# taz.de -- Rückblick auf unsere Recherchen: Was aus taz-Recherchen wurde | |
> Auch in diesem Jahr hat die taz zu Missständen recherchiert, zu denen | |
> bisher nicht berichtet wurde. Doch wie ging es nach den Recherchen | |
> weiter? | |
Bild: „Dark Souvenirs“ aus Russland: taz-Recherchen nach den Spuren russisc… | |
Dieses Jahr gab es wieder viele taz-Recherchen. Wir wollen hier einige | |
vorstellen und berichten, was seit den Veröffentlichungen geschehen ist. | |
Bei den Recherchen ging es um rechtsextreme Netzwerke und um russische | |
Desinformation, um bedrohte Kommunalpolitiker und um Machtmissbrauch, um | |
Fernsehsender für Verschwörungstheorien und um Kindesentführung. | |
Braun und blau in Sachsen Hand in Hand | |
Es ist ein Fall, der die AfD in die Bredouille gebracht hat. Anfang | |
November lässt die Bundesanwaltschaft in Sachsen acht Rechtsextreme | |
festnehmen, sieben weitere durchsuchen. Sie stehen in Verdacht, eine | |
rechtsextreme Terrorgruppe gegründet zu haben. Die Gruppe, die sich selbst | |
[1][„Sächsische Separatisten“] nannte, soll sich mit paramilitärischen | |
Übungen und Schießtrainings auf einen gewaltsamen Umsturz vorbereitet | |
haben. Bei den Festnahmen fanden Polizisten eine zweistellige Anzahl an | |
Waffen. | |
Schnell ist klar: Sechs der Männer waren [2][bei der AfD aktiv] oder bei | |
der Parteijugend, der „Jungen Alternative“ (JA). Zwei von ihnen saßen für | |
die AfD im Stadtrat von Grimma und waren beim sächsischen | |
AfD-Landtagsabgeordneten Alexander Wiesner angestellt: Kurt Hättasch und | |
Kevin Richter. | |
Die taz war nach den Festnahmen [3][in Grimma], sprach dort mit Personen, | |
die mit den Beschuldigten zu tun hatten, und legte offen, dass die | |
Festgenommenen in der Stadt bereits einen festen Szenetreff aufbauten: das | |
„Rote Haus“, unmittelbar am Bahnhof. Die acht Festgenommenen sind bis heute | |
in Haft. Der mutmaßliche Rädelsführer Jörg S. ist in Polen in Haft, wo er | |
zuletzt wohnte. Ein polnisches Gericht ordnete Mitte Dezember die | |
Vollstreckung eines europäischen Haftbefehls an. Wird die Entscheidung | |
rechtskräftig, könnte Jörg S. nach Deutschland ausgeliefert werden. | |
Mit Hättasch und Richter waren zwei Beschuldigte bereits im Sommer bei | |
einer exklusiven Recherche der taz aufgefallen. Beide waren am 22. Juni auf | |
einer [4][Sonnenwendfeier im ostsächsischen Strahwalde], bei der Lieder der | |
Hitlerjugend gesungen wurden und ein SS-Standartenführer geehrt wurde. | |
[5][Neonazis, Völkische und AfD-Politiker] feierten damals Seite an Seite. | |
Das Auffliegen der „Sächsischen Separatisten“ befeuerte erneut die | |
AfD-Verbotsdebatte. Der frühere Ostbeauftragte Marco Wanderwitz (CDU) | |
[6][sagte der taz], der Fall zeige einmal mehr, dass „zügig“ ein Verbot der | |
AfD geprüft werden müsse. Eine gute Woche nach den Razzien brachten | |
Wanderwitz und 112 weitere Abgeordnete im Bundestag einen AfD-Verbotsantrag | |
ein. Eine Debatte darüber soll im Januar folgen. Ob es noch in dieser | |
Legislatur zu einer Abstimmung kommt, ist ungewiss. | |
In Grimma wiederum zeigten sich viele überrascht über die | |
Terrorverdächtigen. Anzeichen wollte fast niemand gesehen haben, die | |
kommissarische Oberbürgermeisterin Ute Kabitzsch gab sich „zutiefst | |
erschüttert“. | |
Zwei Wochen nach der Festnahme versammelten sich rund 130 Bürger:innen | |
zu einer Kundgebung auf dem Marktplatz und forderten ein konsequentes | |
Vorgehen gegen Rechtsextremismus in der Region. In der anschließenden | |
Stadtratssitzung, der ersten seit der Festnahme von Hättasch und Richter, | |
stand das Thema eigentlich nicht auf der Tagesordnung. Der Druck von | |
