| # taz.de -- Rückblick auf unsere Recherchen: Was aus taz-Recherchen wurde | |
| > Auch in diesem Jahr hat die taz zu Missständen recherchiert, zu denen | |
| > bisher nicht berichtet wurde. Doch wie ging es nach den Recherchen | |
| > weiter? | |
| Bild: „Dark Souvenirs“ aus Russland: taz-Recherchen nach den Spuren russisc… | |
| Dieses Jahr gab es wieder viele taz-Recherchen. Wir wollen hier einige | |
| vorstellen und berichten, was seit den Veröffentlichungen geschehen ist. | |
| Bei den Recherchen ging es um rechtsextreme Netzwerke und um russische | |
| Desinformation, um bedrohte Kommunalpolitiker und um Machtmissbrauch, um | |
| Fernsehsender für Verschwörungstheorien und um Kindesentführung. | |
| Braun und blau in Sachsen Hand in Hand | |
| Es ist ein Fall, der die AfD in die Bredouille gebracht hat. Anfang | |
| November lässt die Bundesanwaltschaft in Sachsen acht Rechtsextreme | |
| festnehmen, sieben weitere durchsuchen. Sie stehen in Verdacht, eine | |
| rechtsextreme Terrorgruppe gegründet zu haben. Die Gruppe, die sich selbst | |
| [1][„Sächsische Separatisten“] nannte, soll sich mit paramilitärischen | |
| Übungen und Schießtrainings auf einen gewaltsamen Umsturz vorbereitet | |
| haben. Bei den Festnahmen fanden Polizisten eine zweistellige Anzahl an | |
| Waffen. | |
| Schnell ist klar: Sechs der Männer waren [2][bei der AfD aktiv] oder bei | |
| der Parteijugend, der „Jungen Alternative“ (JA). Zwei von ihnen saßen für | |
| die AfD im Stadtrat von Grimma und waren beim sächsischen | |
| AfD-Landtagsabgeordneten Alexander Wiesner angestellt: Kurt Hättasch und | |
| Kevin Richter. | |
| Die taz war nach den Festnahmen [3][in Grimma], sprach dort mit Personen, | |
| die mit den Beschuldigten zu tun hatten, und legte offen, dass die | |
| Festgenommenen in der Stadt bereits einen festen Szenetreff aufbauten: das | |
| „Rote Haus“, unmittelbar am Bahnhof. Die acht Festgenommenen sind bis heute | |
| in Haft. Der mutmaßliche Rädelsführer Jörg S. ist in Polen in Haft, wo er | |
| zuletzt wohnte. Ein polnisches Gericht ordnete Mitte Dezember die | |
| Vollstreckung eines europäischen Haftbefehls an. Wird die Entscheidung | |
| rechtskräftig, könnte Jörg S. nach Deutschland ausgeliefert werden. | |
| Mit Hättasch und Richter waren zwei Beschuldigte bereits im Sommer bei | |
| einer exklusiven Recherche der taz aufgefallen. Beide waren am 22. Juni auf | |
| einer [4][Sonnenwendfeier im ostsächsischen Strahwalde], bei der Lieder der | |
| Hitlerjugend gesungen wurden und ein SS-Standartenführer geehrt wurde. | |
| [5][Neonazis, Völkische und AfD-Politiker] feierten damals Seite an Seite. | |
| Das Auffliegen der „Sächsischen Separatisten“ befeuerte erneut die | |
| AfD-Verbotsdebatte. Der frühere Ostbeauftragte Marco Wanderwitz (CDU) | |
| [6][sagte der taz], der Fall zeige einmal mehr, dass „zügig“ ein Verbot der | |
| AfD geprüft werden müsse. Eine gute Woche nach den Razzien brachten | |
| Wanderwitz und 112 weitere Abgeordnete im Bundestag einen AfD-Verbotsantrag | |
| ein. Eine Debatte darüber soll im Januar folgen. Ob es noch in dieser | |
| Legislatur zu einer Abstimmung kommt, ist ungewiss. | |
| In Grimma wiederum zeigten sich viele überrascht über die | |
| Terrorverdächtigen. Anzeichen wollte fast niemand gesehen haben, die | |
| kommissarische Oberbürgermeisterin Ute Kabitzsch gab sich „zutiefst | |
| erschüttert“. | |
| Zwei Wochen nach der Festnahme versammelten sich rund 130 Bürger:innen | |
