| # taz.de -- Österreich und die Rechten: Eine Frage der Tonalität | |
| > Wie gräbt man der verrückten Rechten am besten das Wasser ab? Die | |
| > österreichische Dreierkoalition versucht es mit einem neuen Weg. | |
| Bild: Der österreichischer Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) und Finanzmi… | |
| Seit 1992 schreibe ich für die taz, das sind 33 Jahre. Das ist die gleiche | |
| Zeitspanne wie von der Gründung der Weimarer Republik 1918 bis zum Jahr | |
| 1951, eine Ewigkeit. Anfangs wurde ich fast wöchentlich gefragt, ob ich | |
| nicht etwas über „den Haider“ schreiben könnte. Der hänge mir doch | |
| irgendwann aus den Ohren heraus. Mit dem r[1][echten Populismus und dem | |
| Aufstieg des Extremismus] sind wir Österreicher besonders vertraut. | |
| Auch heute werde ich häufig zu Vorträgen zu diesem Thema eingeladen, mein | |
| bewährter Eingangssatz lautet: „Wir Österreicher sind Experten für den | |
| rechten Extremismus, aber leider sind wir keine Fachleute für die Frage, | |
| wie man ihn wieder los wird.“ Da lachen meist alle. Das ist gut für die | |
| Stimmung. Üblicherweise sage ich das in meiner wienerischen Sprachfärbung, | |
| das hilft, dann hält man uns Österreicher für etwas schlawinerhaft, schlau, | |
| amüsant, aber auch für ein bisschen vertrottelt. | |
| Das passt gut zu sonstigen Vorannahmen kultureller Natur: Schließlich | |
| handelt ein Gutteil der Filme und der Literatur österreichischer Art davon, | |
| dass das Land vornehmlich von Idioten, Fieslingen und boshaften | |
| Opportunisten bewohnt wird. Kurzum: Den Eindruck, dass in Österreich | |
| irgendetwas vorbildlich läuft, gar etwas, das zur Nachahmung taugt, würde | |
| kaum wer erwecken wollen. Zur Beispielhaftigkeit bringt es Österreich | |
| allenfalls als abschreckendes Exempel. | |
| Natürlich haben wir an Eigentümlichkeit arg eingebüßt. Der Aufstieg der | |
| verrückten Rechten ist heute ein internationales Phänomen. Die | |
| Empörungsbewirtschaftung der [2][Krawallparteien] zieht überall erst einen | |
| relevanten und später einen sehr gewichtigen Anteil des Elektorats auf | |
| seine Seite, und da und dort stellt die verrückte Rechte die Regierung. Die | |
| Propaganda ist überall die gleiche: Alle Probleme, die Gesellschaften haben | |
| mögen, werden ins Irrwitzige übertrieben. | |
| Nationen werden als kollabierend dargestellt, ein Wokismus, der das | |
| Alltagsleben in der Realität kaum berührt, als linker Totalitarismus | |
| fantasiert. Normale, lebenswerte Städte geraten in der absurden Propaganda | |
| zum Schreckensbild von Straßenschluchten des Horrors, in denen Mord und | |
| Totschlag regieren. Eine „crazy right“, eine „verrückte Rechte“, tromm… | |
| ihre wahnhaften Fantasien in die Welt, bis die Diskurse über die | |
| Wirklichkeit mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun haben. | |
| Diese verrückte Rechte lebt davon, dass die Temperaturregler der Debatten | |
| immer höher gedreht werden. Sie lebt aber auch davon, dass andere dabei | |
| mitmachen. Der Konservatismus etwa, der glaubt, er müsse ein wenig dabei | |
| mittun, um den verrückten Rechten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Was | |
| für ein bekannter Unfug! Auch auf der Linken gibt es verschiedene plausible | |
| Empfehlungen für Rezepturen. Eine lautet, dass die traditionelle Linke zu | |
| mittig wurde, weshalb sie vom traditionellen Konservatismus | |
