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# taz.de -- Eisenbahn in Albanien: Kommt sie – oder nicht?
> Die Eisenbahn war mal der Stolz von Albanien. Heute ist kaum noch etwas
> von ihr übrig. Unser Autor ist mitgefahren, von Elbasan in die Stadt
> Durrës.
Bild: Immerhin die Aussicht ist schön, wie hier am Bahnhof in Elbasan
Tirana taz | Und dann fährt sie doch! Am Bahnhof der einstigen
Industriestadt Elbasan, ziemlich genau in der Mitte Albaniens, trifft an
diesem Samstag im September um kurz nach 18 Uhr ein Zug [1][aus der
Hafenstadt Durrës] ein. Unter lautem Pfeifen und fast pünktlich.
Freunde in Tirana hatten gewettet, dass in Albanien überhaupt keine Bahn
mehr verkehren würde. Zu marode ist das einspurige Streckennetz, zu häufig
passieren Unfälle. Tatsächlich sind die meisten Abschnitte des zu
Hochzeiten 447 Kilometer langen Netzes stillgelegt: nach Shkodra im Norden
des Landes, nach Pogradec [2][nahe der Grenze zu Nordmazedonien] im Osten,
nach Vlora im Süden. Und längst auch der in die Hauptstadt, nach Tirana.
Die staatliche Bahngesellschaft HSH tut ihr Übriges, dass man ihrem Angebot
eher skeptisch gegenübersteht. Laut dem extrem ausgedünnten Fahrplan soll
auf der Strecke Durrës–Elbasan nur in den Sommermonaten und nur an den
Wochenenden in beide Richtungen ein Zug unterwegs sein. Unter der im
Internet angegebenen Rufnummer heißt es vom Band, dass die Verbindung nicht
existiere. E-Mails mit Fragen zum Fahrplan bleiben unbeantwortet. Aber
offenbar gibt es eben doch noch ein letztes Aufbegehren der Bahn: Zu 99
Prozent werde der Zug an diesem Samstagabend ankommen, verspricht der
Herbergsvater in Elbasan.
Er tut es. An der Spitze eine in der Tschechoslowakei gebaute Diesellok,
dahinter zwei über und über mit Graffiti besprühte Waggons, welche die HSH
in den 2000er Jahren von der DB Regio übernommen hat. Sie stammen noch aus
DDR-Beständen, gefertigt in Halberstadt. Fünf Fahrgäste steigen aus. Es
wird noch kurz rangiert, bald danach schließt das Tor zum weiträumigen
Bahnhofsgelände, auf dem auch ein paar alte Waggons stehen.
Die Fahrt in die Gegenrichtung beginnt am nächsten Morgen um sechs Uhr.
Eine Mitarbeiterin verkauft am geöffneten Schalter Fahrscheine, die in
ihrer Aufmachung denen aus kommunistischer Zeit entsprechen. Nur der Preis
hat sich selbstredend geändert: umgerechnet knapp 1,50 Euro für Erwachsene.
Kinder zahlen die Hälfte.
## „Hajde, hajde!“
In der Bahnhofsbar gibt es einen frühen Espresso, doch die Schalterbeamtin
mahnt zur Eile: „Hajde, hajde!“ Es ist noch immer dunkel draußen, und durch
das unbeleuchtete Bahnhofsgebäude geht es zum ebenso unbeleuchteten Zug.
Die prekäre Ausstattung bleibt trotzdem nicht verborgen. Ein Teil der
Fenster an den Waggons fehlt, die Türen schließen nicht richtig. Es zieht
mächtig. Nur sechs Reisende sind im Zug, nach sieben Unterwegshalten werden
es ein gutes Dutzend sein.
Die vier Zugbegleiter:innen haben sich in einer Waggonhälfte
verschanzt. Aus Mitleid öffnen sie ihren Bereich, in dem die Fenster noch
schließen, die schmuddeligen Sitze mit Stofftüchern überhängt sind und mit
einem Bunsenbrenner Kaffee gekocht werden kann. Etwa drei Stunden soll die
Fahrt auf den rund 75 Kilometern dauern, manchmal geht es nur im
Schritttempo voran. Die Aussicht entschädigt: beschauliche
Hügellandschaften im Licht der aufgehenden Sonne. Granatapfel-, Oliven- und
Feigenbäume säumen die Strecke, ab und an eine Industriebrache.
