# taz.de -- Regierungskrise in Deutschland: Ampel kaputt! | |
> Was heißt das für Frauen, Demokraten, Friedrich Merz, für queere | |
> Familien, Rentner, Karl Lauterbach und Mieter*innen? | |
Bild: Was sind die konkreten Folgen des Endes der Ampel-Regierung? | |
Frauen | |
In Sachen „Frauen und Familie“ hatte der Koalitionsvertrag [1][auf der | |
taz-Fortschrittsskala] seinerzeit immerhin 8 von 10 Punkten ergattert. Viel | |
ist aber bis heute nicht umgesetzt – und mit dem Ampel-Aus sind die | |
Aussichten dafür mehr als düster. Da ist das Gewalthilfegesetz, das seit | |
Monaten festhing, weil die Ampel über die Finanzierung etwa von | |
Frauenhausplätzen stritt – während gleichzeitig schreckliche Fälle von | |
Partnerschaftsgewalt Schlagzeilen machten. In der vergangenen Woche gab | |
Familienministerin Lisa Paus (Grüne) den Gesetzentwurf endlich in die | |
Ressortabstimmung. Dass er es überhaupt bis in den Bundestag schafft, ist | |
mehr als fraglich. | |
Ebenso ist kaum vorstellbar, dass es in dieser Legislatur noch zu einer | |
Entkriminalisierung von Abtreibungen kommt. Das hatte die Ampel ohnehin nur | |
zu „prüfen“ versprochen. Das Ergebnis der Expertinnen aber war eindeutig: | |
Das grundsätzliche Abtreibungsverbot in Deutschland ist auch in rechtlicher | |
Sicht [2][„nicht haltbar“]. SPD und Grüne trommeln für einen Gruppenantrag | |
im Bundestag. Der hatte bei FDP und Union eh schlechte Aussichten, die | |
jetzt nicht gestiegen sein dürften. Das ist umso fataler, als sich mit dem | |
Ende der Ampelkoalition das Zeitfenster für eine menschenrechtskonforme | |
Regelung beim Schwangerschaftsabbruch auf lange Jahre schließt. | |
Dinah Riese | |
Demokrat*innen | |
Die Zitterpartie, die Bürokratie, der Stress – all das geht weiter. Auch in | |
Zukunft müssen viele zivilgesellschaftliche Initiativen, die von | |
engagierten Menschen gestemmt werden, um ihre Existenz bangen. Das | |
Demokratiefördergesetz sollte sie davon eigentlich entlasten: die kurzen | |
Finanzierungszeiträume sollten langfristiger werden, und anstatt | |
funktionierende Konzepte immer wieder abändern zu müssen, wollte man die | |
Folgefinanzierung erleichtern. | |
Seit März lag das fertige Gesetz im Bundestag, verabschiedet wurde es | |
jedoch nicht. Die FDP bremste. Sie forderte eine Extremismusklausel, die | |
dazu geführt hätte, dass sich jede Organisation zum Grundgesetz bekennen | |
müsste. Kritiker:innen sahen darin jedoch einen Generalverdacht genau | |
gegenüber jenen, die sich gegen Extremismus und für Demokratie einsetzten. | |
Mit dem Ende der Ampel müssen sich engagierte Menschen künftig anderswo | |
umsehen. Während die AfD und rechtsextreme Gruppen an Zulauf gewinnen, gibt | |
es für die politische Bildungsarbeit, für Kulturvereine, Bürgerinitiativen, | |
und Solidaritätsgruppen gegen Rechtsextremismus, Rassismus und | |
Antisemitismus [3][keine nachhaltige Absicherung] durch den Bund. Vor allem | |
für Organisationen in strukturschwachen Regionen im ländlichen Raum wird | |
das dramatische Auswirkungen haben. | |
Amelie Sittenauer | |
Friedrich Merz | |
Der Crash der Ampel heißt für Friedrich Merz vor allem, dass er mit noch | |
größerer Wahrscheinlichkeit [4][Bundeskanzler wird] – und das früher als | |
gedacht. In den Umfragen liegt die Union, deren Spitzenkandidat Merz ist, | |
so weit vorn, dass man sich nur mit viel Fantasie und bei groben Fehlern | |
der Union vorstellen kann, dass SPD oder gar die Grünen innerhalb einiger | |