Demonstrant:innen und Medien führte schließlich doch zu einem Statement | |
der Stadtratsmitglieder. | |
Die Stadtratsposten von Kurt Hättasch und Kevin Richter sind Mitte Dezember | |
nachbesetzt worden. Der im Aufbau befindliche Treffort, das „Rote Haus“, | |
dessen Eigentümer Hättasch und Richter sind, ist inzwischen verrammelt. | |
Finanzier des Hauses war der frühere Berliner CDU-Senator Peter Kurth, der | |
zuletzt schon die Nähe zur AfD suchte: Er gab ein [7][Darlehen von 100.000 | |
Euro]. | |
Die AfD wiederum reagierte mit Parteiausschlussverfahren gegen die drei | |
festgenommenen Parteimitglieder. Die Junge Alternative selbst hatte nach | |
den Festnahmen erklärt, sie wolle erst einmal die Ermittlungen abwarten. | |
Die AfD-Bundesspitze strebt derzeit an, die JA aufzulösen und neu zu | |
struktrieren. Mit den „Sächsischen Separatisten“ habe das nichts zu tun, | |
heißt es aus der Partei. Dieser Prozess sei schon Monate zuvor in Gang | |
gesetzt worden. | |
Prison Break in Sachsen-Anhalt | |
Es klingt wie der Stoff für einen Film: Unter den Gefangenen der | |
Justizvollzugsanstalt in Burg, Sachsen-Anhalt, kursiert ein | |
[8][detaillierter Lageplan des Gefängnisses]. Alle Räume und Etagen sind | |
darauf verzeichnet, Einstiege, Personalschleusen, Brennstofflager, | |
Schlüssel- und Saferaum, sogar die Orte, an denen Waffen und Munition zu | |
finden sind. | |
Der Plan soll Spezialeinsatzkommandos im Notfall helfen. Auf keinen Fall | |
sollten Gefangene ihn kennen. Doch dass dies offenbar der Fall war, | |
brachten taz-Recherchen im November 2024 ans Licht. Sie offenbarten ein | |
sicherheitsrelevantes Datenleck in einem Hochsicherheitsgefängnis. | |
Gefängnisrecherchen sind aufwendig, die Geschichten schwer überprüfbar. Um | |
mit Gefangenen in Kontakt zu treten braucht es Geduld, Umwege, Briefe. Der | |
Zugang zu Gefängnissen und ihren Insassen ist stark beschränkt. | |
Nachdem die taz von dem Lageplan erfahren hatte, reiste ein Reporter zu | |
einem Treffen in einer Spelunke irgendwo in Deutschland, im Gepäck eine | |
analoge Kamera, um das Beweismaterial zu fotografieren. Immer, wenn der | |
Kellner vorbeikam, musste das Dokument zusammengefaltet werden. In | |
schummrigem Licht entstanden Fotos. Woher der Plan kam und wie er unter | |
Gefangenen kursieren konnte, ließ sich für die taz nicht eindeutig | |
nachvollziehen. | |
Die taz konfrontierte das sachsen-anhaltinische Justizministerium mit den | |
Recherchen. Anschließend überschlugen sich die Ereignisse. Noch bevor das | |
Ministerium auf die taz-Fragen antwortete, wurde die Leiterin der JVA Burg | |
vorläufig freigestellt. In der darauffolgenden Nacht durchsuchte eine | |
Einheit des Ministeriums die JVA. | |
In der folgenden Woche beriet der Rechtsausschuss im Magdeburger Landtag | |
über die Ergebnisse der taz-Recherche, Justizministerin Franziska Weidinger | |
(CDU) musste gegenüber der Opposition Stellung nehmen. Die Presse blieb | |
ausgeschlossen, da es um Sicherheitsvorkehrungen und Persönlichkeitsrechte | |
ging. | |
Die [9][Staatsanwaltschaft Stendal ermittelt] mittlerweile gegen Unbekannt | |
wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses und besonderer | |
Geheimhaltungspflicht. Es gilt herauszufinden, wo die Informationen | |
abgeflossen sind und wer darauf Zugriff hatte. Zudem laufen ein Verfahren | |
gegen die ehemalige Anstaltsleiterin und eine Untersuchung im | |
Justizministerium. Nach Informationen der taz sind bereits Insassen der JVA | |
befragt worden. | |
Am 8. Januar, beim nächsten Rechtsausschuss, sollen weitere Details bekannt | |
werden. | |
Entführung im Kriegsgebiet | |
Valeriia O. ist eine Frau, die es gewohnt ist, die Kontrolle zu haben. Die | |
