Gegenwart zu zerstören,
um auf ihren Trümmern eine neue bewahrenswerte Zukunft zu bauen, die
hierarchischer und autoritärer ist, ist kein genuin konservatives
Versprechen.
## Debatten über Brandmauern muten putzig an
Der radikalisierte Konservatismus radikalisiert sich nach rechts. So war es
neu, aber folgerichtig, dass Sebastian Kurz auf seine Wahlplakate „Zeit für
Neues“ schreiben ließ. Die klare Zäsur setzte er dabei vor allem innerhalb
der Partei. Zeit für eine neue Parteifarbe, Zeit für einen neuen
Parteinamen. Auch das sind nicht Elemente des klassisch konservativen
Handelns. Wie die Geschichte weiterging, ist bekannt. Vielleicht kommt ja
irgendwann eine gute mehrstaffelige Politserie bei einem großen
Streaminganbieter. Der Entertainmentfaktor des hautnahen Miterlebens war
allerdings sehr gering.
Immer wenn ich in Deutschland unterwegs bin, erlebe ich denselben
(richtigen und gut gemeinten) Furor, ob ich denn überhaupt wisse, wie
schlimm es hier sei mit der Union. Und mit [3][der AfD] sowieso. Ja, ich
weiß es. Ganz Europa weiß es. Denn ganz Europa (und Länder darüber hinaus)
erleben es oder haben es schon erlebt. Ostdeutschland ist nicht die
Ausnahme, Westdeutschland ist es.
Für (fast) alle anderen Länder muten Debatten über Brandmauern,
Verbotsverfahren und klare Abgrenzung bis weit hinein in Kirchen und
konservative Kreise putzig, aber ehrenhaft antiquiert an. In vielen Teilen
Europas muss man nicht mehr die Konservativen, sondern Liberale,
Sozialdemokratie und selbst Grüne abhalten, nicht da oder dort umzusetzen,
was die extreme Rechte fordert. Das soll keine Verniedlichung oder
Banalisierung der deutschen Verhältnisse sein, im Gegenteil. Deutschland
hat bis jetzt gehalten, und davon zehrt ganz Europa. Deutschland muss auch
weiterhin stabil demokratisch bleiben. Denn fällt Deutschland, fällt
Europa. Es gibt kein Land, das diesen Platz einnehmen kann.
Umso wichtiger ist, dass sich deutsche Akteur_innen besinnen und weder die
Gefahr verleugnen noch in narzisstisches Selbstmitleid verfallen.
## Gefahr war selten so groß
Denn die Gefahr ist so real wie nie zuvor. Die AfD ist stärkste Partei oder
droht es zu werden. Innerhalb des Konservatismus setzt sich eine Erzählung
durch, dass „die Leute“ das „so“ wollen und damit mehr Rassismus, mehr
Misogynie, mehr Kulturkampf meinen. Macht man dies nun selbst, dann werden
„die Leute“ schon konservativ statt extrem rechts wählen. Das kann
kurzfristig sogar funktionieren, wobei sich der Effekt schnell abnutzt. Am
Ende stehen eine gestärkte extreme Rechte und ein Konservatismus, der sich
selbst zerlegt hat und dessen Basis gespalten und verunsichert ist. Zumal
es außenpolitisch zwei Positionen gibt, die für Konservative nicht zu
übernehmen sind: die Haltung zu Russland und die Haltung zu Israel.
Nähert sich der Konservatismus der extremen Rechten an, so wird Letztere
diese beiden Themen in den Vordergrund stellen. Innenpolitisch ist man
weitgehend deckungsgleich: Ausländer raus, Kulturkampf wegen jeder
Unisextoilette und jeden Veggie-Days im Kindergarten, gegen Frauenquoten
und gegen Regenbogenflaggen. Der Sozialstaat soll abgewickelt werden, und
wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen.
Bei der Pandemie schlägt man nicht ganz dieselben Töne an, aber in der
zweiten und dritten Reihe wird der Sozialdarwinismus munter lanciert, das
hilft dann auch später im Umgang mit der Klimakrise. Das ist die Realität
des radikalisierten Konservatismus, wo er schon an der Macht ist oder war.
Man hat es plötzlich mit zwei fast identischen Parteien zu tun, die
gesellschaftlich aber anders verankert sind, wobei die Konservativen aus
einer Regierungsposition heraus agieren.
Medien, Parteien, Institutionen, Zivilgesellschaft und eine interessierte
Öffentlichkeit haben viele Möglichkeiten, dem entgegenzuwirken.