| zu einer Kundgebung auf dem Marktplatz und forderten ein konsequentes | |
| Vorgehen gegen Rechtsextremismus in der Region. In der anschließenden | |
| Stadtratssitzung, der ersten seit der Festnahme von Hättasch und Richter, | |
| stand das Thema eigentlich nicht auf der Tagesordnung. Der Druck von | |
| Demonstrant:innen und Medien führte schließlich doch zu einem Statement | |
| der Stadtratsmitglieder. | |
| Die Stadtratsposten von Kurt Hättasch und Kevin Richter sind Mitte Dezember | |
| nachbesetzt worden. Der im Aufbau befindliche Treffort, das „Rote Haus“, | |
| dessen Eigentümer Hättasch und Richter sind, ist inzwischen verrammelt. | |
| Finanzier des Hauses war der frühere Berliner CDU-Senator Peter Kurth, der | |
| zuletzt schon die Nähe zur AfD suchte: Er gab ein [7][Darlehen von 100.000 | |
| Euro]. | |
| Die AfD wiederum reagierte mit Parteiausschlussverfahren gegen die drei | |
| festgenommenen Parteimitglieder. Die Junge Alternative selbst hatte nach | |
| den Festnahmen erklärt, sie wolle erst einmal die Ermittlungen abwarten. | |
| Die AfD-Bundesspitze strebt derzeit an, die JA aufzulösen und neu zu | |
| struktrieren. Mit den „Sächsischen Separatisten“ habe das nichts zu tun, | |
| heißt es aus der Partei. Dieser Prozess sei schon Monate zuvor in Gang | |
| gesetzt worden. | |
| Prison Break in Sachsen-Anhalt | |
| Es klingt wie der Stoff für einen Film: Unter den Gefangenen der | |
| Justizvollzugsanstalt in Burg, Sachsen-Anhalt, kursiert ein | |
| [8][detaillierter Lageplan des Gefängnisses]. Alle Räume und Etagen sind | |
| darauf verzeichnet, Einstiege, Personalschleusen, Brennstofflager, | |
| Schlüssel- und Saferaum, sogar die Orte, an denen Waffen und Munition zu | |
| finden sind. | |
| Der Plan soll Spezialeinsatzkommandos im Notfall helfen. Auf keinen Fall | |
| sollten Gefangene ihn kennen. Doch dass dies offenbar der Fall war, | |
| brachten taz-Recherchen im November 2024 ans Licht. Sie offenbarten ein | |
| sicherheitsrelevantes Datenleck in einem Hochsicherheitsgefängnis. | |
| Gefängnisrecherchen sind aufwendig, die Geschichten schwer überprüfbar. Um | |
| mit Gefangenen in Kontakt zu treten braucht es Geduld, Umwege, Briefe. Der | |
| Zugang zu Gefängnissen und ihren Insassen ist stark beschränkt. | |
| Nachdem die taz von dem Lageplan erfahren hatte, reiste ein Reporter zu | |
| einem Treffen in einer Spelunke irgendwo in Deutschland, im Gepäck eine | |
| analoge Kamera, um das Beweismaterial zu fotografieren. Immer, wenn der | |
| Kellner vorbeikam, musste das Dokument zusammengefaltet werden. In | |
| schummrigem Licht entstanden Fotos. Woher der Plan kam und wie er unter | |
| Gefangenen kursieren konnte, ließ sich für die taz nicht eindeutig | |
| nachvollziehen. | |
| Die taz konfrontierte das sachsen-anhaltinische Justizministerium mit den | |
| Recherchen. Anschließend überschlugen sich die Ereignisse. Noch bevor das | |
| Ministerium auf die taz-Fragen antwortete, wurde die Leiterin der JVA Burg | |
| vorläufig freigestellt. In der darauffolgenden Nacht durchsuchte eine | |
| Einheit des Ministeriums die JVA. | |
| In der folgenden Woche beriet der Rechtsausschuss im Magdeburger Landtag | |
| über die Ergebnisse der taz-Recherche, Justizministerin Franziska Weidinger | |
| (CDU) musste gegenüber der Opposition Stellung nehmen. Die Presse blieb | |
| ausgeschlossen, da es um Sicherheitsvorkehrungen und Persönlichkeitsrechte | |
| ging. | |