Ukrainerin leitet seit Jahren eine Hilfsorganisation, die ukrainische | |
Frontstädte mit Shampoo, Brot und Plätzen für Kinderbetreuung versorgt. Sie | |
arbeitet mit internationalen Organisationen, ihr Englisch ist fließend. | |
Doch als das russische Militär im Februar 2022 O.s Heimat, die Ukraine, | |
überfällt, verliert sie von einem Tag auf den anderen die Kontrolle. Ihr | |
Ex-Mann entführt das gemeinsame Kind, erst innerhalb der Ukraine, dann nach | |
Russland, später nach Deutschland. Zweieinhalb Jahre wird Valeriia O. ihr | |
Kind suchen. Sie wird sich dabei in große Gefahr begeben, sie wird Hilfe | |
bekommen von Menschen, von denen sie es nicht gedacht hätte, und sie wird | |
am Ende doch fast scheitern – an der deutschen Rechtsprechung. | |
Die taz hat Valeriia O. einige Monate während ihrer Suche begleitet. Eine | |
Reporterin ist dabei, als Valeriia O. ihr Kind zugesprochen bekommt und es | |
zum ersten Mal wieder unbeschwert in den Arm nehmen kann, nach zweieinhalb | |
Jahren. Unter dem Titel [10][„Nicht ohne ihre Tochter“] berichten wir im | |
Juni diese Geschichte. | |
Wenige Tage nach der Gerichtsentscheidung reist Valeriia O. mit ihrer | |
Tochter zurück in die Ukraine – entgegen der Absprache mit dem Ex-Mann vor | |
dem deutschen Gericht. Sie lebt dort bis heute, in der Zentralukraine. Der | |
Krieg, sagt O. heute, fühle sich weit weg an. | |
Valeriia O. hat viel zu tun gerade. Sie leitet weiterhin die NGO, parallel | |
bereitet sie sich auf den Abschluss ihrer Doktorarbeit vor. Sie habe keine | |
Zeit, zurückzublicken, sagt sie. Sie verspüre keine Wut mehr auf die | |
deutschen Behörden, die ihr ihr Kind so lange vorenthalten hätten. Sie sei | |
nur noch dankbar, sagt Valeriia O., für all die Menschen, die sie in den | |
letzten Jahren unterstützt haben. | |
Ihrer Tochter gehe es gut. Sie besuche die dritte Klasse, habe dort viele | |
neue Freunde gefunden. Ukrainisch spreche sie mittlerweile wieder fließend. | |
Der Vater hatte nach der Entführung mit dem Kind nur noch Russisch | |
gesprochen. | |
Über Deutschland sprechen die beiden kaum noch – nur manchmal, da sei | |
Deutschland plötzlich sehr präsent. Dann telefoniere die Tochter mit ihren | |
ukrainischen Freundinnen und spiele Schule. Sie bringt ihren Freundinnen so | |
Deutsch bei. | |
Missbrauch bei SOS-Kinderdorf | |
Es ging um drakonische Strafen, um Gewalt, um Demütigungen. Im Mai hatte | |
die taz von [11][Missbrauchsvorwürfen bei SOS-Kinderdorf] berichtet. | |
Heutige Erwachsene hatten geschildert, wie sie als Kinder in Dörfern der | |
Organisation Missbrauch erlebt haben. | |
Ehemalige Mitarbeiter:innen und Fachleute stützten die Vorwürfe. Die | |
Vorstandsvorsitzende von SOS-Kinderdorf Sabina Schutter nahm die Vorwürfe | |
ernst. Zur Zeit der taz-Recherche war eine umfassende Untersuchung zur | |
Aufarbeitung bereits im Gange. | |
Am 2. Oktober 2024 stellte die Unabhängige Kommission zur Anerkennung und | |
Aufarbeitung erlittenen Unrechts beim SOS-Kinderdorf e. V. [12][ihren | |
Abschlussbericht] vor. Zweieinhalb Jahre lang war die | |
Expert:innengruppe insgesamt 226 Meldungen nachgegangen. Darunter | |
waren Fälle von pädagogischem Fehlverhalten, Vernachlässigung, | |
Machtmissbrauch sowie sexuellen Übergriffen bei Kindern und Jugendlichen in | |
SOS-Kinderdörfern in ganz Deutschland seit den 1970er Jahren. | |
[13][Der Kommissionsbericht bestätigt], dass intern in zahlreichen | |
Kinderdörfern über Jahrzehnte Vorfälle vertuscht und Kinder nicht gehört | |
wurden. Das pädagogische Konzept der Kinderdörfer mit ihren abgeschotteten | |
Hausmüttern und einer falsch verstandenen Autonomie hätten dies begünstigt. | |
Viele Betroffene leiden bis heute unter den Folgen. | |
