# taz.de -- Alkoholfrei und Spaß dabei: „Ich setze mich für Vielfalt im Gla… | |
> Wer keinen Alkohol trinken will, hat oft wenig Auswahl. Nicht so bei | |
> Benoît d’Onofrio, der Getränke kreiert und sich selbst als Sobrelier | |
> bezeichnet. | |
Bild: Benoit D'Onofrio mischt alkoholfreie und alkoholhaltige Getränke | |
Ein Montagabend in einem Designerladen im 10. Arrondissement von Paris. | |
Benoît d’Onofrio lädt ein zu einer nüchternen Getränkeprobe. Auf dem | |
glänzenden Metalltisch in der Mitte des Raumes stehen Glasflaschen, gefüllt | |
mit verschiedenfarbigen Getränken, daneben Weingläser und in Schalen Oliven | |
und Chips. | |
taz: Herr d’Onofrio, Sie haben lange als Sommelier gearbeitet. Mittlerweile | |
bezeichnen Sie sich als Sobrelier – was bedeutet das? | |
Benoît d’Onofrio: Der Begriff kombiniert den Beruf des Sommeliers mit dem | |
französischen Wort sobre (nüchtern). Ein Sobrelier ergänzt das alkoholische | |
Angebot durch hochwertige alkoholfreie Getränke, die in der Gastronomie oft | |
weniger Platz einnehmen. Dabei geht es nicht um Abstinenz, sondern um | |
Ausgewogenheit. Ich sehe mich als inklusiven Sommelier, der sich für | |
Vielfalt im Glas einsetzt, den Omniverrismus. | |
taz: Woher kam dieser Wandel? | |
d’Onofrio: Erfunden habe ich den Begriff vor zwei Jahren, als ich meinen | |
Beruf hinterfragte und mich mit seinen Wurzeln beschäftigte. Etymologisch | |
hat das Wort Sommelier keinerlei Bezug zu Alkohol. Ursprünglich bezeichnete | |
es jemanden, der die Lasttiere des königlichen Hofs begleitete. Später | |
wurde der Sommelier verantwortlich für die Getränkeauswahl am Hof, | |
unabhängig vom Alkoholgehalt. Seitdem hat sich der Beruf stark auf | |
Alkohol, insbesondere Wein, verengt, was ihm aus meiner Sicht nicht gerecht | |
wird. | |
taz: Wie reagiert man in Frankreich, dem zweitgrößten Weinproduzenten der | |
Welt, auf Ihren „neuen“ Beruf? | |
d’Onofrio: Viele dachten, ich scherze, als ich mich auf alkoholfreie | |
Getränke fokussieren wollte. Doch sobald etwas gut schmeckt, spielt der | |
Alkoholgehalt keine Rolle. [1][Das Interesse ist da] – immer mehr Leute | |
bezeichnen sich sogar selbst als Sobreliers. | |
taz: Wie finden Sie das? | |
d’Onofrio: Einerseits rührt es mich, wie ein Wort andere ermutigt, etwas | |
Neues auszuprobieren. Dennoch habe ich den Begriff vor Kurzem als Marke | |
angemeldet, um ihn vor Missbrauch zu schützen. Denn Kombucha oder Kefir | |
anzubieten, reicht nicht aus. | |
taz: Was haben Sie denn gegen Kombucha, Kefir & Co? | |
d’Onofrio: Viele Gäste sind von diesen Getränken gelangweilt, da sie immer | |
gleich schmecken. Das liegt an ihrer standardisierten Fermentationstechnik | |
mit künstlich gezüchteten Kulturen – egal ob in Frankreich, Deutschland | |
oder Japan, es sind überall dieselben. Ein Sobrelier hingegen stellt eigene | |
Getränke durch natürliche Fermentation her, die sogenannten Sobrevages | |
(eine Kombination aus sobre und beverage, englisch für Getränk, Anm. der | |
Red.) Bei einer Cuvée kommen maximal 40 Flaschen heraus, entsprechend gibt | |
es mehr Abwechslung. | |
taz: Wie produzieren Sie solche Sobrevages? | |
d’Onofrio: Ich experimentiere mit der natürlichen spontanen Gärung ohne | |
Zugabe externer, gezüchteter Mikroorganismen, ähnlich wie bei Naturweinen. | |
Ich arbeite ausschließlich mit den natürlich vorkommenden Bakterien, Zucker | |
und Hefen, die man auf den Zutaten selbst findet, also auf der Haut des | |
Gemüses oder dem Fruchtfleisch und den Kernen von Früchten. Während der | |
Gärung wandelt die Hefe den Zucker in Alkohol um, weshalb der Zuckergehalt | |
bei null Prozent liegt. Das dauert oft mehrere Tage. | |
taz: Also doch Alkohol! | |
d’Onofrio: Ja, ein kleiner Anteil Alkohol entsteht immer, jedoch liegt | |
dieser unter 0,5 Prozent. In Frankreich gilt ein Getränk erst ab 1,2 | |
Prozent als alkoholisch. | |
taz: Wie findet eine Cuvée dann das passende Gericht? | |
