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# taz.de -- Neuwahlen: Beunruhigende Aussichten
> In normalen Zeiten wäre eine Große Koalition mit der SPD als sozialem
> Korrektiv nicht schlimm. Aber die Zeiten sind nicht normal.
Bild: Am Ende könnte eine Große Koalition stehen – mit Merz (r.) als Kanzle…
Nach dem Ampel-Kollaps drängen sich drei Fragen auf: Ist die deutsche
Demokratie widerstandsfähig gegen feindliche Übernahmen, wie sie Trump in
den USA probt? Hat eine Mitte-links-Partei wie die SPD eine Antwort auf den
rechten Zeitgeist? Und welche Regierung bekommen wir?
In dem [1][kleinteiligen Gezerre um den Wahltermin] ist eine wichtige
Nachricht fast untergegangen: Die Union hat der Versuchung widerstanden,
die taumelnde Ampel-Restregierung zu demütigen, indem sie etwa die
Unterstützung der AfD in Kauf nimmt. Wohl aus Überzeugung. Dafür spricht,
dass die Union allem Theaterdonner zum Trotz mit Rot-Grün noch ein Gesetz
verabschieden will, dass das Bundesverfassungsgericht vor rechtsextremen
Angriffen schützt.
Die Bundesrepublik verfügt über austarierte checks and balances. Das
föderale System ist robust, jedenfalls so lange niemand der AfD die Tür zur
Macht öffnet. Ja, die Demokratie steht unter Druck. Doch für Alarmismus
gibt es keinen Grund. Der Zeitgeist aber ist solide rechts, der Raum für
Fortschritt und solidarische Lösungen eng. Dass Migranten uns bedrohen,
dass Bürgergeldempfänger Faulenzer sind, die uns ausbeuten, und der
klimaneutrale Umbau ein wokes Elitenprojekt ist – all das sind keine
rechten Stereotype mehr. Sie sind in den Mainstream eingesickert und
klingen bei Union, AfD und Springer-Verlag mitunter ähnlich.
Für Mitte-links-Parteien wie die SPD ist diese Lage ungünstig, um das
Mindeste zu sagen. Sollen sie radikal und populistisch auf
Anti-Eliten-Affekte setzen? Oder lieber brav mittig sein? Wenn man nach
Österreich und Großbritannien schaut, scheint sogar diese Frage müßig zu
sein.
Beides kann derzeit scheitern. In Österreich ist SPÖ-Mann Andreas Babler
mit einem entschlossen linken Programm bei den Wahlen untergegangen. In
Großbritannien hat Keir Starmer die Wahl gewonnen. Aber nach drei Monaten
im Amt weiß niemand, was Starmer mit der Macht eigentlich will. Kurzum:
Radikal gewinnt man keine Wahl. Aber mittig sein ist auch keine Antwort.
In Deutschland wird es, anders als 2021, keinen Gerechtigkeits-, sondern
einen Sicherheitswahlkampf geben. Viele fürchten die Zukunft und flüchten
vor dem Veränderungsdruck in aggressive Nostalgie. Die Wahl 2025 wird
gewinnen, wer Stärke, Härte, Stabilität ausstrahlt. Was kann die SPD in
dieser Lage tun? Sich anpassen? Entschlossen auf Gerechtigkeit pochen? Die
SPD wirkt ratlos. Sie wird wohl mit Olaf Scholz, dem erprobten
Krisenmanager, antreten.
Friedrich Merz, so das Kalkül, hat keine Regierungserfahrung und wirkt oft
unberechenbar. Doch bloß auf Fehltritte des Konservativen zu hoffen, ist zu
wenig. Dass Merz der SPD den Gefallen tut, als arroganter
Ex-Black-Rock-Manager aufzutreten, der nur die Besserverdiener im Sinn hat,
ist nicht ausgeschlossen, aber unwahrscheinlich. Die SPD bräuchte im
Wahlkampf keinen Technokraten wie Scholz, sondern jemand mit frischer
Leidenschaft und frei vom Trümmerimage der Ampel. Den wird kaum geben.
## Konsensrepublik Deutschland
Deutschland ist noch immer eine Konsensrepublik. Das Verhältniswahlrecht
prämiert, anders als in den USA, die Mitte. Wie oft in Krisenzeiten kann am
Ende eine Große Koalition stehen – mit Merz als Kanzler und Boris
Pistorius als Vizekanzler. Das wäre gut, weil es mit der SPD keinen
radikalen Sozialstaatsabbau geben wird. Und trotzdem ist diese Aussicht
beunruhigend. Dass die Groko, die früher im Ruf stand, die Extreme zu
fördern, nun eine Trutzburg gegen die AfD sein soll, ist eine fragwürdige
Vorstellung. Außerdem herrscht erstaunliche Amnesie. Vor gerade einmal
dreieinhalb Jahren warfen sich SPD und Union in der Regierung noch
gegenseitig Knüppel zwischen die Beine. Alle, auch SPD und Union, waren
froh, als diese Stillstandskoalition endlich vorbei war.
In normalen Zeiten wäre eine Groko nicht so schlimm. Aber die Zeiten sind
nicht normal. Das deutsche Modell steht unter extremem Stress: Die
Exportindustrie schwächelt, Trump droht mit höheren Zöllen. Dieser
Deglobalisierungsschub wird Deutschland hart treffen. Gerade jetzt braucht
man einen entschlossenen, interventionistischen Staat, der wie die USA und
China die digitalen und klimaneutralen Schlüsselindustrien mit viel Geld
fördert. [2][Doch Merz will nur vielleicht die Schuldenbremse ein wenig
lockern], AKWs wieder in Betrieb nehmen und erneuerbare Energien und
Elektromobilität eindampfen. Vorwärts in die 90er Jahre – die Kluft
zwischen dem, was nötig, und dem, was möglich ist, würde in der Groko sehr
groß sein.
Viele haben sich das Aus der Ampel gewünscht, weil sie ein Ende mit
Schrecken wollten. Das kann eine Täuschung sein. Der Schrecken liegt nicht
hinter, er liegt eher vor uns.
16 Nov 2024
## LINKS
[1] /Neuwahlen-am-23-Februar/!6049142
[2] /Schuldenbremsen-Dogma-broeckelt/!6045880
## AUTOREN
Stefan Reinecke
## TAGS
Ampel-Koalition
Friedrich Merz
GNS
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Ampel-Koalition
Olaf Scholz
Friedrich Merz
Kolumne Der rote Faden
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