SOS-Kinderdorf-Chefin Schutter hat sich bei den ehemaligen Schutzbefohlenen | |
entschuldigt. Immerhin 33 Fälle hat die Kommission an die Münchener | |
Generalstaatsanwaltschaft weitergeleitet – Fälle, die noch nicht verjährt | |
sind oder so gravierend, dass sie eine strafrechtliche Verfolgung | |
nahelegen. | |
Missbrauch intern zu melden und sich Gehör zu verschaffen, teils viele | |
Jahre später, ist eine Herausforderung für Betroffene; es besteht die | |
Gefahr einer Retraumatisierung. Und selbst dann gibt es keinen | |
Automatismus, dass solche Fälle auch juristisch verfolgt werden, wie die | |
Fälle von Valentin Wrobl und Nici Müller aus dem taz-Bericht zeigen. In | |
beiden Fällen kam es trotz Anzeigen nicht zu einem Gerichtsprozess. | |
Für die beiden Betroffenen war das eine enorme emotionale Belastung. Es | |
dürfe niemanden wundern, sagte der Anwalt von Müller und Wrobl der taz, | |
dass angesichts solcher Entscheidungen der Gerichte viele Betroffene auf | |
eine Anzeigeerstattung verzichten. „Misshandlung und Missbrauch von Kindern | |
bleibt für die Täter:innen einer der risikoärmsten Deliktsbereiche.“ | |
Nach dem taz-Bericht meldeten sich mehrere ehemalige | |
SOS-Kinderdorf-Mitarbeitende bei der taz und berichteten von Intransparenz, | |
Überforderung und hierarchischer Willkür bei der Organisation. Vorständin | |
Schutter hat zugesagt, die Empfehlungen der Unabhängigen Kommission | |
aufzunehmen und umzusetzen. | |
Hybride Kriegsführung aus dem Kreml | |
Der Innenausschuss des Bundestags reagierte prompt: [14][Im September | |
hatten die taz] und die Süddeutsche Zeitung enthüllt, wie systematisch | |
eine der größten Propagandafabriken Russlands, die Social Design Agency | |
(SDA), Desinformationskampagnen in Europa und Deutschland durchführt. Eine | |
Woche später ließen die Ampel-Fraktionen die Bundesregierung im Ausschuss | |
über „russische Einflussnahmeoperationen“ auf deutschem Boden berichten. | |
Die Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, Rita Schwarzelühr-Sutter, | |
bestätigte hinter verschlossenen Türen, dass die SDA im Auftrag der | |
russischen Regierung auch hierzulande „psychologische Kriegsführung und | |
Desinformation“ betreibe. Sie kündigte eine neue Projektgruppe an, die | |
Zentrale Stelle zur Erkennung ausländischer Informationsmanipulation | |
(ZEAM). | |
Zuvor hatte die taz über Interna aus der SDA berichtet. Mit Hilfe dutzender | |
interner Dokumente konnten wir zeigen, wie das russische Unternehmen | |
deutsche Medien scannte, wie ihre Mitarbeiter:innen versucht haben, | |
Onlinedebatten mit prorussischen Narrativen zu fluten. | |
Persönlichkeiten aus Europa und Deutschland wurden von der SDA systematisch | |
beobachtet, darunter Sahra Wagenknecht (BSW), Lars Klingbeil (SPD) und der | |
Entertainer Dieter Bohlen. Die SDA verfolgte deren Onlineaktivitäten, | |
sammelte pro- und antirussische Zitate, um diese zu instrumentalisieren. | |
Mit Fakeaccounts intervenierten SDA-Leute [15][in den sozialen Medien]. So | |
sollten Ängste geschürt, antiwestliche Stimmungen erzeugt werden – unter | |
anderem, um bei der Europawahl im Juni rechte und rechtsextreme Parteien zu | |
stärken, darunter explizit auch die AfD. | |
Seitdem waren die SDA und die russische Desinformation wiederholt Thema im | |
Bundestag. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zitierte in | |
einer Rede aus dem Arbeitsauftrag der SDA und warnte, dass Wladimir Putin | |
eine „hybride Kriegsführung“ betreibe, die „mit jedem Tag gefährlicher | |
wird“. Auch der SPD-Abgeordnete Jens Zimmermann warnte im Parlament, die | |
„Enthüllungen“ der SDA-Kampagnen seien wohl „nur die Spitze des Eisbergs… | |
Im Hinblick auf die anstehende Bundestagswahl warnten zuletzt auch der | |
