# taz.de -- Gesine Schwan über das Ampel-Ende: „Die SPD ist mehr als Olaf Sc… | |
> Gesine Schwan warnt die SPD, im Wahlkampf nur auf Scholz zu setzen. Die | |
> Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission lobt die Kommunikation von | |
> Pistorius. | |
Bild: Olaf Scholz und Gesine Schwan bei einer Konferenz im Jahr 2019 | |
taz: Frau Schwan, warum ist die [1][Ampel gescheitert]? | |
Gesine Schwan: Die Ausgangspositionen von SPD, Grünen und FDP waren sehr | |
verschieden. Dazu kamen die [2][Herausforderungen des Ukrainekriegs]. | |
Drittens hat das [3][fragwürdige Urteil des Bundesverfassungsgerichts], | |
dass die 60 Milliarden Euro Coronakredite nicht für den Klimaumbau genutzt | |
werden durften, die inneren Spannungen extrem verstärkt. Die FDP hat die | |
[4][Schuldenbremse und keine Steuererhöhungen] als ihren unique selling | |
point gesehen. Zudem hat FDP-Chef Christian Lindner viel getan, um immer | |
wieder mit Vetos gegen die Ampel im Gespräch zu bleiben. Das ergab am Ende | |
eine toxische Mischung. | |
taz: Gab es eine Abbiegung, welche die Ampel hätte retten können? | |
Schwan: Ich habe Mitte 2023 den Vorschlag gemacht, dass die drei Parteien | |
zusammen in einer Klausur ein umfassendes Fortschrittsprojekt vorschlagen | |
und in drei Einzelprojekten verwirklichen, das in ihrer jeweiligen | |
Anhängerschaft für Identifikation oder Begeisterung hätte sorgen können. | |
Das hätte die negative Dynamik in der Ampel brechen können. Leider hatte | |
dieser Vorschlag keinen Erfolg. | |
taz: Es gab die Idee, dass die Ampel nach dem | |
[5][Bundesverfassungsgerichtsurteil im Herbst 2023] eine Art neuen | |
Koalitionsvertrag hätte aushandeln müssen – der erste war ja faktisch | |
hinfällig. | |
Schwan: Das wäre fast schon zu spät gewesen. | |
taz: Die FDP hat sich in der Ampel fast nur als Blockademacht verstanden. | |
War das ein Grund für das Scheitern der Ampel? | |
Schwan: Ja, natürlich. Lindner hat nur einen sehr schmalen Ausschnitt von | |
Liberalismus für die Wirtschaft vertreten. Freiheit und Individualismus | |
wären ja weitere positive Ziele, denen auch ich als Sozialdemokratin viel | |
abgewinnen kann. Die FDP hat all dies extrem verengt. Im Kern hat sie sich | |
auf ein Instrument – den Erhalt der Schuldenbremse – fokussiert. Sie hatte | |
keine Vision. Deshalb war sie so kompromisslos. Wenn man eine positive | |
Vision hat, kann man flexibel sein, Kompromisse eingehen, die das Ziel | |
näher bringen. Die FDP war stur aus Ideenlosigkeit. | |
taz: Die Ampel ist am Ende nur noch mit Machtkämpfen und Streit | |
identifiziert worden. | |
Schwan: Diese Machtkämpfe waren verständlicherweise abschreckend. Ich | |
glaube, dass wir als Menschen viel mehr Potenziale und Facetten haben, als | |
normalerweise zum Ausdruck kommen. Das gilt auch für Politik, auch wenn die | |
eher auf Konkurrenz als auf Kooperation aufgebaut ist. Der Neoliberalismus | |
hat die Gesellschaft trainiert, dass es nur Gewinnen und Verlieren gibt, | |
nur Nullsummenspiele. Die Ampel machte den Eindruck, dass es wie im | |
Neoliberalismus nicht mehr um kreative, gemeinsame Lösungen ging, sondern | |
nur noch um Machtkalküle. Das fanden viele langweilig und abstoßend. | |