| Die [9][Staatsanwaltschaft Stendal ermittelt] mittlerweile gegen Unbekannt | |
| wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses und besonderer | |
| Geheimhaltungspflicht. Es gilt herauszufinden, wo die Informationen | |
| abgeflossen sind und wer darauf Zugriff hatte. Zudem laufen ein Verfahren | |
| gegen die ehemalige Anstaltsleiterin und eine Untersuchung im | |
| Justizministerium. Nach Informationen der taz sind bereits Insassen der JVA | |
| befragt worden. | |
| Am 8. Januar, beim nächsten Rechtsausschuss, sollen weitere Details bekannt | |
| werden. | |
| Entführung im Kriegsgebiet | |
| Valeriia O. ist eine Frau, die es gewohnt ist, die Kontrolle zu haben. Die | |
| Ukrainerin leitet seit Jahren eine Hilfsorganisation, die ukrainische | |
| Frontstädte mit Shampoo, Brot und Plätzen für Kinderbetreuung versorgt. Sie | |
| arbeitet mit internationalen Organisationen, ihr Englisch ist fließend. | |
| Doch als das russische Militär im Februar 2022 O.s Heimat, die Ukraine, | |
| überfällt, verliert sie von einem Tag auf den anderen die Kontrolle. Ihr | |
| Ex-Mann entführt das gemeinsame Kind, erst innerhalb der Ukraine, dann nach | |
| Russland, später nach Deutschland. Zweieinhalb Jahre wird Valeriia O. ihr | |
| Kind suchen. Sie wird sich dabei in große Gefahr begeben, sie wird Hilfe | |
| bekommen von Menschen, von denen sie es nicht gedacht hätte, und sie wird | |
| am Ende doch fast scheitern – an der deutschen Rechtsprechung. | |
| Die taz hat Valeriia O. einige Monate während ihrer Suche begleitet. Eine | |
| Reporterin ist dabei, als Valeriia O. ihr Kind zugesprochen bekommt und es | |
| zum ersten Mal wieder unbeschwert in den Arm nehmen kann, nach zweieinhalb | |
| Jahren. Unter dem Titel [10][„Nicht ohne ihre Tochter“] berichten wir im | |
| Juni diese Geschichte. | |
| Wenige Tage nach der Gerichtsentscheidung reist Valeriia O. mit ihrer | |
| Tochter zurück in die Ukraine – entgegen der Absprache mit dem Ex-Mann vor | |
| dem deutschen Gericht. Sie lebt dort bis heute, in der Zentralukraine. Der | |
| Krieg, sagt O. heute, fühle sich weit weg an. | |
| Valeriia O. hat viel zu tun gerade. Sie leitet weiterhin die NGO, parallel | |
| bereitet sie sich auf den Abschluss ihrer Doktorarbeit vor. Sie habe keine | |
| Zeit, zurückzublicken, sagt sie. Sie verspüre keine Wut mehr auf die | |
| deutschen Behörden, die ihr ihr Kind so lange vorenthalten hätten. Sie sei | |
| nur noch dankbar, sagt Valeriia O., für all die Menschen, die sie in den | |
| letzten Jahren unterstützt haben. | |
| Ihrer Tochter gehe es gut. Sie besuche die dritte Klasse, habe dort viele | |
| neue Freunde gefunden. Ukrainisch spreche sie mittlerweile wieder fließend. | |
| Der Vater hatte nach der Entführung mit dem Kind nur noch Russisch | |
| gesprochen. | |
| Über Deutschland sprechen die beiden kaum noch – nur manchmal, da sei | |
| Deutschland plötzlich sehr präsent. Dann telefoniere die Tochter mit ihren | |
| ukrainischen Freundinnen und spiele Schule. Sie bringt ihren Freundinnen so | |
| Deutsch bei. | |
| Missbrauch bei SOS-Kinderdorf | |
| Es ging um drakonische Strafen, um Gewalt, um Demütigungen. Im Mai hatte | |
| die taz von [11][Missbrauchsvorwürfen bei SOS-Kinderdorf] berichtet. | |
| Heutige Erwachsene hatten geschildert, wie sie als Kinder in Dörfern der | |
| Organisation Missbrauch erlebt haben. | |
| Ehemalige Mitarbeiter:innen und Fachleute stützten die Vorwürfe. Die | |