Bundesnachrichtendienst und der Verfassungsschutz vor russischer | |
Desinformation. Zur Gegenwehr hat der Verfassungsschutz eine Taskforce für | |
die Bundestagswahl eingerichtet. Im Bundesinnenministerium tagt außerdem | |
die AG Hybrid, in der mehrere Ministerien und Behörden versuchen, „hybride | |
Bedrohungen“ zu verhindern. Und seit Herbst gibt es die neue Taskforce, die | |
ZEAM, die Desinformation aufspüren und mit anderen Staaten kooperieren | |
soll. | |
Betroffene der SDA-Kampagnen wie die frühere Linken-Chefin Janine Wissler, | |
die von der SDA beobachtet wurde, beklagen dagegen, bis heute nicht von den | |
Sicherheitsbehörden informiert worden zu sein. Sie wisse davon nur aus der | |
taz. Aus der Erfahrung mit den Behörden nach früheren rechtsextremen | |
Bedrohungen habe sie hier aber auch „keine größeren Erwartungen mehr“, | |
[16][sagte Wissler der taz]. | |
Statistiken und rechtsextreme Einstellungen | |
Wird die AfD häufiger von armen Menschen gewählt? Von Männern? Im | |
ländlichen Raum? Lässt sich also anhand einzelner Strukturdaten | |
voraussagen, wo die rechte Partei Erfolg haben wird? | |
Um diese Fragen zu klären, hat die taz vor den Landtagswahlen in Sachsen, | |
Thüringen und Brandenburg mit Wissenschaftlern des Institut für | |
Rechtsextremismusforschung der Universität Tübingen (IRex). Wir | |
Journalist*innen mussten dabei schnell feststellen: Ganz so einfach ist | |
das alles nicht. | |
Monatelang brüteten die Forscher über regionalen Bevölkerungsstatistiken | |
und erklärten uns das ein oder andere Mal, dass eine eindeutige kausale | |
Erklärung, wie wir sie uns als Vorlage für eine Reportage vorstellten, | |
nicht seriös zu machen sei. Die Forscher überprüften die These der | |
Modernisierungsverlierer, die zur AfD neigten, der sozialen Ungleichheit, | |
der Individualisierung, der politischen Entfremdung und weiterer möglicher | |
Erklärungen. Und sie stellten Daten für Messungen zusammen: etwa zum | |
Steueraufkommen, der Entfernung zum nächsten Arzt oder der Bushaltestelle. | |
In Baden-Württemberg zeigte sich dabei deutlich eine regionale | |
Ausdifferenzierung der politischen Gegenspieler AfD und Grüne. Letztere | |
erzielten bei vergangenen Wahlen vor allem in Universitätsstädten hohe | |
Ergebnisse, während die AfD umgekehrt im ländlichen Raum stärker war – laut | |
Forschern kein einfacher Stadt-Land-Gegensatz, sondern einer zwischen | |
Kosmopolitismus (urbanisierten, internationalisierten und akademisierten | |
Gebieten) und Kommunitarismus (eher ländlich, traditionell). In allen | |
untersuchten Bundesländern war zudem erkennbar: In wachsenden Gemeinden hat | |
die AfD weniger Erfolg, in schrumpfenden Gemeinden eher viel. | |
Die taz hörte sich daraufhin vor Ort um. Ein Weg führte uns im Sommer | |
[17][ins brandenburgische Michendorf], wo die Bevölkerung | |
überdurchschnittlich stark wächst, während die AfD bis dato | |
unterdurchschnittliche Wahlergebnisse einfuhr. Der Ort liegt im Speckgürtel | |
von Berlin und zieht viele Reiche und Pendler an, hat gleichzeitig aber | |
chronisch leere Kassen, wegen ausbleibender Gewerbesteuer. Was Michendorf | |
ausmacht: eine engagierte Bürgermeisterin, die offen gegen rechts Stellung | |
bezieht und ein reges Vereinsleben. | |
Geringer als im Landesdurchschnitt war die Zustimmung zur AfD bislang auch | |
[18][in Wahlhausen], das in Thüringen an der hessischen Grenze liegt. Das | |
Dorf ähnelt in wichtigen Daten der thüringischen Gemeinde Oberstadt: Beide | |
liegen ländlich, haben rund 300 Einwohnende, eine vergleichbare | |
Altersstruktur, Arbeitslosigkeit und Anteil von Männern und Frauen. Doch in | |
