# taz.de -- SPD im Vorwahlkampf: Warten auf Herrn Merz | |
> Olaf Scholz rechnet bei einer SPD-Konferenz scharf mit der FDP ab. Und | |
> fordert 15 Euro Mindestlohn. Viel dreht sich um den Kandidaten der Union. | |
Bild: Olaf Scholz hat einen Willy Brandt-Moment | |
Berlin taz | Am Samstagvormittag ist das Willy Brandt Haus, die | |
SPD-Parteizentrale, brechend voll. [1][500 Genossinnen sind gekommen, um | |
sich von Olaf Scholz, dem Kanzlerkandidaten, Mut machen zu lassen.] Es ist, | |
nach dem Wirrwarr um Boris Pistorius, eine Versöhnungsfeier. | |
Am Ende seiner Rede, die doppelt so lang wird wie eigentlich geplant, wird | |
Scholz fast ein bisschen pathetisch. „Unsere Partei ist mir eine Heimat“, | |
sagt er. „Was mich antreibt, ist die Liebe zu unserer Partei und zu unserem | |
Land.“ Liebe zu unserer Partei? Das ist eine Art Willy-Brandt-Moment in der | |
recht unterkühlten Rhetorik des bekennenden Helmut-Schmidt-Anhängers. Es | |
klingt auch wie ein Zitat. | |
Scholz ist Kanzler einer gescheiterten Regierung. Dieser Stachel sitzt | |
tief. Scholz hatte die Ampel nicht als Zweckbündnis gedacht, sondern als | |
historische Konstellation, mit der die SPD die Ära der Transformation hätte | |
prägen sollen. Perdu. | |
Der Ausstieg der FDP aus der Regierung, der Mangel an Ernst, empört Scholz | |
noch immer. Christian Lindner sei ein „Zocker“. Die FDP „hat die Arbeit d… | |
Bundesregierung monatelang systematisch sabotiert“ ruft er. Und: „So etwas | |
darf in Deutschland nie wieder passieren“. „Nie wieder“ ist in Deutschland | |
eigentlich für den Nationalsozialismus reserviert. Nun wird diese Formel | |
großzügig auf eine Regierungsbeteiligung der FDP ausgeweitet. [2][Scholz' | |
Zorn auf die Liberalen, aus Enttäuschung geboren, wurzelt tief.] | |
Die Lage der SPD ist nicht gut. Scholz geht als Gesicht einer gescheiterten | |
Regierung in den Wahlkampf. Beim Streit um den Wahltermin wirkte er | |
unsouverän. Die Umfragen sind ernüchternd. Davon aber dürfe man sich nicht | |
irritieren lassen. „Ich weiß, wie Wahlkampf geht“, ruft Scholz. 2021 habe | |
man auch am Ende gesiegt. Die GenossInnen klatschen frenetisch. Es klingt | |
nach Jetzt-erst-recht-Trotz | |
Scholz streift an diesem Samstag endgültig das Image des moderaten, | |
ausgleichenden Ampel-Kanzlers ab. Der neue Scholz, der sich bei dieser | |
aufdringlich optimistisch „Wahlsieg-Konferenz“ betitelten Veranstaltung | |
präsentiert, holzt energisch gegen die Konkurrenz. Die SPD sei, so die | |
kühne Devise, „die einzige Partei der Mitte“, die einzige „Stimme der | |
Vernunft und des gesunden Menschenverstandes“. | |
Letzteres geht gegen die Grünen. Die Union wolle Windräder abbauen und bei | |
der erneuerbaren Energie eine Rolle rückwärts, die Grünen aber eine | |
Energiewende „mit der Brechstange“. Das dockt an die Polemik von Söder & Co | |
gegen die „grüne Verbotspartei“ an. Dass der Ampel-Kanzler Begriffe der | |
Ampel-Gegner in sein Vokabular übernimmt, ist ein bemerkenswertes Manöver. | |
Offenbar sieht man in der SPD-Spitze nicht nur Merz als Konkurrent, sondern | |
auch Robert Habeck. | |
Der Lieblingsfeind allerdings ist Friedrich Merz. In den Reden von Lars | |
Klingbeil, Saskia Esken und Scholz kommt der abwesende Herr Merz drei oder | |
vier Dutzend Mal vor. „Wo ist eigentlich Friedrich Merz?“, ruft Lars | |
Klingbeil. Der sei „der bekannteste Totalverweigerer der Republik“, ruft | |
der SPD-Chef kernig in den tosenden Applaus. | |
Scholz verhandelt in seiner Rede alle zentrale Felder – vom Ukraine-Krieg | |
bis zur Rente, von Finanzen bis zur Wirtschaftskrise. Und er kritisiert | |
Merz in jedem Punkt als Retro-Konservativen. Dessen Steuersenkungen für | |
Reiche würden, so Scholz, ein 75 Milliarden großes Loch in den Haushalt | |
sprengen. | |
Merz ist als Neoliberaler eine brauchbare Kontrastfolie zum Versprechen der | |
SPD, in der Krise den Sozialstaat zu schützen. Aber die Fixierung auf den | |
CDU-Mann hat auch etwas Doppeltes. Ist es nicht üblich, dass der | |
Oppositionsführer die Regierung angreift – und nicht umgekehrt? Ist die | |
Subbotschaft der Merz-Fokussierung der SPD, dass sie sich schon als | |
Opposition fühlt? Zu der krachenden Rhetorik von Richtungswahl und | |
Entscheidungsschlacht passt die Aussicht auf eine gemütliche Große | |
Koalition nach dem 23. Februar auch nur bedingt. | |
Scholz sendet zwei zentrale inhaltliche Botschaften. Er will, [3][wie es in | |
den USA mit dem inflation reduction act ermöglicht wird, mit | |
Steuersenkungen den Ausbau von Digitalem und klimaneutraler Wirtschaft | |
fördern.] „Wer in Deutschland investiert, bekommt zehn Prozent vom Staat | |
zurück“, so Scholz Forderung, jedenfalls wenn es um Digitales und | |
klimaneutrale Produktion geht. Zweitens: Ab 2026 soll der Mindestlohn auf | |
15 Euro steigen. Ob dafür wieder die Mindestlohnkommission entmachtet wird, | |
lässt der SPD-Kanzlerkandidat offen. Aber das Versprechen steht: „Wir haben | |
2021 Wort gehalten. Wir werden das wieder tun“, so Scholz. | |
Die „Wahlsieg-Konferenz“ der SPD dient vor allem der Selbstermutigung. | |
Vielleicht ist sie eher Vorwahlkampf als Wahlkampf. Aber der SPD-Wahlkampf | |
ist nun in Umrissen sichtbar. Man sieht drei Bestandteile. Für eine | |
Wiederholung des Gerechtigkeit- und Respekt-Wahlkampfs wie 2021 hat Scholz | |
die 15 Euro Mindestlohn als Forderung etabliert. Für einen | |
Sicherheitswahlkampf hat das Willy-Brandt-Haus dramatische Plakate | |
entwerfen lassen, in denen Boris Pistorius in Tarnkleidung in einem Panzer | |
vor deutschen Flagge Richtung Front zu donnern scheint. Und: Die SPD | |
scheint dem Auftritt des CDU-Kandidaten, der sich derzeit eher zurückhält, | |
entgegenzufiebern. | |
30 Nov 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/scholz-spd-konferenz-100.html | |
[2] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/fdp-ampelaus-dday-100.html | |
[3] https://www.deutschlandfunk.de/inflation-reduction-act-anti-inflationsprogr… | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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