taz: Die Ampel sollte laut Scholz [6][ein historisches Bündnis] werden: | |
eine Koalition von organisierter Arbeitnehmerschaft, aufgeklärtem | |
Ökobürgertum und liberalem Bürgertum – analog zu der sozialliberalen | |
Regierung nach 1969. Was bedeutet das vorzeitige Ende der Ampel für die | |
Möglichkeit, künftig Regierungen links von der Mitte zu bilden? | |
Schwan: Demokratie ist ein Lernprozess. Man kann auch aus abschreckenden | |
Beispielen etwas lernen. | |
taz: Was? | |
Schwan: Die SPD kann lernen, dass pragmatisches Managen der Regierung, wie | |
es Scholz lange hinbekommen hat, nicht reicht. Scholz ist kein Visionär. Um | |
jetzt Energien freizusetzen, braucht man Projekte, die anschaulich machen, | |
was die SPD will. Mit Zahlen aus der Rentenformel mobilisiert man niemand. | |
taz: Ist [7][Scholz der richtige Kandidat] für den 23. Februar? | |
Schwan: Realistisch gesehen wird er der Kandidat sein. Scholz hat Stärken | |
und Schwächen. | |
taz: Was folgt daraus? | |
Schwan: Der Wahlkampf sollte nicht ausschließlich auf Scholz fokussiert | |
sein. Ich hoffe, dass [8][Matthias Miersch], der neue Generalsekretär der | |
SPD, der klare Vorstellungen zur Klima- und zur Sozialpolitik hat, die | |
saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger, und der Bremer | |
Bürgermeister Andreas Bovenschulte wichtige Figuren im Wahlkampf sein | |
werden. Die SPD ist mehr als Olaf Scholz. | |
taz: Manche vermissen Selbstkritik beim Kanzler – immerhin ist seine | |
Regierung gescheitert. „Lindner war schuld“ ist ja keine umfassende | |
Antwort. | |
Schwan: Selbstkritik ist für Individuen die Voraussetzung dafür, dass man | |
nicht von einem Lebensbruch in den nächsten torkelt. In der Politik ist das | |
komplizierter, weil Selbstkritik immer als Schwäche interpretiert wird. In | |
der Politik ist es unklug, oft zu sagen: Das haben wir falsch gemacht. | |
Wichtiger ist es, konstruktive Konsequenzen zu ziehen. | |
taz: Was halten Sie von [9][Boris Pistorius]? | |
Schwan: Er ist kommunikativ barrierefrei. Man kann schnell mit ihm | |
sprechen. Er hat Selbstironie. Das ist, anders als ironiebegabt zu sein, | |
ein Pluspunkt für Politiker. Aber wenn Sie darauf hinaus wollen: Es ist | |
nicht meine Aufgabe, der SPD Kanzlerkandidaten zu empfehlen. Und: Wenn man | |
so niedrig eingeschätzt wird wie Scholz derzeit, kann man ja nur gewinnen. | |
taz: Die Kanzlerschaften der Sozialdemokraten Brandt 1974, Schmidt 1982 und | |
Schröder 2005 endeten vorzeitig. Jetzt ist das auch bei Scholz der Fall. | |
Warum? | |
Schwan: Stimmt, das ist auffällig. Die Union ist eher ein | |
Kanzlerwahlverein. Konservative wollen nichts verändern. Merkel konnte | |
jahrelang ohne ihre Partei Politik machen. Die SPD kann das nicht. Sie will | |
als linke Partei immer Fortschritt, die Welt verbessern. Das gilt auch für | |
die Grünen. Dieser Veränderungswille sorgt, was die Machtverwaltung angeht, | |
für mehr Störanfälligkeit. Die Union will ja auch jetzt einfach wieder | |
zurück – und Atom- und Kohlekraftwerke wieder anwerfen. Wenn man keine | |
Ideen hat, an denen man scheitern kann, ist Machterhalt einfacher. | |
15 Nov 2024 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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