d’Onofrio: Ich erstelle maßgeschneiderte Menüs mit mehreren Gängen. Dafür | |
überlege ich, was ich an einem Getränk gut finde und wie ich diesen Effekt | |
ohne Alkohol erzeugen kann. Ist es die Frische, die Stärke, das Intensive, | |
das Fruchtige, das Bittere oder das Aromatische? Dann überlege ich, wie | |
sich das Getränk mit einem Gericht ergänzen könnte. Dabei arbeite ich eng | |
mit den Köchen zusammen. Die Zutaten aus dem Getränk werden sich aber nicht | |
in dem Gericht wiederfinden, zu dem es serviert wird. Dafür vielleicht in | |
dem vorherigen oder anschließendem Gang – wie eine geschmackliche | |
Ankündigung oder ein Echo bereits verkosteter Komponenten. | |
taz: Haben Sie ein Beispiel für eine Kombination? | |
d’Onofrio: Meine aktuelle Cuvée hat eine Basis von Weintrauben, Pflaumen, | |
gekochtem Reis, Zitronenverbene und Zitronenzeste. Sie schmeckt sehr | |
frisch, hat eine gewisse Säure, mit einer Note von Vanille, Zitrusfrüchten | |
und Thymian, sehr floral, sowie Aromen von dunklen Früchten, fast wie bei | |
einem Pinot Noir. Ich sehe sie zusammen mit Fleischgerichten, etwa Ente, | |
und einer mexikanischen Schokoladensauce. Für Vegetarier stelle ich mir ein | |
Rote-Bete-Carpaccio vor. | |
taz: Könnte ich ein Sobrevage zu Hause nachmachen? | |
d’Onofrio: Ein einfaches Rezept: frisch gepressten Zitronensaft mit heißem | |
Wasser aufgießen. Für mehr Komplexität Reiskörner bei 180 Grad für knapp 15 | |
Minuten im Ofen rösten und für eine Viertelstunde hinzugeben. Mit Thymian | |
verfeinern und dann filtern. | |
taz: Wie schmeckt das? | |
d’Onofrio: Neben der Frische und Bitterkeit des Thymians gibt es eine | |
leichte Säure von der Zitrone, dazu kommen geröstete Noten der Reiskörner, | |
die ein wenig Stärke und Fülle hinzubringen. Die Bitterstoffe der Zitrone | |
und des Thymians verschmelzen ineinander und verlängern das | |
Geschmackserlebnis. | |
Wir probieren einen fermentierten Drink aus Birnen, Topinambur und | |
Pistazie. Es ist leicht sprudelnd, erdig im Geschmack, etwas nussig und | |
vollmundig. | |
taz: Servieren Sie solche Getränke immer in Weingläsern? | |
d’Onofrio: Ich serviere meine Sobrevages in einer Karaffe mit großer | |
Öffnung, damit sie atmen und sich entfalten können. Getrunken werden sie | |
aus Stielgläsern mit weiter Öffnung, wie Weingläsern. Bei Gläsern ohne | |
Stiel könnte der Geschmack beeinträchtigt werden, weil man das Glas mit der | |
Hand erwärmt. | |
taz: Glauben Sie, dass der Alkoholkonsum zukünftig sinkt? | |
d’Onofrio: Ich sehe immer mehr Leute, die problemlos auf Alkohol | |
verzichten. Leider sind die Alternativen oft nicht zufriedenstellend. | |
Anfang Oktober habe ich deshalb einen eigenen Laden in Paris eröffnet, mit | |
je zur Hälfte alkoholischen und alkoholfreien Drinks. Langfristig kann sich | |
nur etwas ändern, wenn wir alkoholfreien Getränken mehr Platz einräumen. | |
taz: Der Alkoholindustrie dürfte das weniger gefallen. | |
d’Onofrio: Mein Ziel ist es nicht, alkoholische Getränke zu imitieren, wie | |
es manche Firmen tun. Das kann für die Alkoholindustrie wirklich gefährlich | |
werden. Ich möchte etwas Neues erfinden. Dafür habe ich von Winzern bisher | |
viel positives Feedback bekommen. | |
taz: Trinken Sie eigentlich selbst noch Alkohol? | |
d’Onofrio: Privat nicht mehr. Ich habe vor zwei Jahren aufgehört zu | |
trinken, nach mehreren Versuchen und Rückfällen. Mein Alkoholkonsum war | |
sehr hoch, oft sagten mir andere, ich solle [2][besser weniger trinken]. | |
Irgendwann kam die Erkenntnis, dass ich damit komplett aufhören sollte, | |
denn der Alkohol hielt mich davon ab, meine Ziele zu verfolgen. Beruflich | |
muss ich natürlich noch Alkohol probieren, aber ich kann den Schluck ja | |
wieder ausspucken. | |
5 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Elisa Kautzky | |
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