| Vorstandsvorsitzende von SOS-Kinderdorf Sabina Schutter nahm die Vorwürfe | |
| ernst. Zur Zeit der taz-Recherche war eine umfassende Untersuchung zur | |
| Aufarbeitung bereits im Gange. | |
| Am 2. Oktober 2024 stellte die Unabhängige Kommission zur Anerkennung und | |
| Aufarbeitung erlittenen Unrechts beim SOS-Kinderdorf e. V. [12][ihren | |
| Abschlussbericht] vor. Zweieinhalb Jahre lang war die | |
| Expert:innengruppe insgesamt 226 Meldungen nachgegangen. Darunter | |
| waren Fälle von pädagogischem Fehlverhalten, Vernachlässigung, | |
| Machtmissbrauch sowie sexuellen Übergriffen bei Kindern und Jugendlichen in | |
| SOS-Kinderdörfern in ganz Deutschland seit den 1970er Jahren. | |
| [13][Der Kommissionsbericht bestätigt], dass intern in zahlreichen | |
| Kinderdörfern über Jahrzehnte Vorfälle vertuscht und Kinder nicht gehört | |
| wurden. Das pädagogische Konzept der Kinderdörfer mit ihren abgeschotteten | |
| Hausmüttern und einer falsch verstandenen Autonomie hätten dies begünstigt. | |
| Viele Betroffene leiden bis heute unter den Folgen. | |
| SOS-Kinderdorf-Chefin Schutter hat sich bei den ehemaligen Schutzbefohlenen | |
| entschuldigt. Immerhin 33 Fälle hat die Kommission an die Münchener | |
| Generalstaatsanwaltschaft weitergeleitet – Fälle, die noch nicht verjährt | |
| sind oder so gravierend, dass sie eine strafrechtliche Verfolgung | |
| nahelegen. | |
| Missbrauch intern zu melden und sich Gehör zu verschaffen, teils viele | |
| Jahre später, ist eine Herausforderung für Betroffene; es besteht die | |
| Gefahr einer Retraumatisierung. Und selbst dann gibt es keinen | |
| Automatismus, dass solche Fälle auch juristisch verfolgt werden, wie die | |
| Fälle von Valentin Wrobl und Nici Müller aus dem taz-Bericht zeigen. In | |
| beiden Fällen kam es trotz Anzeigen nicht zu einem Gerichtsprozess. | |
| Für die beiden Betroffenen war das eine enorme emotionale Belastung. Es | |
| dürfe niemanden wundern, sagte der Anwalt von Müller und Wrobl der taz, | |
| dass angesichts solcher Entscheidungen der Gerichte viele Betroffene auf | |
| eine Anzeigeerstattung verzichten. „Misshandlung und Missbrauch von Kindern | |
| bleibt für die Täter:innen einer der risikoärmsten Deliktsbereiche.“ | |
| Nach dem taz-Bericht meldeten sich mehrere ehemalige | |
| SOS-Kinderdorf-Mitarbeitende bei der taz und berichteten von Intransparenz, | |
| Überforderung und hierarchischer Willkür bei der Organisation. Vorständin | |
| Schutter hat zugesagt, die Empfehlungen der Unabhängigen Kommission | |
| aufzunehmen und umzusetzen. | |
| Hybride Kriegsführung aus dem Kreml | |
| Der Innenausschuss des Bundestags reagierte prompt: [14][Im September | |
| hatten die taz] und die Süddeutsche Zeitung enthüllt, wie systematisch | |
| eine der größten Propagandafabriken Russlands, die Social Design Agency | |
| (SDA), Desinformationskampagnen in Europa und Deutschland durchführt. Eine | |
| Woche später ließen die Ampel-Fraktionen die Bundesregierung im Ausschuss | |
| über „russische Einflussnahmeoperationen“ auf deutschem Boden berichten. | |
| Die Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, Rita Schwarzelühr-Sutter, | |
| bestätigte hinter verschlossenen Türen, dass die SDA im Auftrag der | |
| russischen Regierung auch hierzulande „psychologische Kriegsführung und | |
| Desinformation“ betreibe. Sie kündigte eine neue Projektgruppe an, die | |
| Zentrale Stelle zur Erkennung ausländischer Informationsmanipulation | |