| ununterscheidbar wurde. Was dann die verrückte Rechte als einzige starke | |
| Alternative erscheinen lässt, was halb richtig und halb falsch ist. | |
| ## FPÖ-Sieg als heilsamer Schock | |
| In Österreich haben wir seit einigen Monaten eine neue Regierung aus ÖVP, | |
| SPÖ und Neos. Deren Zustandekommen war etwas holprig, zwischenzeitlich sah | |
| es sogar so aus, als würde Herbert Kickl von der FPÖ, quasi der Björn Höcke | |
| von Österreich, Bundeskanzler werden und die konservative Volkspartei ihn | |
| an die Macht bringen. Es war ein heilsamer Schock für alle Beteiligten, | |
| sogar für die ÖVP, die feststellte, dass die Rechtsextremen es ernst meinen | |
| mit dem Rechtsextremsein. Vorher waren sie dem Fehler erlegen, den viele | |
| im Zusammenhang mit Österreichern machen, nämlich anzunehmen, dass die eh | |
| alles nur Schmähbrüder sind. Und dass sie das, was sie so daherreden, doch | |
| nur der Show wegen sagen. | |
| Dieses Erstarren, dieses Erschrecken war heilsam. Die Koalitionäre unserer | |
| Dreierkoalition kultivieren jetzt einen Stil des „ruhig und besonnen“, der | |
| [3][Überbietungswettbewerb um die krassesten Vorschläge] und die bizarrsten | |
| Schlagzeilen ist momentan ausgesetzt. Weil die verrückte Rechte davon lebt, | |
| dass der Temperaturregler der Diskurse möglichst ins Übersteuern | |
| hochgedreht wird, versucht man es einfach mit dem Gegenprogramm: einer | |
| ostentativen „zentristischen Vernünftigkeit“ und dem Runterregeln der | |
| Überspanntheit. | |
| Natürlich ist auch unsere Regierung – wie die deutsche | |
| Merz-Klingbeil-Koalition – in gewissem Sinne eine Notregierung. Aber der | |
| heilsame Schock hat auch bewirkt, dass es nach meinem Empfinden und | |
| Beobachten schon ein Bewusstsein (oder auch nur ein intuitives Gespür) | |
| dafür gibt, dass man als Koalition von Mitte-links- und | |
| Mitte-rechts-Parteien nicht gegeneinander regieren, sondern sichtbar an | |
| einem Strang ziehen muss. Dazu gehört eine Rhetorik der Vernünftigkeit, die | |
| die Ambiguitäten der eigenen Regierungspraxis öffentlich benennt und | |
| vielleicht auch sagt, dass man nicht alle Probleme gleich wegzaubern kann, | |
| aber fünf, sechs oder zehn Maßnahmen setzt, die sie zu bewältigen helfen, | |
| wovon vielleicht drei Maßnahmen leider keine völlig ungeteilte Freude | |
| machen werden. | |
| Der Finanzminister, der krass sparen muss und den seine Gegner als extremen | |
| Linken diffamieren wollten, spricht in dieser ruhigen Weise – und siehe da, | |
| er ist plötzlich der populärste Regierungspolitiker. Der ÖVP-Bundeskanzler | |
| wiederum, gestern noch ein boshaft-polemischer Partei-Generalsekretär, hat | |
| einen Rollenwechsel Richtung humorvoller Besonnenheit hingelegt, der selbst | |
| seine eingefleischten linken Gegner perplex macht. | |
| Noch gibt es keine belastbaren Beweise, dass das ein Erfolg wird und sich | |
| damit das Klima der Gereiztheit, das den verrückten Rechten lange geholfen | |
| hat, jetzt beruhigt. Aber unmöglich ist es nicht. Es fühlt sich jedenfalls | |
| richtig an. Manchmal frage ich mich, ob die deutschen Koalitionäre ihre | |
| Lektion ausreichend gelernt haben. Vielleicht ist Österreich einmal Vorbild | |
| und nicht nur abschreckendes Beispiel? | |
| 14 May 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Robert Misik | |
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