Oberstadt wählte in der Vergangenheit fast jedeR Zweite AfD. Wahlhausen | |
hingegen liegt als evangelische Enklave im Eichsfeld, einer traditionell | |
katholischen CDU-Hochburg, mit kurzem Weg in den hessischen Nachbarort und | |
einer aktiven Zivilgesellschaft. In Oberstadt hingegen sind laut den Daten | |
der Tübinger Forscher die Steuereinnahmen geringer und wichtige Wege | |
länger: zum nächsten Arzt und zur nächsten Bahnstation. | |
Ähnlich auf dem Papier sind sich auch die sächsischen Gemeinden | |
[19][Markkleeberg und Taucha]. Beide grenzen an die Universitätsstadt | |
Leipzig, sind ähnlich groß und besiedelt. Doch in Markkleeberg schnitt die | |
AfD bis dato schlecht ab, in Taucha deutlich besser. Markkleeberg ist eine | |
der einkommensstärksten Gemeinden Sachsens, doch anscheinend geht es auch | |
ums Gefühl und das soziale Umfeld: Laut Befragungen haben Menschen in | |
Taucha mehr Angst davor, Opfer einer Straftat zu werden als in | |
Markkleeberg. Und: Taucha hat eine aktive rechtsextreme Szene. | |
Tatsächlich bewahrheiteten sich die untersuchten Trends bei den | |
Landtagswahlen. In Sachsen wurde am 1. September die AfD in Taucha mit 23 | |
Prozent stärkste Kraft, wobei die AfD landesweit bei 30,6 Prozent lag. | |
Deutlich schlechter lief es für die rechtsextreme Partei wieder in | |
Markkleeberg, wo sie auf 17,5 Prozent der Stimmen kam. | |
Auch in Brandenburg und Thüringen blieb es bei dem Trend, den die Tübinger | |
Forscher in den Monaten zuvor in ihren Daten ausmachten: In Thüringen kam | |
die AfD bei der Landtagswahl am 1. September auf 19,9 Prozent und fuhr | |
landesweit das viertschlechteste Ergebnis ein. In Oberstadt erreichte die | |
AfD hingegen 52,7 Prozent und lag damit deutlich über den landesweiten 32,8 | |
Prozent. | |
Im Brandenburgischen Michendorf indes kam die AfD bei der Wahl am 22. | |
September auf 21,1 Prozent und lag somit rund 8 Prozentpunkte unter dem | |
Landesdurchschnitt. | |
Auf1 – Fernsehen für Verschwörungsgläubige und Putinfans | |
Stefan Magnet, der Gründer des Sender Auf1 TV, träumt von einer | |
„Medienrevolution“: Anfang des Jahres 2024 stellte der Österreicher vor | |
einem exklusiven Kreis in München seine Ideen vor. Bei Häppchen und | |
Weißwein behauptet er, es gebe „keine freien Medien in Deutschland“. Und er | |
wolle das ändern – mit seinem Fernsehsender Auf 1. | |
Ein Reporter der taz [20][ist damals dabei]. Kurz darauf berichten wir | |
unter dem Titel „Ein Heimatsender für die AfD“ über die Pläne des | |
Medienunternehmers aus Linz. Sein Fernsehprogramm Auf1 TV ist klar | |
rechtsextrem und verschwörungsideologisch ausgerichtet, im Netz folgen ihm | |
bereits Hunderttausende. 2024 sollte das Jahr werden, in dem Stefan Magnet | |
sein Auf1 auch in Deutschland groß macht. | |
Das Vehikel dafür war ein kleiner Fernsehsender namens „Schwarz Rot Gold | |
TV“ (SRG TV) aus Baden-Württemberg. Den hatte ein Stuttgarter Arzt während | |
der Covid-Pandemie als Internet-Medium aufgebaut, um über angebliche | |
Corona-Lügen aufzuklären. SRG TV beantragte erfolgreich eine Sendelizenz | |
und war seit dem 1. September 2023 bundesweit über Satellit zu empfangen. | |
Zugleich überließ SRG TV Stefan Magnet für das Programm von Auf1 TV mehrere | |
Stunden täglicher Sendezeit. | |
Zu Unrecht, entschied bald die gemeinsame Kommission der deutschen | |
Landesmedienanstalten für Zulassung und Aufsicht (ZAK). SRG TV habe Auf 1 | |
Sendezeit „verkauft“, es gebe damit eine Einflussnahme von Stefan Magnets | |
Unternehmen auf das Programm von SRG TV. Das sei eine verbotene | |
Themenplatzierung im Sinne des Medienstaatsvertrags. Die Kommission | |
betonte, es handele es sich „um einen rein formellen Verstoß“ – eine | |