| (ZEAM). | |
| Zuvor hatte die taz über Interna aus der SDA berichtet. Mit Hilfe dutzender | |
| interner Dokumente konnten wir zeigen, wie das russische Unternehmen | |
| deutsche Medien scannte, wie ihre Mitarbeiter:innen versucht haben, | |
| Onlinedebatten mit prorussischen Narrativen zu fluten. | |
| Persönlichkeiten aus Europa und Deutschland wurden von der SDA systematisch | |
| beobachtet, darunter Sahra Wagenknecht (BSW), Lars Klingbeil (SPD) und der | |
| Entertainer Dieter Bohlen. Die SDA verfolgte deren Onlineaktivitäten, | |
| sammelte pro- und antirussische Zitate, um diese zu instrumentalisieren. | |
| Mit Fakeaccounts intervenierten SDA-Leute [15][in den sozialen Medien]. So | |
| sollten Ängste geschürt, antiwestliche Stimmungen erzeugt werden – unter | |
| anderem, um bei der Europawahl im Juni rechte und rechtsextreme Parteien zu | |
| stärken, darunter explizit auch die AfD. | |
| Seitdem waren die SDA und die russische Desinformation wiederholt Thema im | |
| Bundestag. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zitierte in | |
| einer Rede aus dem Arbeitsauftrag der SDA und warnte, dass Wladimir Putin | |
| eine „hybride Kriegsführung“ betreibe, die „mit jedem Tag gefährlicher | |
| wird“. Auch der SPD-Abgeordnete Jens Zimmermann warnte im Parlament, die | |
| „Enthüllungen“ der SDA-Kampagnen seien wohl „nur die Spitze des Eisbergs… | |
| Im Hinblick auf die anstehende Bundestagswahl warnten zuletzt auch der | |
| Bundesnachrichtendienst und der Verfassungsschutz vor russischer | |
| Desinformation. Zur Gegenwehr hat der Verfassungsschutz eine Taskforce für | |
| die Bundestagswahl eingerichtet. Im Bundesinnenministerium tagt außerdem | |
| die AG Hybrid, in der mehrere Ministerien und Behörden versuchen, „hybride | |
| Bedrohungen“ zu verhindern. Und seit Herbst gibt es die neue Taskforce, die | |
| ZEAM, die Desinformation aufspüren und mit anderen Staaten kooperieren | |
| soll. | |
| Betroffene der SDA-Kampagnen wie die frühere Linken-Chefin Janine Wissler, | |
| die von der SDA beobachtet wurde, beklagen dagegen, bis heute nicht von den | |
| Sicherheitsbehörden informiert worden zu sein. Sie wisse davon nur aus der | |
| taz. Aus der Erfahrung mit den Behörden nach früheren rechtsextremen | |
| Bedrohungen habe sie hier aber auch „keine größeren Erwartungen mehr“, | |
| [16][sagte Wissler der taz]. | |
| Statistiken und rechtsextreme Einstellungen | |
| Wird die AfD häufiger von armen Menschen gewählt? Von Männern? Im | |
| ländlichen Raum? Lässt sich also anhand einzelner Strukturdaten | |
| voraussagen, wo die rechte Partei Erfolg haben wird? | |
| Um diese Fragen zu klären, hat die taz vor den Landtagswahlen in Sachsen, | |
| Thüringen und Brandenburg mit Wissenschaftlern des Institut für | |
| Rechtsextremismusforschung der Universität Tübingen (IRex). Wir | |
| Journalist*innen mussten dabei schnell feststellen: Ganz so einfach ist | |
| das alles nicht. | |
| Monatelang brüteten die Forscher über regionalen Bevölkerungsstatistiken | |
| und erklärten uns das ein oder andere Mal, dass eine eindeutige kausale | |
| Erklärung, wie wir sie uns als Vorlage für eine Reportage vorstellten, | |
| nicht seriös zu machen sei. Die Forscher überprüften die These der | |
| Modernisierungsverlierer, die zur AfD neigten, der sozialen Ungleichheit, | |
| der Individualisierung, der politischen Entfremdung und weiterer möglicher | |
| Erklärungen. Und sie stellten Daten für Messungen zusammen: etwa zum | |
