# taz.de -- Schwarz-Rot: Die nervöse Mitte – fragiles Modell gegen rechts | |
> Ein unbeliebter Kanzler, ein unklarer Koalitionsvertrag, Krach über die | |
> AfD. Vielleicht steht die neue Regierung nicht auf Beton, sondern auf | |
> Papier. | |
Bild: Die Wohlfühlmitte gegen Rechts scheint die höheren Ränge der Politik z… | |
Schwarz-Rot will ein [1][Gegenmodell zum Rechtspopulismus] sein. Das ist | |
Raison d’Être dieser Regierung. Die rechte Proteststimmung soll mit | |
erprobten politischen Tugenden eingehegt werden: Mitte und Maß, Kompromisse | |
und Stabilität – plus in der Flüchtlingspolitik ganz viel Anpassung an | |
rechte Antimigrationsstimmung. Das hat rohe, bösartige Züge, wie die | |
bodenlose Kritik der Union an der lange vereinbarten [2][Aufnahme | |
afghanischer Flüchtlinge] zeigt. Aber es ist kein Bruch mit dem | |
bundesdeutschen Konsensmodell. Schon in den frühen 90er Jahren einigten | |
sich SPD und Union auf den Asylkompromiss, um fremde Habenichtse | |
abzuschrecken. | |
Schwarz-Rot verkörpert, in Schwundstufe, die bundesdeutsche | |
Kompromisskultur. Der Koalitionsvertrag steht in der Tradition des | |
moderaten Ausgleichs der Interessen – hier harte Abschreckung von | |
Flüchtlingen, dort Milliarden für Investitionen und keine Rentenkürzung. | |
Nach dem Dauerzoff in der Ampel erscheint lautloses Regieren als ein | |
Mittel, um die wütende Wählerschaft zu beruhigen. | |
Markus Söder hat Schwarz-Rot sogar zur „letzten Patrone der Demokratie“ | |
erklärt. Daran verstört nicht nur die kokette Apokalyptik. Man nimmt | |
verblüfft zur Kenntnis, dass es sich bei unserer Demokratie um eine | |
nachladbare Waffe handelt. Richtig aber ist: Die Mitte war in der | |
Bundesrepublik immer der magische Ort, der Sicherheit versprach. | |
[3][Funktioniert das noch]? | |
Der schwarz-rote Start weckt Zweifel. Kaum war der Koalitionsvertrag | |
besiegelt, begann der Streit, worauf man sich bei Steuersenkungen, | |
Mütterrente, Mindestlohn eigentlich geeinigt hatte. Dies erinnert ungut an | |
den Ampelstreit. Es ist auch kein bloß handwerklicher Defekt, sondern ein | |
Zeichen, wie weit SPD und Union, die gebannt auf die AfD-Umfragezahlen | |
starrt, auseinanderliegen. Schwarz-Rot bräuchte etwas von der langweiligen, | |
sachlichen, beruhigenden Art, mit der Angela Merkel Probleme pragmatisch im | |
Hintergrund klein zu raspeln verstand. Das fehlt bis jetzt. | |
## Jens Spahn: gewissenlos und begabt | |
Zweitens: Kanzler starten immer mit einem Vertrauensbonus. Man mag ja | |
Sieger. Doch Merz’ Beliebtheitswerte neigen sich Richtung Keller, seit klar | |
ist, dass er Kanzler wird. Denn der Kanzler in spe steht im langen Schatten | |
des Oppositionspolitikers Merz, der mit haltlosen Versprechungen zu | |
Migration und Schulden hantierte. Merz hat einen Kanzlermalus. Zudem pfeift | |
die AfD der Union deren Wahlkampfslogans vor. | |
Beides macht die Union sehr nervös. Jens Spahn, gewissenlos und begabt wie | |
kein Zweiter in der Union, entfesselt eine Debatte, ob man die AfD im | |
Bundestag [4][als normale Partei behandeln soll]. Damit hat er ein Signal | |
gesendet: Die Union hätte Alternativen, wenn Schwarz-Rot scheitert. | |
Ein unbeliebter Kanzler, ein unklarer Koalitionsvertrag, Krach über die | |
AfD. Vielleicht verfliegen diese Irritationen, wenn Schwarz-Rot regiert. | |
Aber es können auch Vorzeichen sein, dass diese Mitteregierung nicht stabil | |
und stark wird, sondern nervös, labil und verunsichert. Dass sie nicht auf | |
Beton steht, sondern auf Papier. | |
20 Apr 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Ralf-Stegner-zum-SPD-Mitgliederentscheid/!6079281 | |
[2] /Einreise-von-Gefluechteten/!6079286 | |
[3] /Nein-der-Jusos-zum-Koalitionsvertrag/!6078979 | |
[4] /Umgang-mit-der-AfD/!6082997 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
## TAGS | |
Schwerpunkt AfD | |
Jens Spahn | |
CDU/CSU | |
Schwarz-rote Koalition | |
SPD | |
GNS | |
Social-Auswahl | |
Julia Klöckner | |
wochentaz | |
Podcast „Bundestalk“ | |
Regierungsbildung | |
Bundesregierung | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Umgang mit der AfD: Bundestagspräsidentin Julia Klöckner will vermitteln | |
Die AfD sitzt nach ihren Wahlgewinnen mit einer größeren Fraktion im neuen | |
Bundestag. Was heißt das für den Parlamentsbetrieb und wichtige Ämter? | |
Die CDU und die AfD: Was heißt hier normal? | |
Jens Spahn schlägt vor, im Bundestag mit der AfD so umzugehen wie mit jeder | |
anderen Oppositionspartei. Die CDU-Reaktion: Zuspruch, Kritik und | |
Schweigen. | |
Umgang mit der AfD: Warum will Spahn die AfD normalisieren? | |
Die AfD ist in Teilen rechtsextrem. Jens Spahn will, dass man sie im | |
Parlament wie jede andere Partei behandelt. Wie sollen Demokrat:innen | |
damit umgehen? | |
Nächste Bundesregierung: SPD-Mitglieder stimmen über Koalitionsvertrag ab | |
Rund 360.000 Sozialdemokrat*innen entscheiden über den | |
Koalitionsvertrag mit der Union. Die Parteispitze wirbt eindringlich um | |
Zustimmung. | |
Neue Koalition: Die guten Seiten von Schwarz-Rot | |
Friedrich Küppersbusch versucht, das Gute an der neuen Regierung zu sehen. | |
Und gibt Tipps für eine bessere Klimawandel-PR. |