Prüfung der Inhalte von AUF1 habe bei der Entscheidung keine Rolle | |
gespielt. Gleichwohl stufte sie die unzulässige Themenplatzierung als | |
Ordnungswidrigkeit ein und erließ Anfang März 2024 ein Bußgeld „im | |
niedrigen sechsstelligen Bereich“. Der Geschäftsführer der SRGT GmbH räumte | |
daraufhin den Verstoß gegen das Verbot der Themenplatzierung ein und zahlte | |
das Bußgeld. | |
Magnet verlor dadurch die Möglichkeit, als regulärer TV-Sender in | |
Deutschland sein Programm ausstrahlen zu können. Schaden tut das dem Sender | |
nur begrenzt: Eine Analyse des Internet-Think Thanks Cemas zeigt, wie | |
überaus erfolgreich Auf1 im Internet ist. Allein bei Telegram hat der Kanal | |
von AUF1 knapp 230.000 Abonnenten. Es sei „durchaus außergewöhnlich“ wie | |
Auf1 an anderen „alternativen Medien“ vorbeigezogen ist, wie überaus | |
erfolgreich Auf1 im Internet ist, sagt ein CemaS-Sprecher. Auf1 zähle nun | |
zu den größten „Alternativmedien“ für das verschwörungsideologische Mil… | |
Das Medium lockt damit nicht nur ein spezielles Publikum, sondern auch | |
spezielle Gäste an. Im aktuellen „Interview des Monats“ steht wieder einmal | |
Alice Weidel vor der Auf1-Kamera. | |
Anfeindungen gegenüber Kommunalpolitiker:innen | |
Dass Kommunalpolitiker Anfeindungen ausgesetzt sind, darüber hat die taz | |
oft berichtet. Selten aber waren die Angriffe so massiv wie 2022 bei Thomas | |
Zschornak, den ehrenamtlichen Bürgermeister der sorbischen Gemeinde | |
Nebelschütz in Sachsen. Zschornak wurde unter anderem Vetternwirtschaft, | |
persönliche Vorteilsnahme, Amtsmissbrauch, Titelhuberei und unsolides | |
Finanzgebaren vorgeworfen. Alle Vorwürfe wurden durch eine anonyme Webseite | |
verbreitet, die im Dorf durch Flugblätter beworben wurde. Keiner hielt der | |
Prüfung der Kommunalaufsicht stand. Die Webseite verschwand Sommer 2023 aus | |
dem Netz. | |
Zschornak, der durch eine ökologisch ausgerichtete „enkeltaugliche“ Politik | |
bekannt wurde, war im Frühjahr 2022 gerade dabei, nach 32 Jahren | |
abzutreten. Der damals 58-Jährige erstattete Anzeige gegen Unbekannt. Da | |
hatten die Kampagne ihr Ziel aber schon erreicht: Zschornak erlitt einen | |
Zusammenbruch, bekam Entzündungen, konnte sich nur noch mit Krücken | |
aufrechthalten und litt an Depressionen. Vollkommen wiederhergestellt ist | |
seine Gesundheit bis heute nicht. Über Zschornak hat die [21][wochentaz im | |
Februar berichtet]. | |
Schon bald kam der Verdacht auf, dass Zschornaks späterer Nachfolger als | |
Bürgermeister und der damalige Amtsleiter des zuständigen | |
Verwaltungsverbandes in die Kampagne verwickelt gewesen sein sollen. Obwohl | |
Zschornak und sein Anwalt solche Hinweise weiterleiteten, etwa dass als | |
mögliche Tatmittel auch Computer im Verwaltungsverband sicherzustellen | |
seien, hielt sich die Staatsanwaltschaft Görlitz zurück. | |
Nach weiteren, von den Berichten im DLF und in der taz ausgelöste | |
Recherchen intensivierte die Staatsanwaltschaft ihre Arbeit. Dass die | |
Berichterstattung nicht nachgelassen hat, ist insbesondere dem sorbischen | |
Publizisten Benedikt Dyrlich zu verdanken, der in der Tageszeitung Serbske | |
Nowiny veröffentlicht. | |
Mit Erfolg: Im Juni teilte die Staatsanwaltschaft mit, worauf Zschornak | |
lange gewartet hatte: Die Kriminalpolizei Görlitz habe Nachermittlungen | |
aufgenommen „wegen Beleidigung, ubler Nachrede und Verleumdung gegen | |
Personen des politischen Lebens u. a.“, hauptsächlich gegen zwei Personen | |
aus der Gemeinde Nebelschütz. Es sind Zschornaks Amtsnachfolger und der | |
ehemalige Amtsleiter. Außerdem wurden im Verwaltungsamt Computer | |
sichergestellt. | |
Das war im Juni. Wer glaubte, die Ermittlungen würden nun zügig zu Ende | |