| Steueraufkommen, der Entfernung zum nächsten Arzt oder der Bushaltestelle. | |
| In Baden-Württemberg zeigte sich dabei deutlich eine regionale | |
| Ausdifferenzierung der politischen Gegenspieler AfD und Grüne. Letztere | |
| erzielten bei vergangenen Wahlen vor allem in Universitätsstädten hohe | |
| Ergebnisse, während die AfD umgekehrt im ländlichen Raum stärker war – laut | |
| Forschern kein einfacher Stadt-Land-Gegensatz, sondern einer zwischen | |
| Kosmopolitismus (urbanisierten, internationalisierten und akademisierten | |
| Gebieten) und Kommunitarismus (eher ländlich, traditionell). In allen | |
| untersuchten Bundesländern war zudem erkennbar: In wachsenden Gemeinden hat | |
| die AfD weniger Erfolg, in schrumpfenden Gemeinden eher viel. | |
| Die taz hörte sich daraufhin vor Ort um. Ein Weg führte uns im Sommer | |
| [17][ins brandenburgische Michendorf], wo die Bevölkerung | |
| überdurchschnittlich stark wächst, während die AfD bis dato | |
| unterdurchschnittliche Wahlergebnisse einfuhr. Der Ort liegt im Speckgürtel | |
| von Berlin und zieht viele Reiche und Pendler an, hat gleichzeitig aber | |
| chronisch leere Kassen, wegen ausbleibender Gewerbesteuer. Was Michendorf | |
| ausmacht: eine engagierte Bürgermeisterin, die offen gegen rechts Stellung | |
| bezieht und ein reges Vereinsleben. | |
| Geringer als im Landesdurchschnitt war die Zustimmung zur AfD bislang auch | |
| [18][in Wahlhausen], das in Thüringen an der hessischen Grenze liegt. Das | |
| Dorf ähnelt in wichtigen Daten der thüringischen Gemeinde Oberstadt: Beide | |
| liegen ländlich, haben rund 300 Einwohnende, eine vergleichbare | |
| Altersstruktur, Arbeitslosigkeit und Anteil von Männern und Frauen. Doch in | |
| Oberstadt wählte in der Vergangenheit fast jedeR Zweite AfD. Wahlhausen | |
| hingegen liegt als evangelische Enklave im Eichsfeld, einer traditionell | |
| katholischen CDU-Hochburg, mit kurzem Weg in den hessischen Nachbarort und | |
| einer aktiven Zivilgesellschaft. In Oberstadt hingegen sind laut den Daten | |
| der Tübinger Forscher die Steuereinnahmen geringer und wichtige Wege | |
| länger: zum nächsten Arzt und zur nächsten Bahnstation. | |
| Ähnlich auf dem Papier sind sich auch die sächsischen Gemeinden | |
| [19][Markkleeberg und Taucha]. Beide grenzen an die Universitätsstadt | |
| Leipzig, sind ähnlich groß und besiedelt. Doch in Markkleeberg schnitt die | |
| AfD bis dato schlecht ab, in Taucha deutlich besser. Markkleeberg ist eine | |
| der einkommensstärksten Gemeinden Sachsens, doch anscheinend geht es auch | |
| ums Gefühl und das soziale Umfeld: Laut Befragungen haben Menschen in | |
| Taucha mehr Angst davor, Opfer einer Straftat zu werden als in | |
| Markkleeberg. Und: Taucha hat eine aktive rechtsextreme Szene. | |
| Tatsächlich bewahrheiteten sich die untersuchten Trends bei den | |
| Landtagswahlen. In Sachsen wurde am 1. September die AfD in Taucha mit 23 | |
| Prozent stärkste Kraft, wobei die AfD landesweit bei 30,6 Prozent lag. | |
| Deutlich schlechter lief es für die rechtsextreme Partei wieder in | |
| Markkleeberg, wo sie auf 17,5 Prozent der Stimmen kam. | |
| Auch in Brandenburg und Thüringen blieb es bei dem Trend, den die Tübinger | |
| Forscher in den Monaten zuvor in ihren Daten ausmachten: In Thüringen kam | |
| die AfD bei der Landtagswahl am 1. September auf 19,9 Prozent und fuhr | |
| landesweit das viertschlechteste Ergebnis ein. In Oberstadt erreichte die | |