Zu kommunistischer Zeit war die Eisenbahn der Stolz Albaniens, das nicht
länger zurückgebliebenes Agrarland sein wollte. Die Strecke von Durrës
Richtung Elbasan war die erste nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt. Die
italienischen Besatzer waren mit ihr nur halb fertig geworden, sie wurde
von 1947 an vollendet. Diktator Enver Hodscha ließ es sich nicht nehmen,
beim Beginn der Bauarbeiten wie auch bei der Eröffnung zugegen zu sein.
1948 widmete die albanische Post der Eisenbahn eine ganze Briefmarkenserie.
Sie zeigt Arbeiter mit Spitzhacken, an der Front der Dampflokomotive ein
großer roter Stern. Zehntausende „Freiwillige“, vor allem Jugendliche,
waren zum Bau der Bahn abkommandiert worden. Über die Jahrzehnte spielte
die Eisenbahn in der kommunistischen Propaganda eine Rolle.
## „Ein Zug, der leer von Durrës kommt“
In seinem Roman „Der große Winter“ beschreibt der albanische Autor Ismail
Kadaré den Bruch seines Landes mit der Sowjetunion in den Jahren 1960/61.
In einer Szene geht es um den Güterzug Nr. 743 AZ 09, der damals aus Durrës
auf Tirana zusteuerte – die Schiffe mit Warenlieferungen aus den
sozialistischen Ländern hatten vor der Küste kehrtgemacht: „Ein Zug, der
leer von Durrës kommt, dachte der Maschinist im Rhythmus der Radstöße. Ein
Zug fährt leer. Ein Zug zurück. Ein Zug, der leer zurückfährt. Ein Zug
zurück. Ein leerer Zug. Ein toter Zug. Ein leerer Zug. Ein toter Zug.“
Doch damals war das Eisenbahnwesen in Albanien noch nicht tot. Um 1980
wurde in den Fremdsprachenprogrammen von Radio Tirana gefeiert, dass die
erste internationale Strecke ins Ausland entstand, die letztlich nur für
den Güterverkehr genutzt wurde: von Shkodra ins damalige jugoslawische
Titograd, die heutige montenegrinische Hauptstadt Podgorica.
Bilder aus den frühen 1990er Jahren zeigen noch immer volle Bahnsteige, so
wie in kommunistischer Zeit. Erst anschließend wurde die Bahn mehr und mehr
vom Bus verdrängt, ein Schicksal, das Albanien [3][mit vielen Balkanländern
teilt].
1947, als alles so hoffnungsfroh begann, hatte Albanien eine große Lotterie
zugunsten des Eisenbahnbaus aufgelegt. Das kann heutzutage als metaphorisch
gelten. Wird der spärliche Zugverkehr in den Sommermonaten 2025 überhaupt
wieder aufgenommen? Wird die mit EU-Hilfe begonnene Neubaustrecke
Durrës–Tirana wie versprochen noch in diesem Jahr fertig oder absehbar gar
nicht? Die geplante Fahrzeit zwischen den beiden größten Städten des Landes
würde dann nicht mehr als 22 Minuten betragen, und eine Anbindung an den
internationalen Flughafen wäre auch geplant. Bisher ist von den Bauarbeiten
aber nur wenig zu sehen.
Und wie steht es erst um den 2022 zwischen Kosovo und Albanien vereinbarten
Bau einer Zugverbindung von Durrës über Shkodra nach Pristina? Es wäre
nicht das erste gescheiterte millionenschwere Projekt.
## „BALKAN 2024“
Zugreisen als Lotterie. Am Ende dauerte die Reise von Elbasan nach Durrës
fast eine Stunde länger als vorgesehen. Nach heftigen Regenfällen war der
Schienenstrang an einer Stelle überschwemmt. Der Schaden musste erst
notdürftig beseitigt werden, wie die Zugbegleiterin mit Hilfe des
Google-Übersetzers erläutert.
Auch das historische Bahnhofsgebäude von Durrës wird nicht erreicht, der
Zug fährt nur bis zur Haltestelle Plazh am südlichen Stadtrand. Hier werden
die Fahrscheine improvisiert aus einem Container verkauft. Jemand hat auf
die Fassade gesprüht: „BALKAN 2024!“
30 Nov 2024
## LINKS
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[2] /Die-Gipfel-des-Balkans/!5719898
[3] /Unter-denen-die-das-Glueck-suchen/!5559827
## AUTOREN
Matthias Meisner
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