Wochen nicht nur aufholen, sondern sich gar an die Spitze setzen können. | |
Das ist auch einer der Gründe, der hinter dem Gezerre um den Termin für die | |
Vertrauensfrage des Kanzlers und damit für die vorgezogene Bundestagswahl | |
steckt. Scholz’ Vorhaben, bis zur Auflösung des Bundestags mit den Stimmen | |
seiner rot-grünen Minderheitsregierung und der Union doch noch ein paar | |
relevante Punkte durch den Bundestag zu bringen, ist für CDU und CSU eine | |
zweischneidige Sache: Einerseits wollen sie nicht zum Mehrheitsbeschaffer | |
für die Fußgängerampel werden. Andererseits könnten sie bei Ablehnung als | |
Totalverweigerer dastehen, die ihrer staatspolitischen Verantwortung nicht | |
gerecht werden. | |
Und dann ist da noch die Sache mit der AfD. Wenn die Union eigene | |
Initiativen in den Bundestag einbringt, wird es sich die AfD vermutlich | |
nicht nehmen lassen, diesen zuzustimmen. Dann hätte die Union auch auf | |
Bundesebene eine Diskussion über die Brandmauer an der Backe. | |
Sabine am Orde | |
Rentner*innen | |
Rentner*innen müssen nach dem Ende der Ampel bangen und hoffen, dass sie | |
nicht vergessen werden. Schon jetzt beziehen so viele Senior*innen | |
Sozialhilfe wie nie zuvor. Denn die Bevölkerungsentwicklung, das wissen | |
alle seit Jahrzehnten, verheißt nichts Gutes. Das deutsche Rentensystem | |
kommt deswegen nicht ohne Milliardenzuschüsse aus. | |
Eigentlich wollte die Ampelregierung [5][das Rentenpaket II auf den Weg | |
bringen], um die Situation zu verbessern. Zum einem sollte das derzeitige | |
Rentenniveau bis zum Jahr 2039 garantiert werden – das war der SPD | |
besonders wichtig. Dafür sollten zum Unmut vieler aber auch die Beiträge | |
steigen. Zum anderen war im Paket das sogenannte Generationenkapital, also | |
der Einstieg in eine Aktienrente, enthalten. Die Idee war, dass künftig | |
Erträge aus einem staatlichen Fonds die Rentenversicherung entlasten | |
sollen. Das war das Wunschprojekt der FDP [6][und ein durchaus kontroverses | |
Vorhaben]. | |
Ob irgendetwas von diesen Plänen nun noch umgesetzt werden kann, ist | |
fragwürdig. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat zwar bereits | |
angekündigt, an den Plänen der Koalition festhalten zu wollen. Auch Kanzler | |
Scholz zeigt sich entschlossen. Ob das realistisch ist, ist aber eine ganz | |
andere Frage. Sicher ist nur: Das Thema Rente wird den Wahlkampf | |
mitbestimmen. | |
Jasmin Kalarickal | |
Mieter*innen | |
Für Mieter*innen bedeutet das Ende der Ampelkoalition mehr Unsicherheit. | |
Denn die Mietpreisbremse steht vor dem Aus. Das heißt, dass Miethöhen, wenn | |
nicht andere lokale Beschränkungen gelten, nach Gusto festgelegt werden | |
können – zumindest bis irgendwann der Mietwucherparagraf greift. Erst | |
kürzlich hatte der damalige Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) mit | |
Ach und Krach einen Gesetzesentwurf präsentiert, [7][um die Ende 2025 | |
auslaufende Mietpreisbremse um drei Jahre zu verlängern]. | |
Das war ein Jahr weniger, als SPD und Grüne wollten. Außerdem enthielt der | |
Entwurf nichts, was die Mietpreisbremse verbessert hätte, etwa schärfere | |
Regelungen beim möblierten Wohnen. Mehr war mit der FDP, die die | |
Mietpreisbremse ja am liebsten komplett in die Tonne getreten hätte, nicht | |
zu machen. Das Signal der Ampel an Mieter*innen war also: Alles bleibt, | |
