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# taz.de -- Trinken in Albanien: Make Raki Great Again
> Nach dem Fall des Kommunismus kam der Raki in Albanien aus der Mode. Nun
> machen ihn zwei Brüder in ihrer Bar zur Cocktailzutat.
Bild: Sofokli Cali betreibt mit seinem Bruder Evis das „Nouvelle Vague“ in …
Aus den Boxen tönt Funk und der verwinkelte und knallbunt eingerichtete
Raum hat so gar nichts gemein mit dem gängigen, eher düsteren und
minimalistischen Stil [1][der American Bar]. Wir sitzen im Herzen Tiranas
am Holztresen des „Nouvelle Vague“, eröffnet haben sie 2012 die Brüder
Sofokli und Evis Cali. Sie wollen etwas über albanischen Raki erzählen, den
sie auch in ihren Cocktails verwenden.
Moment, Raki? Vielen Deutschen kommt bei diesem Wort als Erstes sicherlich
ein Digestif [2][aus dem Türkeiurlaub] in den Sinn. Doch dieser Rakı ist
nicht gleich Raki ist nicht gleich Rakija, Rakia, Rachiu … auf dem Balkan
und in angrenzenden Ländern gibt es von diesem Obstbrand wohl ähnlich viele
landestypische und regionale Variationen wie von Ćevapčići, auch der
pflaumige Sliwowitz gehört im Prinzip dazu. Was sich relativ klar
definieren lässt: Türkischer Rakı ist immer [3][ein Anisée], also ein mit
Anissamen versetztes Trauben- oder Rosinendestillat – albanischer Raki
kommt ohne Anis daher.
Über Herkunftsfragen und Varianten lässt sich am Tresen vortrefflich
diskutieren. „Jeder denkt, dass Raki von den Osmanen kam, die den Balkan
eingenommen haben“, sagt Sofokli Cali, mit 39 der ältere der beiden Brüder.
„Wobei ich natürlich sagen würde, dass er unser Nationalgetränk ist.“
[4][Während der Diktatur] zwischen 1946 und 1991, erzählt er weiter, habe
jeder Haushalt seinen eigenen Hausraki hergestellt.
„Dabei grenzte das Produzieren von Raki in Albanien immer schon an eine Art
heiligen Akt“, ergänzt Evis Cali, 36 Jahre alt. Etliche Leute benutzen dazu
die garteneigenen Trauben, die in Albanien das ganze Land durchwuchern,
dabei wird die ganze Frucht verwendet, nicht gehäutet, nicht entkernt. Dann
wird fermentiert, einmal destilliert und der Vor- wie Nachlauf
abgeschnitten, wie das beim Destillieren üblich ist. „So wird das in jedem
Haushalt gemacht, auch bei unserem Großvater, und wir waren als Kinder oft
dabei. Während des Brennvorgangs sitzt man dann um die Destille und feiert
das Prozedere, meist sind Gäste da.“
## Zu stark für die Jungen
Nach dem Fall des kommunistischen Regimes hat Raki seinen Stand in der
albanischen Gesellschaft jedoch etwas verloren. „Wir haben Raki getrunken,
um unsere ja doch schmerzhafte Geschichte erträglicher zu machen, um
beieinander zu sein und um einander wertzuschätzen, auch in isolierenden
Zeiten“, sagt Evis Cali. Die jüngere Generation findet Raki altmodisch und
überdies zu stark. Denn in Albanien gilt, wie derzeit überall: Viele
Umdrehungen sind nicht mehr zeitgemäß, man trinkt [5][die sogenannten
Low-ABV-Drinks]. Da passt Raki mit seinen 44 bis 46 Volumenprozenten nicht
hinein.
Sofokli und Evis Cali wollen diesen Niedergang nicht hinnehmen und leisten
daher nationale Pionierarbeit. Sie sind die Ersten, die Raki in eine
High-End-Bar gebracht haben, denn das, so sagen sie, sei die einzige
Möglichkeit, „um Raki ‚great again‘ zu machen“. Es müsse ein Upgrade …
Produktion stattfinden, damit der Raki in den guten Cocktailbars bestehen
und dort dann in ausgeklügelt konzipierten Drinks landen könne.