geführt, sieht sich getäuscht: Die Staatsanwaltschaft Görlitz hat der taz | |
Mitte Dezember mitgeteilt, dass „die Auswertung der gesicherten | |
Datenträger“ noch nicht abgeschlossen sei. Vor März 2025 sei nicht mit | |
einem Abschluss zu rechnen. Dann liegt die Kampagne drei Jahre zurück. | |
Auch politisch bleibt die Unterstützung dürftig. Von seinen | |
CDU-Parteifreunden erkundigen sich nur wenige. Beistand erfährt Zschornak | |
von Petra Köpping von der SPD, der alten und vermutlich auch neuen | |
sächsischen Sozialministerin. Sie war es, die ihn und weitere | |
Kommunalpolitiker nach Dresden lud. Wer im August erlebt hat, wie | |
gestandene Männer und Frauen mit den Tränen rangen, wenn sie über | |
Zermürbung und Einschüchterung berichteten, war fassungslos – und wird es | |
lange bleiben. Auch darüber hat [22][die taz berichtet]. | |
27 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Festnahmen-von-Neonazis-in-Sachsen/!6046702 | |
[2] /Festgenommene-Saechsische-Separatisten/!6044321 | |
[3] /Rechtsextreme-Saechsische-Separatisten/!6045443 | |
[4] /Rechtsextreme-Netzwerke-in-Sachsen/!6021990 | |
[5] /Neonazis-feiern-Sonnenwende/!6014916 | |
[6] /CDUler-Wanderwitz-draengt-auf-AfD-Verbot/!6007494 | |
[7] /Ex-Senator-finanziert-Rechtsextreme/!6049011 | |
[8] /Sicherheitsleck-in-der-JVA-Burg/!6050955 | |
[9] /Ausschuss-tagte-zu-Sicherheitsvorfall/!6048525 | |
[10] /Kindesentfuehrung-nach-Russland/!6015973 | |
[11] /Machtmissbrauch/!6010008 | |
[12] https://www.sos-kinderdorf.de/service/download/Abschlussbericht%20der%20Un… | |
[13] /Uebergriffe-bei-SOS-Kinderdorf/!6040578 | |
[14] /Desinformationskampagne-Russlands/!6034158 | |
[15] /Desinformation-auf-Social-Media/!6037456 | |
[16] /Linken-Chefin-zu-Russland-Desinformation/!6034245 | |
[17] /Landtagswahl-in-Brandenburg/!6032350 | |
[18] /Wahlen-in-Thueringen/!6008716 | |
[19] /Saechsische-Gemeinden-im-Vergleich/!6029265 | |
[20] /Radikal-rechter-Sender-Auf1/!5987759 | |
[21] /Angefeindete-Buergermeister/!5988630 | |
[22] /Vor-Landtagswahl-in-Sachsen/!6030586 | |
## AUTOREN | |
Sean-Elias Ansa | |
Jean-Philipp Baeck | |
Anne Fromm | |
Thomas Gerlach | |
Christian Jakob | |
Konrad Litschko | |
Sabine Seifert | |
## TAGS | |
Rechtsextremismus | |
investigativ | |
Investigativer Journalismus | |
Recherche | |
wochentaz | |
GNS | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Social-Auswahl | |
Jahreswechsel | |
Obdachlosigkeit | |
Schwerpunkt Neonazis | |
Neujahr | |
Rote Armee Fraktion / RAF | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Leerstellen in journalistischen Texten: Was der Flaschensammler nicht erzählte | |
Wann hat man schon das Glück, den Protagonisten seines Textes zweimal zu | |
treffen? Ein paar Gedanken zu der Zufälligkeit meiner Recherchen. | |
Rechter Richter Bengt Fuchs: Vom Geschassten zum Boss | |
Bengt-Christian Fuchs ist neuer Referatsleiter im Thüringer | |
Justizministerium. Zuvor war er von seiner Funktion am Verwaltungsgericht | |
Gera abgeordnet worden. | |
Frohes neues Jahr!: Neujahrsgrüße nach Deutschland | |
Wie blicken die Menschen in Europa auf uns? Was wünschen sie sich – was | |
wünschen sie uns? Die taz-Korrespondent*innen haben sich umgehört. | |
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg: Meldung aus dem Untergrund | |
Seit 1990 ist der als RAF-Terrorist beschuldigte Burkhard Garweg | |
abgetaucht. Jetzt äußert sich der 56-Jährige, die taz dokumentiert hier | |
sein vollständiges Schreiben. | |
Parteiprogramme für die Bundestagswahl: Die Groko ist noch nicht gesetzt | |
Die Grünen bewegen sich auf die Sozialdemokraten zu – und setzen einen | |
Gegenpol zum konservativ-marktgläubigen Lager. Das macht Lust auf | |
Wahlkampf. |