Es gibt fünf Regeln, an die sich alle halten sollten, damit man nicht
dieselben Fehler macht wie andere Länder:
Klare Kante statt eines tonlosen Entsetzens
Einer der größten Fehler ist es, Zeit ungenutzt verstreichen zu lassen,
weil man jedes Mal aufs Neue so wahnsinnig überrascht ist über das, was da
passiert. Während man noch die Realität verhandelt, schlägt der
radikalisierte Konservatismus schon fünf neue Volten. Statt sich
vorzubereiten, beginnt man jedes Mal wieder bei null. Es ist genau das, was
die demokratische Führungsriege gerade macht. Seid nicht wie die
demokratische Führungsriege. Seid schnell, seid scharf in der Reaktion.
Autoritäre Charaktere verstehen nur autoritäre Antworten.
Keine Angstlust
Immer wenn sich eine neue Entwicklung am extrem rechten Rand auftut, dann
besteht eine Angstlust, diese Entwicklung möglichst ins gleißende Licht der
Öffentlichkeit zu zerren. Man muss das nicht tun. Man muss die Köpfe der
extremen Rechten nicht zu „Superstrategen“ adeln und ihnen Bildstrecken und
Interviews geben. Man muss sie nicht porträtieren, man muss sie nicht
einladen. Die extreme Rechte muss nicht der Nordstern der etablierten
Politik sein, an dem man sich jeden Tag ausrichtet.
Nicht über jedes Stöckchen springen
Der radikalisierte Konservatismus setzt auf schnelle mediale
Überwältigungskampagnen. Die Reaktion: Oh nein, hier passiert etwas ganz
Schlimmes, so schlimm, alle bitte jetzt sofort auf dieses ganz Schlimme
reagieren! Wer sich davon überwältigen lässt, ist Teil der Kampagne. Wenn
sich drei Stunden später herausstellt, dass es kein Plagiat gibt oder die
Berechnung der ach so hohen Sozialhilfe vor Fehlern strotzt, will man nicht
Teil davon gewesen sein. Jede Empörung ist einkalkuliert, jedes Teilen
hilft. Wichtiger wäre es, reaktionsschnell eine Gegenmaßnahme (medial wie
in den sozialen Netzen) bereitzuhaben, die den Kulturkampfversuch sofort
abschießt. Die Themen sind so erwartbar, dass man sich ein eigenes Arsenal
ohne große Mühe zurechtlegen kann.
Gegeneskalation
Es widerspricht dem zentristischen Charakter der meisten demokratischen
Parteien, den politischen Gegner offensiv anzugreifen. Das muss man auch
nicht. Aber die Verhältnisse müssen angegriffen werden. Der Zuspruch für
die extreme Rechte (egal welcher Ausprägung) speist sich aus dem Frust, der
in der Bevölkerung herrscht. Dieser Frust ist diffus. Kulturkämpfe bieten
ein menschenfeindliches Outlet. Es ist verfehlt, beruhigen zu wollen.
Beruhigung ist eine Verliererstrategie. Denn der Frust ist berechtigt. Es
obliegt demokratischen Kräften, ihn demokratisch zu deuten und zu lenken.
Nur über die Bearbeitung des vorhanden Frusts kommt man politisch in die
Offensive. Als beruhigende Verwalterin des Status quo geht man zu Recht
unter.
Es gibt keinen unsichtbaren Schiedsrichter
Die wichtigste Erkenntnis ist, dass das kein Fußballspiel ist. Es gibt
keinen Schiedsrichter, der den Bruch von Usancen und Etikette bestraft. Auf
die Ungeheuerlichkeit hinzuweisen und zu hoffen, dass Gelbe und Rote Karten
verteilt werden, ist naiv. Sie kommen damit durch, es gibt niemanden, der
das bestraft. Die demokratischen Kräfte in und außerhalb des Konservatismus
müssen sich also selbst auf die Beine stellen. Empörung und Entsetzen sind
zu wenig. Moralisch recht zu haben, ist zu wenig. Man muss dagegenhalten,
auch wenn es wehtut.
In Österreich, in den USA, Ungarn und Großbritannien haben die
demokratischen Parteien all diese Fehler gemacht. Je radikaler die
konservative Partei geworden ist, desto zahmer und staatstragender wurden
die demokratischen Parteien. Je rechter der etablierte Konservatismus
wurde, desto schneller folgten Sozialdemokratien und Liberale. Das ist ein
Irrweg. Deutsche Parteien haben die Möglichkeit in die Zukunft zu schauen
und Akteur_innen, die das schon erlebt haben, zu befragen. Es gilt, diese
Chance zu nutzen und aus den Fehlern anderer zu lernen. Davon hängt nicht
nur die Zukunft Deutschlands, sondern die von ganz Europa ab.
19 Jul 2025
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## AUTOREN
Natascha Strobl
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