wie es ist – in einer Zeit, in der sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt | |
verschlechtert. | |
Nun wird diese Abwärtsspirale noch weiter angefeuert werden. Zwar hofft | |
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich darauf, dass man bis zu den Neuwahlen | |
noch zeigen könnte, was ohne die FDP im Mietrecht möglich wäre. Es fragt | |
sich nur, wie er dafür die notwendigen Mehrheiten im Bundestag organisieren | |
will. Ohne die Stimmen der Union wird das nicht gehen. | |
Jasmin Kalarickal | |
Queere Familien | |
Da waren FDP und Grüne sich mal einig: Das traditionelle Familienbild tut | |
der Realität längst nicht mehr Genüge. Die Ampel wollte Schluss machen | |
damit, dass lesbische Frauen die Kinder ihrer Ehefrauen nach der Geburt | |
adoptieren müssen – während Männer automatisch Vater des Kindes ihrer | |
Ehefrau sind. Und auch Co-Elternschaft sollte [8][rechtlich abgesichert | |
werden]. Familien also, in denen etwa zwei lesbische Frauen mit einem | |
befreundeten schwulen Paar ein Kind bekommen. | |
Die Entwürfe dafür liegen seit über einem Jahr vor. Im Kabinett aber wurde | |
noch keiner davon diskutiert. Justizminister Marco Buschmann (FDP) | |
blockierte, stellte Bedingungen, wollte im gleichen Zug auch das | |
Unterhaltsrecht reformieren – zugunsten der Väter. Hier hatten die Grünen | |
Redebedarf. | |
Nun wird aller Voraussicht nach nichts aus dem ganzen Paket. Das ist vor | |
allem bitter für die lesbischen Mütter, denen Buschmann die Umsetzung | |
ursprünglich mal bis Herbst 2023 versprochen hatte. Ganz hoffnungslos ist | |
die Sache für sie aber nicht: Gleich sechs Verfassungsbeschwerden liegen | |
derzeit beim Bundesverfassungsgericht. Das Gericht, so scheint es, wartete | |
aber bislang auf den Gesetzgeber – der ja Änderungen versprochen hatte. | |
Wenn die Ampel nun nicht mehr liefert, könnte Karlsruhe doch noch zur Tat | |
schreiten. | |
Dinah Riese | |
Karl Lauterbach | |
Zehn Gesetzesvorhaben hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) | |
noch auf der Agenda. Kurz vor Abschluss stand die Reform der | |
Notfallmedizin, um die überlasteten Notaufnahmen umzustrukturieren. | |
Außerdem wollte er eine Erhöhung der Pflegeversicherungsbeiträge, ohne die | |
kleinere Pflegekassen in ernste Zahlungsschwierigkeiten kommen könnten. Wie | |
am Freitag bekannt wurde, will Lauterbach eine Beitragssatzerhöhung um 0,2 | |
Prozentpunkte nun über eine Rechtsverordnung erlassen. Weitere Gesetze zur | |
Entlastung der Hausarztpraxen und Pflegekräfte sowie zur Digitalisierung | |
liegen in der Pipeline. | |
FDP-Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann betont zwar auf taz-Anfrage: „Wenn | |
wir etwas im Sinne der Patienten und Leistungserbringer verbessern können, | |
werden wir uns nicht verschließen“ – eine Zustimmung der FDP zu den | |
Ampelvorhaben ist trotzdem fraglich. Die Opposition wiederum hat drei Jahre | |
lang so erbittert gegen die Gesundheitspolitik der Ampel gewettert, dass | |
ein Umdenken kaum vorstellbar ist. Selbst die [9][bereits beschlossene | |
Krankenhausreform] könnte noch kippen. Sollten die Bundesländer am 22. | |
November im Bundesrat Einspruch einlegen, landet sie im | |
Vermittlungsausschuss. Ein verändertes Gesetz müsste nochmals im Bundestag | |
beschlossen werden. Dann wäre die größte Krankenhausreform seit 20 Jahren | |
wohl gescheitert. | |
Manuela Heim und Amelie Sittenauer | |
9 Nov 2024 | |
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