| AfD hingegen 52,7 Prozent und lag damit deutlich über den landesweiten 32,8 | |
| Prozent. | |
| Im Brandenburgischen Michendorf indes kam die AfD bei der Wahl am 22. | |
| September auf 21,1 Prozent und lag somit rund 8 Prozentpunkte unter dem | |
| Landesdurchschnitt. | |
| Auf1 – Fernsehen für Verschwörungsgläubige und Putinfans | |
| Stefan Magnet, der Gründer des Sender Auf1 TV, träumt von einer | |
| „Medienrevolution“: Anfang des Jahres 2024 stellte der Österreicher vor | |
| einem exklusiven Kreis in München seine Ideen vor. Bei Häppchen und | |
| Weißwein behauptet er, es gebe „keine freien Medien in Deutschland“. Und er | |
| wolle das ändern – mit seinem Fernsehsender Auf 1. | |
| Ein Reporter der taz [20][ist damals dabei]. Kurz darauf berichten wir | |
| unter dem Titel „Ein Heimatsender für die AfD“ über die Pläne des | |
| Medienunternehmers aus Linz. Sein Fernsehprogramm Auf1 TV ist klar | |
| rechtsextrem und verschwörungsideologisch ausgerichtet, im Netz folgen ihm | |
| bereits Hunderttausende. 2024 sollte das Jahr werden, in dem Stefan Magnet | |
| sein Auf1 auch in Deutschland groß macht. | |
| Das Vehikel dafür war ein kleiner Fernsehsender namens „Schwarz Rot Gold | |
| TV“ (SRG TV) aus Baden-Württemberg. Den hatte ein Stuttgarter Arzt während | |
| der Covid-Pandemie als Internet-Medium aufgebaut, um über angebliche | |
| Corona-Lügen aufzuklären. SRG TV beantragte erfolgreich eine Sendelizenz | |
| und war seit dem 1. September 2023 bundesweit über Satellit zu empfangen. | |
| Zugleich überließ SRG TV Stefan Magnet für das Programm von Auf1 TV mehrere | |
| Stunden täglicher Sendezeit. | |
| Zu Unrecht, entschied bald die gemeinsame Kommission der deutschen | |
| Landesmedienanstalten für Zulassung und Aufsicht (ZAK). SRG TV habe Auf 1 | |
| Sendezeit „verkauft“, es gebe damit eine Einflussnahme von Stefan Magnets | |
| Unternehmen auf das Programm von SRG TV. Das sei eine verbotene | |
| Themenplatzierung im Sinne des Medienstaatsvertrags. Die Kommission | |
| betonte, es handele es sich „um einen rein formellen Verstoß“ – eine | |
| Prüfung der Inhalte von AUF1 habe bei der Entscheidung keine Rolle | |
| gespielt. Gleichwohl stufte sie die unzulässige Themenplatzierung als | |
| Ordnungswidrigkeit ein und erließ Anfang März 2024 ein Bußgeld „im | |
| niedrigen sechsstelligen Bereich“. Der Geschäftsführer der SRGT GmbH räumte | |
| daraufhin den Verstoß gegen das Verbot der Themenplatzierung ein und zahlte | |
| das Bußgeld. | |
| Magnet verlor dadurch die Möglichkeit, als regulärer TV-Sender in | |
| Deutschland sein Programm ausstrahlen zu können. Schaden tut das dem Sender | |
| nur begrenzt: Eine Analyse des Internet-Think Thanks Cemas zeigt, wie | |
| überaus erfolgreich Auf1 im Internet ist. Allein bei Telegram hat der Kanal | |
| von AUF1 knapp 230.000 Abonnenten. Es sei „durchaus außergewöhnlich“ wie | |
| Auf1 an anderen „alternativen Medien“ vorbeigezogen ist, wie überaus | |
| erfolgreich Auf1 im Internet ist, sagt ein CemaS-Sprecher. Auf1 zähle nun | |
| zu den größten „Alternativmedien“ für das verschwörungsideologische Mil… | |
| Das Medium lockt damit nicht nur ein spezielles Publikum, sondern auch | |
| spezielle Gäste an. Im aktuellen „Interview des Monats“ steht wieder einmal | |
| Alice Weidel vor der Auf1-Kamera. | |
| Anfeindungen gegenüber Kommunalpolitiker:innen | |
| Dass Kommunalpolitiker Anfeindungen ausgesetzt sind, darüber hat die taz | |