Tatsächlich wuchs in den vergangenen Jahren die Anzahl der Winzer, die
neben Wein auch Raki produzieren, wodurch die Qualität im Gros besser
wurde. Dabei hat sich eine neue Nische herausgebildet: Terroir- oder
Single-Grape-Rakis, Schnäpse also, bei denen [6][die Herkunft der Trauben
zählt], oder bei deren Herstellung gezielt nur eine bestimmte Sorte
verwendet wird.
Doch wie präsentiert man das gut im Glas? Und was, überhaupt, passt zu
Raki, und von welchen Kombinationen lässt man lieber die Finger?
„Erfahrungsgemäß ist es gut, Zutaten zu verwenden, die nicht aufdringlich
sind“, sagt Evis Cali. Was bei den Brüdern nicht funktioniert hat, waren
Versuche mit Schokolade, Rotwein und Paprika: „Es passierte keine Magie und
die Aromen fühlten sich viel zu unterschiedlich an.“ Sehr gut waren
hingegen Drinks mit weißem, süßem oder sogar trockenem Wermut, mit Kräutern
und Gewürzen. Außerdem empfehlen sie Orangenliköre sowie Früchte, besonders
saure Apfelaromen. „Das verleiht dem Raki einen säuerlichen Glanz, macht
die Spirituose verspielter und lebendiger.“
Zu unserem Gespräch trinken wir einen „Black Sabah“, bestehend aus
türkischem Kaffee, geröstetem Mais, Honig, Gewürzen, Raki aus Muskattrauben
und Rum. Hierbei wird der Raki noch einmal mit dem türkischen Kaffee
destilliert, was dem Cocktail ein sehr sanftes Mundgefühl, eine filigrane
Würze und ein Aroma zum Erinnern verleiht. Und was zählt zu den
Erinnerungen der Cali-Brüder? „Die älteren Generationen, bei denen es
morgens eben genau zwei Getränke nebeneinander gab: schwarzen Kaffee und
das erste Glas Raki.“
## Ein Biskuit als Food-Pairing
Ein weiterer Cocktail im Nouvelle-Vague-Menü ist der „Drunk Bee“. Der Raki
stammt hier aus der albanischen Rebsorte Puls, zudem wird weißer Wermut mit
Bienenpollen und Zitronenschalen angereichert, dann kommen Nelken, Honig
und etwas Säure zum Abstimmen hinzu. Serviert wird der Drink in einer
Teetasse, dazu gibt’s einen Biskuitkeks mit Bittermandel und Orangenlikör
und Eis. „In unseren Augen ist das das perfekte Food-Pairing“, sagt Sofokli
Cali.
Die Cali-Brüder werden weiter daran arbeiten, den Raki wieder groß zu
machen. Dazu gehört auch Albaniens erstes internationales Cocktailfestival,
das sie 2023 ins Leben gerufen haben. In diesem Jahr waren fünf namhafte
Bars aus ganz Europa mit dabei; keine von ihnen hatte zuvor je mit
albanischem Raki geschüttelt und gerührt – anschließend schon.
„Neues ist doch immer spannend für Menschen, die gerne mit Aromen
experimentieren. Einfach eine Flasche aussuchen und losprobieren“, so die
dringende Empfehlung von Sofokli und Evis Cali an die Barkeeper der Welt:
„Wenn man es ein bisschen romantisieren will, kann man sich da auch ein
Vorbild am Tequila nehmen. Der hat es auch aus dem Shotglas [7][in den
Margarita] oder Paloma geschafft. Und das sind heute gängige Drinks.“
20 Oct 2024
## LINKS
[1] /Victoria-Bar/!5798129
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[3] /Pastis-trinken/!5992844
[4] /Albaniens-Reste-der-Vergangenheit/!5007685
[5] https://mixology.eu/low-abv-drinks/
[6] /Weinkunde-auf-dem-Pruefstand/!5730448
[7] /Autorin-und-Barbesitzerin-ueber-Alkohol/!5557493
## AUTOREN
Juliane Reichert
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