| oft berichtet. Selten aber waren die Angriffe so massiv wie 2022 bei Thomas | |
| Zschornak, den ehrenamtlichen Bürgermeister der sorbischen Gemeinde | |
| Nebelschütz in Sachsen. Zschornak wurde unter anderem Vetternwirtschaft, | |
| persönliche Vorteilsnahme, Amtsmissbrauch, Titelhuberei und unsolides | |
| Finanzgebaren vorgeworfen. Alle Vorwürfe wurden durch eine anonyme Webseite | |
| verbreitet, die im Dorf durch Flugblätter beworben wurde. Keiner hielt der | |
| Prüfung der Kommunalaufsicht stand. Die Webseite verschwand Sommer 2023 aus | |
| dem Netz. | |
| Zschornak, der durch eine ökologisch ausgerichtete „enkeltaugliche“ Politik | |
| bekannt wurde, war im Frühjahr 2022 gerade dabei, nach 32 Jahren | |
| abzutreten. Der damals 58-Jährige erstattete Anzeige gegen Unbekannt. Da | |
| hatten die Kampagne ihr Ziel aber schon erreicht: Zschornak erlitt einen | |
| Zusammenbruch, bekam Entzündungen, konnte sich nur noch mit Krücken | |
| aufrechthalten und litt an Depressionen. Vollkommen wiederhergestellt ist | |
| seine Gesundheit bis heute nicht. Über Zschornak hat die [21][wochentaz im | |
| Februar berichtet]. | |
| Schon bald kam der Verdacht auf, dass Zschornaks späterer Nachfolger als | |
| Bürgermeister und der damalige Amtsleiter des zuständigen | |
| Verwaltungsverbandes in die Kampagne verwickelt gewesen sein sollen. Obwohl | |
| Zschornak und sein Anwalt solche Hinweise weiterleiteten, etwa dass als | |
| mögliche Tatmittel auch Computer im Verwaltungsverband sicherzustellen | |
| seien, hielt sich die Staatsanwaltschaft Görlitz zurück. | |
| Nach weiteren, von den Berichten im DLF und in der taz ausgelöste | |
| Recherchen intensivierte die Staatsanwaltschaft ihre Arbeit. Dass die | |
| Berichterstattung nicht nachgelassen hat, ist insbesondere dem sorbischen | |
| Publizisten Benedikt Dyrlich zu verdanken, der in der Tageszeitung Serbske | |
| Nowiny veröffentlicht. | |
| Mit Erfolg: Im Juni teilte die Staatsanwaltschaft mit, worauf Zschornak | |
| lange gewartet hatte: Die Kriminalpolizei Görlitz habe Nachermittlungen | |
| aufgenommen „wegen Beleidigung, ubler Nachrede und Verleumdung gegen | |
| Personen des politischen Lebens u. a.“, hauptsächlich gegen zwei Personen | |
| aus der Gemeinde Nebelschütz. Es sind Zschornaks Amtsnachfolger und der | |
| ehemalige Amtsleiter. Außerdem wurden im Verwaltungsamt Computer | |
| sichergestellt. | |
| Das war im Juni. Wer glaubte, die Ermittlungen würden nun zügig zu Ende | |
| geführt, sieht sich getäuscht: Die Staatsanwaltschaft Görlitz hat der taz | |
| Mitte Dezember mitgeteilt, dass „die Auswertung der gesicherten | |
| Datenträger“ noch nicht abgeschlossen sei. Vor März 2025 sei nicht mit | |
| einem Abschluss zu rechnen. Dann liegt die Kampagne drei Jahre zurück. | |
| Auch politisch bleibt die Unterstützung dürftig. Von seinen | |
| CDU-Parteifreunden erkundigen sich nur wenige. Beistand erfährt Zschornak | |
| von Petra Köpping von der SPD, der alten und vermutlich auch neuen | |
| sächsischen Sozialministerin. Sie war es, die ihn und weitere | |
| Kommunalpolitiker nach Dresden lud. Wer im August erlebt hat, wie | |
| gestandene Männer und Frauen mit den Tränen rangen, wenn sie über | |
| Zermürbung und Einschüchterung berichteten, war fassungslos – und wird es | |
| lange bleiben. Auch darüber hat [22][die taz berichtet]. | |
| 27 Dec 2024 | |
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